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26.01.1999 15:24

"Endstation Größenwahn" - Studie über Stadtsanierung

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Nach ausgiebiger Beschäftigung mit einer Fülle an Quellen rollt der RUB-Student Schanetzky in seiner Studie die stadtplanerischen Verfehlungen bei der Sanierung des Essener Stadtteils Steele noch einmal komplett auf - und zwar nicht aus offizieller (Verwaltungs-)Sicht, sondern aus der Perspektive der betroffenen Bürger

    Bochum, 26.01.1999
    Nr. 22

    "Endstation Größenwahn" - Stadtsanierung Essen-Steele
    Ausgezeichnete Studie im Klartext-Verlag erschienen
    RUB-Student sichtete umfangreiches Quellenmaterial

    Wiederaufbau, Nachkriegsstädtebau und Sanierung von Altstädten - ein Themenkomplex, mit dem sich Historiker bislang oberflächlich und stiefmütterlich beschäftigt haben. Um dieses Manko zu beheben, hat das "Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher" im Jahre 1997 anläßlich des dritten Wettbewerbs zur Ruhrgebietsgeschichte Sonderpreise für Arbeiten ausgelobt, die sich mit solchen weißen Flecken auseinandersetzen. Der Beitrag des RUB-Geschichtsstudenten Tim Schanetzky "Stadtsanierung Essen-Steele: Geschichte einer Fehlleistung" erhielt einen dieser mit 2.000 DM dotierten Preise. In leicht überarbeiteter Form erschien die Arbeit unter dem Titel "Endstation Größenwahn" unlängst im Essener Klartext-Verlag. Nach ausgiebiger Beschäftigung mit einer Fülle an Quellen rollt Schanetzky darin die stadtplanerischen Verfehlungen noch einmal komplett auf - und zwar nicht aus offizieller (Verwaltungs-)Sicht, sondern aus der Perspektive der betroffenen Bürger.

    Gegenüberlieferung

    Während seiner Recherchen zur Geschichte und Sanierung der Arbeitersiedlung Ofenbank in Essen-Horst knüpfte Tim Schanetzky auch Kontakt zu den "Steeler Pohlbürgern", die über eine umfangreiche Quellensammlung zur Steeler Geschichte verfügen. Darunter befinden sich mehrere Regalmeter, die ausschließlich im Zusammenhang mit der Steeler Sanierung der späten sech-ziger und frühen siebziger Jahre stehen. Der besondere Wert dieser Sammlung besteht darin, daß hier eine fast vollständige Gegenüberlieferung zur Verwaltungsüberlieferung aus Sicht der Steeler Bevölkerung vorliegt. Fragen der Bürgerbeteiligung am Sanierungskonzept, der Sanierungsrezep-tion sowie der Wege und Strukturen der Einflußnahme konnte Schanetzky somit in seiner Arbeit nachgehen.

    Stelle: ein Beispiel

    Die Quellen ermöglichten es, die Geschichte eines konkreten Sanierungsfalls lückenlos zu dokumentieren. Essen-Steele steht beispielhaft für die in Deutschland allgegenwärtige Stadtsanierung in Form von Flächensanierung in der Nachkriegszeit - ein stadtplanerisches Leitbild, das sich erst in den siebziger Jahren radikal wandelte. Umso mehr verwundert daher, daß das Thema bisher kaum von Historikern bearbeitet wurde. Immerhin sind Stadtsanierungen stets mit großen Investionsvolumina, Umsiedlungsaktionen und daraus resultierenden sozialen Belastungen sowie mit der entsprechenden kommunalpolitischen Legitimation verbunden gewesen. Schanetzkys Arbeit versteht sich somit auch als erster Schritt zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit einem zeitgeistlichen Phänomen, dessen Auswirkungen noch heute deutlich sichtbar sind - das Thema ist aktueller denn je.

    Kein menschliches Maß

    Insgesamt erforderte die Stadtsanierung in Steele Investitionen von etwa einer Milliarde Mark. Aus der Perspektive des Historikers untersucht die Arbeit vor allem die Frage, wie es möglich war, daß ein Projekt dieser Größenordnung - mit all seinen negativen Folgen - zu seiner Zeit beinah hundertprozentig konsensfähig war. Gut 50 Prozent der 1965 in Steele vorhandenen Bausubstanz fielen der Sanierung zum Opfer, Kaufhausneubauten, ein überdimensionales Verkehrssystem und Hochhäuser mit bis zu 21 Stockwerken traten an ihre Stelle. Das menschliche Maß ging fast überall verloren.

    Ernüchternde Ergebnisse

    Gerade angesichts der heute radikal veränderten Planungskonzepte untersucht die Arbeit den Sanierungsanlaß, die Planungsmethoden und Sanie-rungsdurchführung sowie den öffentlichen Umgang mit dem Konzept. Die Ergebnisse der Studie sind ernüchternd. Vermeintliche Einflußfaktoren wie Zeitgeist, der damalige Modernitätsbegriff oder Anforderungen des wachsenden Autoverkehrs können die Flächensanierung nur teilweise erklären. Den Abbruch einer historischen Altstadt bedingte vielmehr das Zusammenspiel folgender Faktoren: Entwertung traditioneller baulicher Strukturen, auf Modernität fixierte planerische Leitbilder, eine auf großräumige Abbruchsanie-rung zielende Planungskultur, eine überforderte und öffentlichkeitsscheue Planungsbürokratie und Kommunalpolitik sowie vitale wirtschaftliche Interessen großer Investoren des Einzelhandels und des Wohnungsbaus.

    Die Lehren aus der Sanierung

    Die Arbeit zeigt deutlich, daß dieses Flächensanierungskonzept die Ursachen für sein Scheitern von Beginn an in sich barg. Die sozialen Belastungen waren zu hoch, die Projekte überdimensioniert sowie extrem kosten- und zeitintensiv. Bereits während seiner Durchführung in den siebziger Jahren war das Konzept nicht mehr mit dem fachlichen Kenntnisstand der Stadtplanung vereinbar. Verdrängungsmechanismen setzten ein: Eine kritische Sicht der Sanierung war weder im Sinne von Verwaltung und Politik, die von eigenen Fehlern ablenken wollten, noch von den Steeler Interessenvertretern gewünscht - zumal besonders der Einzelhandel auf ein positives Image des Stadtteils fixiert war.

    Diskussion in Gang setzen

    Ein wesentliches Ziel der Arbeit ist daher auch, diese Mauer des Schweigens zu durchbrechen und endlich eine Diskussion über Fehlentwicklungen und -entscheidungen der Vergangenheit in Gang zu setzen. Es gilt, danach zu fragen, ob wesentliche Merkmale der damaligen Planungskultur nicht in die Gegenwart hineinreichen. So ist etwa der Einfluß von Investoren auf die Bau-leitplanung bis heute eher noch gewachsen. Und auch die Entwertung denk-malwürdiger Bausubstanz ist nach wie vor ein Problem: beispielsweise gilt die Architektur der fünfziger Jahre bislang kaum als erhaltenswert.

    Titelaufnahme

    Tim Schanetzky: "Endstation Größenwahn. Die Geschichte der Stadtsanierung in Essen-Steele." 252 Seiten, 29,80 DM, Klartext-Verlag, Essen 1998

    Weitere Informationen
    Tim Schanetzky, Blumenthalstraße 5, 45138 Essen, Tel.: 0201/483130


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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