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18.02.1999 00:00

Wenn hohe Flexibilität unflexibel macht

Claudia Braczko Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut Arbeit und Technik

    Arbeitszeit und Beschäftigung im westeuropäischen Einzelhandel - Internationales Branchenforum am Institut Arbeit und Technik

    Mit Teilzeitquoten von weit über 50 Prozent und Personaleinsatz je nach Bedarf zählt der westeuropäische Lebensmitteleinzelhandel zu den angeblichen "Vorreitern" flexibler Arbeitszeitorganisation. Diese Flexibilität stößt jedoch längst an Grenzen, sowohl bei den Beschäftigten, die teilweise für nicht existenzsichernde Löhne in Kleinstarbeitsverhältnissen extreme Arbeitszeitschwankungen in Kauf nehmen müssen, wie bei den Betrieben, die langsam die versteckten Kosten dieser so einfach handhabbaren Praxis entdecken. Denn instabile Beschäftigungsverhältnisse erhöhen den Personalaufwand und machen unflexibel, eine schwache Personalbindung schwächt die Kundenbindung. Einige der Unternehmen schwenken um und verzichten auf sehr kurze Teilzeitverträge. Es gibt erste Experimente mit einer Dezentralisierung und Selbststeuerung der Arbeitszeitorganisation durch die Beschäftigten.

    Auf dem Branchenforum "Arbeitszeitorganisation im Einzelhandel" im Rahmen des Internationalen Arbeitszeitseminars am Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) diskutierten am Donnerstag, 18. Februar 1999, internationale Experten über Arbeitszeit und Beschäftigung im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Der internationale Trend zeigt, daß wachsende Teile des Einzelhandels zu einer "Dazuverdienerinnenbranche" werden. Vor allem im Lebensmitteleinzelhandel wird Teilzeitarbeit immer mehr zum Normalarbeitsverhältnis. Wie Untersuchungen des IAT im Rahmen eines von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projektes ergaben, liegt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in einigen deutschen Supermärkten inzwischen über 70 Prozent, viele davon in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.

    Der internationale Trend in Lebensmitteleinzelhandel zeigt eine Personalpraxis, die die Arbeit in kleine und kleinste Beschäftigungs- und Arbeitszeiteinheiten aufsplittert und den Arbeitskräfteeinsatz ad hoc von Woche zu Woche und sogar von Tag zu Tag dem schwankenden Bedarf anpaßt. Aus Kostengründen wird die Personaldecke extrem ausgedünnt - und oft entwickelt sich eine "teilzeitinduzierte Negativspirale", stellt der IAT-Arbeitszeitforscher Dr. Steffen Lehndorff fest. Viele der kurzfristig "flexibel" einsetzbaren Teilzeitbeschäftigten mit instabilen Arbeitszeiten und relativ geringer Betriebsbindung fehlen häufig oder wechseln öfter den Job. Im Betrieb müssen die Einsatzpläne ständig improvisiert werden, Kettenreaktionen ungeplanter Personalengpässe gehören zum Alltag. Lage und Dauer der Arbeitszeit aller Beschäftigten werden damit immer instabiler, und mit den verschlechterten Arbeitsbedingungen verschärfen sich wiederum die Absentismus- und Fluktuationsprobleme. Hinzu kommt das "Teilzeit-Dilemma": Die hohen zeitlichen Flexibilitätsanforderungen führen dazu, daß viele Beschäftigte, vor allem Frauen, mit einer weiteren Reduzierung ihres Arbeitsangebotes reagieren. Gerade dadurch tragen sie aber - ungewollt - dazu bei, daß die Arbeitsbedingungen im Lebensmitteleinzelhandel immer weniger dem entsprechen, was sie auf der Suche nach Wegen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf eigentlich anstreben.

    Ähnlich wie im deutschen Einzelhandel ist die Praxis bei den europäischen Nachbarn. Die britischen Superstores beschäftigen auffallend viele Verkäuferinnen mit sehr kurzen Teilzeitverträgen, die häufig länger als vertraglich vorgesehen und mit von Woche zu Woche schwankenden Stundenzahlen arbeiten. Im niederländischen Lebensmitteleinzelhandel arbeiten überdurchschnittlich viele SchülerInnen und StudentInnen in kurzen Teilzeitverträgen. Dagegen ist in französischen Super- und Hypermärkten der Teilzeitanteil an der Beschäftigung wesentlich niedriger und die durchschnittliche Stundenzahl der Teilzeitkräfte deutlich höher.

    Am Beispiel des französischen Lebensmitteleinzelhandels läßt sich erkennen, daß Supermärkte auch ohne die Institution eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses funktionieren können. "Die Abschaffung dieser Institution in Deutschland könnte den Versuchen einer wirksameren tariflichen Regulierung von Teilzeitarbeit etwas Rückenwind geben", so Dr. Steffen Lehndorff.

    Die Ergebnisse des Projektes werden demnächst unter dem Titel "Darf es etwas weniger sein? Arbeitszeit und Beschäftigung im europäischen Lebensmitteleinzelhandel" bei edition sigma, Berlin, veröffentlicht.

    Für weitere Fragen steht
    Ihnen zur Verfügung:
    Dr. Steffen Lehndorff
    Durchwahl: 1707-146


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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