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Untersuchung zum Leben auf der Straße und zu Folgen von "Aufenthaltsverboten" in Köln.
Obdachlose, Drogensüchtige und andere Menschen, die in bundesdeutschen Großstädten auf der Straße leben, werden immer häufiger von ihren innerstädtischen Treffpunkten "vertrieben" - wie es im Szenejargon heißt. Von Polizei, Verwaltung oder Wachdiensten verhängte Aufenthaltsverbote verschlimmern die prekäre Situation der Betroffenen und behindern zudem Hilfsangebote. Zu dieser Auffassung kommen Prof. Hans Holm und Kilian Stumpf von der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen (KFH NW) in ihrer Untersuchung "Wem gehört die Stadt? Bestandsaufnahme von Aufenthaltsverboten auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Köln". Der Professor für Soziologie der Abteilung Köln der KFH NW interviewte zusammen mit dem Diplom-Statistiker und weiteren Studierenden der Hochschule 134 Menschen, deren Lebensmittelpunkt Straßen oder Plätze der Kölner Innenstadt sind.
Die Untersuchung sollte die Sicht der Betroffenen darüber erfassen, ob und in welchem Ausmaß in Köln bestimmten Personengruppen verboten wird, sich auf Plätzen und Straßen der Innenstadt aufzuhalten, wer mit welcher Begründung Aufenthaltsverbote ausspricht, wie sie durchgesetzt werden und welche Folgen sie haben. Mehr als zwei Drittel der Befragten berichteten, daß sie bereits einmal oder mehrmals von ihren Treffpunkten "vertrieben" worden seien. In einem Viertel der Fälle seien die "Platzverweise" ohne Begründung erfolgt. Rund die Hälfte der Betroffenen gab an, bei der Durchsetzung der Verbote aggressiv behandelt worden zu sein, ein knappes Viertel berichtete von körperlicher Gewalt.
Aufenthaltsverbote sind für Holm lediglich Scheinlösungen: "Wir haben es im wesentlichen mit einem Armutsproblem zu tun, das mit ordnungsrechtlichen Mitteln allenfalls kaschiert, verschleiert, aber keineswegs gelöst wird. Darüber hinaus werden Handlungsmuster, die die Betroffenen herausgebildet haben, um in der Armutslage zu überleben, zunichte gemacht." Die Autoren der Studie bezweifeln die Rechtmäßigkeit von Aufenthaltsverboten mit dem Hinweis auf entsprechende Rechtsgutachten und verweisen auf "angemessenere" Handlungsmöglichkeiten.
Um die Folgen der Aufenthaltsverbote einzuschätzen, wurden in dem Forschungsprojekt die Lebensumstände der Befragten in mindestens halbstündigen Interviews näher erkundet. Holm und Stumpf ordnen 55 Prozent der Befragten den "Berbern" (ältere Wohnungslose) zu, 29 Prozent den "Junkies" (Drogenabhängige), 9 Prozent den "Punks" ('auffälliges Aussehen') und 7 Prozent den "Trebern" (jugendliche "Ausreißer" bis 27 Jahre). In der Auswertung werden diese Gruppen verglichen und zusammenfassende Gruppenprofile erstellt.
Die Befragten leben vorwiegend von der Sozialhilfe (58 Prozent), von Lohn- oder Lohn-ersatzleistungen (35 Prozent) und vom Betteln (23 Prozent). Auch wenn die tatsächliche Wohnungslosigkeit für die Befragung keine Rolle spielte - es ging um den "Lebensmittelpunkt Straße" -, waren fast zwei Drittel der Befragten ohne festen Wohnsitz, der Rest war früher zum größten Teil einmal wohnungslos. Die Mehrzahl der Befragten, darunter ein Fünftel Frauen, lebt seit längerer Zeit in Köln und ist in Köln wohnungslos geworden. Für Holm handelt es sich also keineswegs um "Umherziehende", sondern um "ortsfeste, seßhafte Bürger dieser Stadt".
Bei allen Gruppen wird von Aufenthaltsverboten berichtet, besonders bei den "Junkies" (90 Prozent) und "Punks" (92 Prozent). Die Zahl derer, die negative Folgen der "Vertreibung" schildern, ist in allen Gruppen hoch. Nach eigenen Angaben erhalten drei Viertel der "Vertriebenen" Platzverweise mit einer Dauer bis zu einem Jahr. Mehr als 20 Prozent müssen Bußgelder bezahlen, durchschnittlich rund 1300 Mark, die Junkies bis zu 4000 Mark. Darüber hinaus gibt die Hälfte der Betroffenen an, zur Polizeiwache mitgenommen worden zu sein, ebenso wird von Festnahmen berichtet. Die Betroffenen beklagen, ihre Aufenthaltsorte zu verlieren und keine Möglichkeiten mehr zu haben, Kontakte zu knüpfen, Freunde zu treffen, Informationen auszutauschen oder Geld zu verdienen. Den Drogensüchtigen fällt es unter diesen Bedingungen besonders schwer, Kontakte zu Hilfsorganisationen oder "Streetworkern" aufrechtzuerhalten.
Holm kann der "repressiven Kölner Politik" gegenüber den Punks, Junkies, Berbern und Trebern keine positiven Seiten abgewinnen: "Aufenthaltsverbote sind nicht die einzige - geschweige zwingende - Alternative, mit den Armutslagen und deren Folgen umzugehen. Andere Kommunen zeigen, daß es differenziertere, humanere und angemessenere Handlungsstrategien gibt." Holm nennt hier die Städte Bonn und Frankfurt. Er verkennt nicht, daß "Vertreibung" zuweilen auch durch Regelverstöße und provozierendes Auftreten der Betroffenen ausgelöst wird. Das rechtfertigt für den in der Sozialarbeiter-Ausbildung tätigen Professor jedoch nicht das ordnungsrechtliche Vorgehen gegen alle Betroffenen. Er schlägt vor, die in Köln "zaghaft begonnene" Sozialberichtserstattung auszubauen, vorbeugende Hilfen bei Wohnungsnotfällen zu verbessern und die Betroffenen mit normalem Wohnraum zu versorgen.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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