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11.10.2004 18:17

Soziale Folgen von AIDS in Afrika

Christel Lauterbach Presse, Kommunikation und Marketing
Justus-Liebig-Universität Gießen

    Gießener Soziologen stellen Ergebnisse einer vierjährigen Studie in Namibia und Botswana vor - Pressegespräch am 13. Oktober um 14 Uhr

    Aus Anlass des Abschlusses des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts "Soziale Folgen von AIDS im Südlichen Afrika (Botswana, Namibia)" findet vom 13. bis 15. Oktober 2004 ein Symposion mit Experten aus Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit statt, bei dem die Ergebnisse des Forschungsprojekts diskutiert werden. Zum Auftakt des Symposions laden wir Sie herzlich ein zu einem Pressegespräch am Mittwoch, den 13. Oktober 2004, um 14.00 Uhr im Institut für Soziologie (Karl-Glöckner-Str. 21, Haus E, Raum 018/19) 35394 Gießen, um Sie ausführlich über die Ergebnisse des Projekts zu informieren.

    Betrachtet man die globalen Dimensionen der AIDS-Epidemie, so stellt man fest, dass AIDS vor allem ein Problem der Länder des Südens ist: 95% aller Infizierten leben in Entwicklungsländern. Von den weltweit mehr als 40 Millionen Betroffenen befinden sich fast 30 Millionen im Afrika südlich der Sahara: Jeden Tag sterben dort 6.600 Menschen an AIDS. Insbesondere in den Ländern des Südlichen Afrika sind die Infektionsraten erschreckend hoch. In Namibia sind fast 24% der 15- bis 49-Jährigen HIV-positiv, in Botswana gar 38%. Mittlerweile findet sich keine Familie mehr, die nicht unmittelbar von Todesfällen in Folge der Immunschwächekrankheit betroffen ist und AIDS-Waisen zu versorgen hat.

    Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Forschungsprojektes "Soziale Folgen von AIDS im Südlichen Afrika (Botswana, Namibia)" hat sich die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Reimer Gronemeyer, Dr. Georgia Rakelmann und Dr. Matthias Rompel am Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen in den vergangenen vier Jahren intensiv mit den Auswirkungen der Epidemie auf Familien und soziale Strukturen befasst. Im Zentrum des Interesses der qualitativ angelegten Studie standen dabei weniger die medizinischen und epidemiologischen Implikationen von HIV/AIDS, sondern die Auswirkungen der Krankheit auf Familien, Haushalte und Gemeinwesen.

    Im Bereich der Prävention beispielsweise kann weder in Namibia noch in Botswana von einer Eindämmung, geschweige denn einem Sieg über die weitere Ausbreitung der Epidemie die Rede sein. Trotz gesteigerter Präventionsbemühungen sinkt die Zahl der Neuinfektionen nicht in dem Maße, wie dies angesichts der Anstrengungen zu erwarten wäre. Im Rahmen der Forschungen der Gießener Gruppe konnten einige Schlüsselfaktoren identifiziert werden, die für den Misserfolg von Kampagnen verantwortlich gemacht werden können.

    Ein weiterer Fokus der Forschungen galt den Diskursmustern in der medialen Berichterstattung, aber auch in den Alltagsdiskursen der Bevölkerung. Dabei konnten zahlreiche Muster der Tabuisierung identifiziert werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, welche unterschiedlichen Deutungen es auf der individuellen Ebene im Hinblick auf die AIDS-Epidemie im Allgemeinen, wie der individuellen Immunschwächekrankheit im Speziellen gibt. So existieren religiöse Interpretationen, die die Infektion als Konsequenz eigenen moralischen Fehlverhaltens und als Bestrafung für begangene Sünden interpretieren unmittelbar neben rationalen Deutungsmustern, mit denen die Infektion als statistischer Zufall, als Konsequenz ungeschützten Geschlechtsverkehrs, als "Pech" angesehen wird.

    Im Hinblick auf die Folgen innerhalb von Familien hat die Forschergruppe beschrieben, wo Löcher in der sozialen Versorgung in familialen Strukturen entstehen. Innerhalb von betroffenen Familien sind zahlreiche Verarmungskreisläufe zu beobachten. Die ökonomischen Leistungsanforderungen an den Einzelnen werden durch die Folgen von AIDS deutlich erhöht. Die in den Haushalten ohnehin in geringer Menge zur Verfügung stehenden monetären Mittel werden durch den Tod der "breadwinner" oder durch steigende Ausgaben für Medizin und Beerdigungskosten aufgebraucht. Mit dem Sinken der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte (durch notwendig werdende Krankenpflege) wird darüber hinaus - zumindest auf dem Land - auch die Aufrechterhaltung von Subsistenzwirtschaft in Frage gestellt. In fast jeder Familie gibt es mittlerweile AIDS-Waisen, die nach dem Tod ihrer Eltern von der Verwandtschaft aufgenommen werden, was deren physische und ökonomische Belastung nachdrücklich steigert. In der Folge werden etwa Kinder nicht zur Schule geschickt, weil sie für die Haushaltsökonomie unverzichtbar sind. Angesichts der Anzahl der Sterbefälle ändert sich auch der Umgang mit dem Tod, mit Sterben und Trauer, wie auch die rituelle Durchführung von Beerdigungen, denn es gibt einfach zu viele.

    Für die Bewältigung von Infektion, Krankheit und Tod spielte bislang die Großfamilie die entscheidende Rolle. Hier wurden die Kranken gepflegt; hier fand die Unterstützung und Fürsorge von Infizierten statt; hier wurden zurückbleibende Waisen aufgenommen. In Folge des immensen Drucks durch die Konsequenzen von AIDS entstehen aber auch zunehmend ganz neue soziale Netzwerke und Solidaritäten jenseits der bisher tragenden familialen Strukturen. So haben die Gießener Soziologen den neuen Familientyp der "Notgemeinschaft" ausgemacht, im Prinzip eine Art Lebensgemeinschaft unterschiedlicher Menschen, verschiedener Geschlechter und Altersgruppen, die sich zu einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammengetan haben. Diese "Notgemeinschaften" sind ein Beispiel für soziale Innovationsprozesse, die auch als Resultat der Krisenphänomene rund um HIV und AIDS zu beobachten sind. Als Folge von AIDS sind nicht nur katastrophische Folgen, Verarmungs- und Desintegrationsprozesse zu verzeichnen, neben den destruktiven Konsequenzen sind auch dynamisierende Folgen erkennbar. Die Katastrophe setzt auch innovative Kräfte frei. So mobilisiert die Epidemie Ressourcen, die soziale Innovation in Gang setzt und so die betroffenen Gesellschaften nachhaltig und dauerhaft verändern werden.

    Die Ergebnisse des Projekts wurden in den vergangenen Jahren schon auf verschiedenen Wegen in die internationale Debatte eingeführt, wie etwa auf den zahlreichen Vorträgen der Gießener Sozialwissenschaftler - zuletzt im Juli auf der Internationalen AIDS-Konferenz in Bangkok - oder in der Rückkopplung der Ergebnisse an die lokalen AIDS-Initiativen und Programme in Namibia und Botswana, etwa im Rahmen von verschiedenen Tagungen mit NGOs in Botswana oder der Entwicklung von neuen Präventionsstrategien in Namibia. Im Rahmen des Symposions sollen die Ergebnisse auch der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit vorgestellt werden. Vom 13. bis 15. Oktober kommen auf Schloss Rauischholzhausen, der Tagungsstätte der Universität Gießen in Ebsdorfergrund, Experten aus der deutschen Wissenschaft und der Entwicklungszusammenarbeit zusammen, um die Ergebnisse des Gießener Forschungsprojektes kritisch zu diskutieren und Konsequenzen für die Entwicklungszusammenarbeit zu beraten.

    Kontakt:

    Dr. Matthias Rompel
    Institut für Soziologie
    Karl-Glöckner-Str. 21 E
    35394 Gießen
    Mobil: 0171/47 16 423
    Tel.: 0641/99-23205
    Fax: 0641/99-23219
    e-mail: Matthias.U.Rompel@sowi.uni-giessen.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-giessen.de/palaver


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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