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30.12.2025 10:01

Pilz neutralisiert die Abwehr von Borkenkäfern – und nutzt sie gegen die Käfer

Angela Overmeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Der insektenpathogene Pilz Beauveria bassiana entgiftet die Abwehrstoffe der Käfer, die aus pflanzlichen Vorstufen stammen, und kann die Insekten erfolgreich infizieren.

    Auf den Punkt gebracht:

    • Fichtenborkenkäfer nutzen pflanzliche Abwehrstoffe zur eigenen Verteidigung: Sie wandeln Phenolverbindungen aus Fichtenrinde in noch toxischere Derivate um – gegen Krankheitserreger.
    • Pilz überwindet die Käfer-Abwehr: Der insekten-pathogene Pilz Beauveria bassiana infiziert Käfer trotz dieser chemischen Verteidigung.
    • Pilz neutralisiert die Toxine: Durch Bindung eines Zuckers (Glykosylierung) und das Hinzufügen einer Methylgruppe (Methylierung) entgiftet Beauveria bassiana die schädlichen Verbindungen.
    • Die Anfälligkeit der Käfer für Infektionen hängt von der Funktionalität des Stoffwechselwegs im Pilz ab: Wird dieser blockiert, sinkt die Infektionsrate.
    • Dieser Mechanismus zeigt die evolutionäre Anpassung eines pathogenen Pilzes an einen Wirt mit einer komplexen chemischen Verteidigung – mit potenziellem Nutzen für die biologische Schädlingsbekämpfung.

    Fichtenrinde ist reich an phenolischen Verbindungen, die die Bäume vor krankheitserregenden Pilzen schützen. Ein Forschungsteam am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena hat nun untersucht, wie diese pflanzlichen Abwehrstoffe im Nahrungsnetz weiterwirken – insbesondere bei Fichtenborkenkäfern (Ips typographus), die diese Verbindungen mit ihrer Nahrung aufnehmen. Setzen die Käfer womöglich Substanzen aus der Fichtenabwehr ein, um sich selbst gegen krankheitserregende Pilze zu schützen?

    Käfer wandeln pflanzliche Abwehrstoffe in noch toxischere Formen um

    Mittels modernster analytischer Methoden, wie Massenspektrometrie und NMR, untersuchte das Team, welche chemischen Verbindungen die Fichten als Abwehrstoffe produzieren, und wie diese von den Käfern verstoffwechselt werden. Sie zeigten, dass Borkenkäfer, die Fichten befallen, die pflanzlichen Abwehrstoffe in den Leitgefäßen der Bäume nutzen, insbesondere phenolische Glykoside wie Stilbene und Flavonoide, um ihre eigene Abwehr gegen Krankheitserreger zu stärken. Dabei wandeln sie diese Verbindungen enzymatisch in noch giftigere zuckerfreie Aglykone um, die eine erhöhte antimikrobielle Aktivität aufweisen und als effektive Verteidigung gegen Pilze dienen.
    „Wir hatten nicht erwartet, dass die Käfer die Abwehrstoffe der Fichte so gezielt in noch giftigere Derivate umwandeln können“, sagt Erstautorin Ruo Sun aus der Abteilung Biochemie.

    Pilz neutralisiert die Käferabwehr durch spezifische Entgiftungsreaktionen

    Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Wirkung der Käferabwehrstoffe auf den Pilz Beauveria bassiana. „Obwohl dieser Pilz in der Vergangenheit bei der Bekämpfung von Borkenkäfern nicht sehr wirksam war, fanden wir Stämme dieses Pilzes, die Borkenkäfer auf natürliche Weise infiziert und getötet hatten. Wir wollten daher genauer untersuchen, wie sie die Käfer erfolgreich infizieren und töten konnten,“ erläutert Ruo Sun.

    Weitere Analysen und Enzymassays zeigten, dass der Schlauchpilz einen zweistufigen Entgiftungsweg nutzt: Erstens durch die Glykosylierung, die Wiederanbindung eines Zuckers an die Aglykone, und zweitens durch die Methylierung, die Anbindung einer Methylgruppe an den Zucker. Die daraus entstehenden Methylglykosid-Derivate sind für Beauveria bassiana nicht mehr giftig. Interessanterweise erhöht die Methylglykosylierung den Pilzbefall – besonders bei Käfern, die zuvor pflanzliches Gewebe mit hohem Phenolgehalt konsumiert hatten. Zudem sind die Methylglykoside resistent gegenüber Käferenzymen, die über eine Hydrolyse die Giftigkeit der Verbindungen wiederherstellen könnten.

    Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überprüften die Funktion des Entgiftungswegs, indem sie die für die Methylglykosylierung aktiven Gene in Beauveria bassiana ausschalteten. In weiteren Experimenten mit Pilzen, denen diese Gene und somit der Entgiftungsweg fehlten, zeigte sich, dass diese Pilze Borkenkäfer weit weniger erfolgreich befallen konnten.

    Ein evolutionärer Balanceakt mit Anwendungspotenzial

    Die Studie macht deutlich, dass chemische Abwehrstoffe, die von einem Baum produziert werden, in der Nahrungskette mehrere Umwandlungen und Rückumwandlungen durchlaufen können – mit weitreichenden Konsequenzen für das evolutionäre Wettrüsten zwischen Wirt, Schädling und Pathogen. „Wir haben gezeigt, wie ein Borkenkäfer die Abwehrsubstanzen eines Baumes nutzen kann, um sich gegen seine eigenen Feinde zu verteidigen. Da jedoch einer der Feinde, der Schlauchpilz Beauveria bassiana, die Fähigkeit entwickelt hat, diese antimikrobiellen Abwehrstoffe zu entgiften, kann er den Borkenkäfer erfolgreich infizieren und dem Baum so im Kampf gegen die Borkenkäfer helfen“, fasst Studienleiter Jonathan Gershenzon zusammen.

    Die Erkenntnisse können bei der Entwicklung wirksamerer biologischer Schutzmittel gegen Borkenkäfer helfen. „Nun, da wir wissen, welche Stämme des Pilzes die antimikrobiellen Phenolverbindungen des Borkenkäfers tolerieren, können wir diese Stämme einsetzen, um Borkenkäfer besser zu bekämpfen“, sagt Ruo Sun und weist auf das Anwendungspotenzial hin. Die Studie macht deutlich, dass beim Einsatz von biologischen Schädlingsbekämpfungsmitteln stets überprüft werden sollte, welche Resistenzen oder Entgiftungsstrategien der untersuchte Schädling gegenüber seinem Wirt entwickelt hat.
    In weiteren Experimenten möchte das Forschungsteam herausfinden, wie weit der Entgiftungsweg der Methylglykosylierung nicht nur in verschiedenen Stämmen des Pilzes Beauveria bassiana, sondern auch in anderen Borkenkäferpathogenen verbreitet ist und wie dieser mit anderen Merkmalen von Krankheitserregern interagiert, welche seine Wirksamkeit beeinflussen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Ruo Sun, Abteilung Biochemie, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1323, E-Mail rsun@ice.mpg.de
    Prof. Dr. Jonathan Gershenzon, Abteilung Biochemie, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1300, E-Mail gershenzon@ice.mpg.de


    Originalpublikation:

    Sun, R.; Hu, B.; Nakamura, Y.; Reichelt, M.; Jiang, X.; Luck, K.; Paetz, C.; Gershenzon, J. (2025). Detoxification of conifer antimicrobial defenses promotes entomopathogenic fungus infection of bark beetles. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. doi: 10.1073/pnas.2525513122
    https://doi.org/10.1073/pnas.2525513122


    Weitere Informationen:

    https://www.ice.mpg.de/219418/forest-beetles-and-friends Projektgruppe "Chemische Ökologie von Borken- und Ambrosiakäfer-Assoziationen mit Mikroben" am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


    Bilder

    Ips typographus
    Ips typographus
    Quelle: Benjamin Weiss
    Copyright: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Jonathan Gershenzon und Ruo Sun
    Jonathan Gershenzon und Ruo Sun
    Quelle: Angela Overmeyer
    Copyright: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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