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17.06.2009 10:17

Hohe Gewinne auf Kosten von Mitarbeitern, Kunden und Umwelt

Dr. Barbara Laaser (Pressestelle) Öffentlichkeitsarbeit/Pressestelle
Fachhochschule Gelsenkirchen

    Die Fachhochschule Gelsenkirchen bietet an ihrem Abteilungsstandort Recklinghausen in der kommenden Woche ein Symposium zur "Liberalisierung in der Elektrizitätswirtschaft" an. Es gibt die Ergebnisse eines zugehörigen zweijährigen Forschungsprojektes der Hans-Böckler-Stiftung wieder: Neue Unternehmensstrategien und Mitbestimmungskulturen angesichts liberalisierter Rahmenbedingungen in der Elektrizitätswirtschaft.

    Recklinghausen. Im Rahmen eines zweijährigen Forschungsprojektes der Hans-Böckler Stiftung haben sich die Professoren Dr. Heinz-J. Bontrup und Dr. Ralf-M. Marquardt von der FH Gelsenkirchen unterstützt von Dipl.-Ökonom Werner Voß mit den Auswirkungen der Liberalisierung in der Stromwirtschaft beschäftigt. Im Fokus standen dabei einerseits die Strategien und die Positionierung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU). Andererseits wurde untersucht, wie die Stromanbieter die veränderten Rahmenbedingungen in ihre Unternehmens- und Mitbestimmungskulturen weitergereicht haben. Die Autoren kommen zu nachfolgenden Ergebnissen:
    Mit der von der EU-Kommission angestoßenen Öffnung der Energiemärkte im Jahr 1998 beabsichtigte die Politik, Produktivitätsreserven zu bergen. Zugleich sollte die Versorgung gesichert bleiben und verstärkt den ökologischen Anforderungen gerecht werden. Im blinden Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes schlug Deutschland dabei einen einzigartigen Sonderweg ein und verzichtete zunächst auf eine Regu-lierungsbehörde.
    Zwar stellten sich in den EVUs bei massivem Arbeitsplatzabbau zwischen 1998 und 2007 Produktivitätsfortschritte von über 70 Prozent ein. An die Kunden weitergegeben wurden sie aber nicht. Nach Abzug staatlicher Belastungen kamen lediglich Preissenkungen von unter fünf Prozent zustande. Einer kurzen Phase intensivierten Wettbewerbs folgte nämlich dessen Aufhebung durch Machtkonzentration in den Händen der "Big 4" (E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall). Obwohl der Wettbewerb unterbunden wurde, diente die Drohung damit intern als Menetekel für eine Rationalisierung und eine Umverteilung von den Beschäftigten hin zur Kapitalseite. Die Shareholder waren so bislang die eigentlichen Begünstigten der Liberalisierung. Branchenweit legten die Gewinne nach Steuern bis 2006 um 118 Prozent zu. Besonders gut erging es dabei den Anteilseignern der "Big 4".
    Das klägliche Scheitern dieser naiven Politik war vorhersehbar. Denn wer bereits vermachtete, bis dahin aber wenigstens regulierte Märkte öffnet und dann aus ideologischer Überzeugung den Staat aus der Regulierung zurückzieht und wer darüber hinaus auf ein weichgespültes Wettbewerbsrecht vertrauen muss, darf sich nicht wundern, wenn der Wettbewerb als Selbstregulativ einer marktwirtschaftlichen Ordnung versagt. Liberalisierung braucht Regulierung! Diese Lektion scheint - allerdings viel zu spät - auch bei der Politik angekommen zu sein. Nachdem der deutsche Sonderweg zuvor von der EU-Kommission "abgewatscht" wurde, hat die Bundespolitik schrittweise nachreguliert, so dass nun zumindest zarte Indizien für eine Belebung der Konkurrenz auszumachen sind.
    Heikel erscheint die Liberalisierung auch mit Blick auf die Stromerzeugung. Bis 2020 werden rund 70 Prozent der vorhandenen Kapazitäten durch Neuinvestitionen zu ersetzen sein. Dies ist zwar selbst beim Ausstieg aus der Kernenergie möglich. Allerdings trägt der Wandel von der Versorgung zum Geschäft mit Strom angesichts hoher Unsicherheiten und der Besonderheiten der Branche zu investiver Zurückhaltung bei. Fraglich bleibt zudem, ob über den Markt in Zukunft ausreichende Spitzenlastkapazitäten bereitgestellt werden können. Auch eine umweltfreundliche Stromproduktion ist grundsätzlich erreichbar, von Seiten des Staates jedoch nicht planbar. Die kohlelastigen Ausbauprogramme lassen Skepsis aufkommen, ob die ökologischen Anreize ausreichen werden und ob nicht doch eine stärkere Rolle des Staates im Kapazitätsaufbau notwendig ist.
    Sollte sich der Wettbewerb zukünftig intensivieren, ergeben sich zwei zentrale Konfliktfelder: Erstens wird ein Abschmelzen der Monopolprofite über die Preis entlastende Wirkung das ökologische Ziel der Energieeinsparung unterlaufen. Um dies zu verhindern, bedarf es aber im Gegenzug einer verstärkten Einpreisung der Umweltverschmutzung. Zweitens wird sich die unternehmensinterne Auseinandersetzung zuspitzen. Bislang sind die Beschäftigten bei einer wachsenden Verteilungsmasse noch vergleichsweise ungeschoren davon gekommen. Wenn aber im Unternehmen der Gürtel enger geschnallt werden muss, dürfte es für die Arbeitnehmer angesichts der inzwischen verbreiteten Gewinnanspruchsmentalität in den EVUs ans Eingemachte gehen.
    Ohnehin haben sich die Unternehmenskulturen in den vergangenen Jahren schon erheblich gewandelt. Als Ergebnis von umfangreichen Befragungen ist festzustellen, dass der Druck zugenommen hat. Fast zwei Drittel der befragten Betriebsräte, die ansonsten in der Außenkommunikation gerne als Sprachrohr des Managements instrumentalisiert werden, berichteten, dass sich die allgemeinen Arbeitsbedingungen seit der Liberalisierung "verschlechtert" bzw. "stark verschlechtert" hätten. Die Untersuchung verdeutlicht zudem, dass der Alltag in den EVUs von einer modernen, demokratisch-partizipativen Unternehmenskultur noch weit entfernt ist. Defizite ergeben sich beispielsweise in der Unternehmensmitbestimmung, der internen Kommunikation, Personalführung sowie in der materiellen Beteiligung am Unternehmenserfolg.
    Vor besonderen Herausforderungen stehen angesichts der Kräfteverhältnisse und der hohen Bedeutung der verschärft regulierten Netze die Stadtwerke. Für die Belegschaft und den Zusammenhalt im Unternehmen wird es daher umso wichtiger sein, durch die Umsetzung demokratisch-partizipativer Strukturen gestärkt in die Auseinandersetzung einzutreten. Dann lassen sich auch die Chancen wahrnehmen, welche sich durch die neuen politischen Rahmenbedingungen bieten. Mit einer entsprechenden Strategie kann es den Stadtwerken gelingen, sowohl als wettbewerblicher Gegenpart zu den "Big 4" aufzutreten als auch zur nachhaltigen Entwicklung und Klimavorsorge sowie zu mehr Versorgungssicherheit beizutragen. Hinzu käme so eine Stärkung dezentraler kommunalisierter Strukturen.

    Autoren: Heinz-Josef Bontrup, Ralf-Michael Marquardt

    Ihr Medienansprechpartner für weitere Informationen:
    Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup, Recklinghäuser Fachbereich Wirtschaftsrecht der Fachhochschule Gelsenkirchen, Telefon (02361) 915-412 oder 915-400 (Dekanatssekretariat), Telefax (02361) 915-500, E-Mail heinz-josef.bontrup@fh-gelsenkirchen.de

    Um Ihnen als Medienvertreter eine unmittelbare Berichterstattung zu ermöglichen, laden wir Sie herzlich ein, an dem Symposium teilzunehmen:

    Liberalisierung in der Elektrizitätswirtschaft
    Donnerstag, 25.06.2009, 10:30 bis 17:00 Uhr, Hörsaal D in Bauteil 3,
    Hochschulstandort August-Schmidt-Ring 10 in Recklinghausen.
    Pressekonferenz: 13:00 bis 14:00 Uhr, Senatssaal (= Raum 2.110) in Bauteil 3

    Wir würden uns sehr freuen, eine Vertreterin oder einen Vertreter Ihrer Redaktion bei dieser Veranstaltung begrüßen zu dürfen.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Energie, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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