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12.12.2011 12:32

Weiße Blätter der Kulturgeschichte Weimars um 1900 getilgt

Constanze Alt Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Germanistin von der Universität Jena legt Buch zum „Fin de Siècle in Weimar“ vor

    Beschäftigte sich der Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena“ mit der klassisch-romantischen Epoche um 1800, so wendet sich PD Dr. Angelika Pöthe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena in ihrem neuesten Buch einem anderen kulturgeschichtlichen Zeitraum zu: Auch Weimar erlebte sein Fin de Siècle. 1885 setzte hier nicht nur die Arbeit an Goethes Nachlass, sondern auch eine intensive Rezeption der Moderne ein – nicht unabhängig voneinander, sondern in eindringlichem Austausch.

    „Fin de Siècle in Weimar“, so bemerkt Angelika Pöthe, nehme eine Fülle bisher unbekannten Archivmaterials auf und fülle mehrere weiße Blätter der Kulturgeschichte Weimars um 1900. Die bisherige Fin de Siècle-Forschung konzentriere sich in erster Linie auf die Metropolen. Obwohl bekannt sei, dass auch die Moderne in Deutschland bei aller internationalen Rezeptivität regional geprägt ist, existierten für Weimar bislang kaum wissenschaftliche Darstellungen, die seiner Bedeutung gerecht wurden.

    In ihrem aktuellen Buch untersucht Angelika Pöthe die hier entstehende Literatur. Dies gilt für die Neuklassik, die in ihrer Programmatik und in ihren gestalterischen Formen mit einer Entwicklungslinie der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert übereinstimmt. Autoren wie Wilhelm von Scholz oder Samuel Lublinski, die in ihren Texten eine neue Klassizität anstrebten, berührten sich mit Thesen Thomas Manns oder – um in Weimar zu bleiben – Harry Graf Kesslers. Geradezu zeitlos sei Scholz‘ Drama „Der Jude von Konstanz“, das zwar im Mittelalter spiele, dem aber bestürzend aktuelle Probleme immanent seien.

    Mit Friedrich Lienhard, Ernst Wachler und Adolf Bartels lebten und arbeiteten drei bekannte und sehr unterschiedliche Vertreter der Heimatkunst in Weimar. Sie waren keine provinziellen Randfiguren, sondern Kulturpolitiker, Journalisten, Theaterleute und Herausgeber von – räumlich und zeitlich – weiter Ausstrahlung. Bezieht man die Werke von Paul Quensel, Franz Herwig und Friede H. Kraze in die Betrachtung ein, so erkennt man die widersprüchliche Differenz weimarischer Heimatkunst zwischen sozialer Verantwortung, antiaufklärerischer Religiosität, lebensreformerischem Anspruch und völkischer Verengung.

    Vielen unbekannt ist, dass Weimar seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Zentrum der erstarkenden Frauenbewegung war. Hier wurde einer der radikalsten Frauenvereine gegründet. Hier wurden seine Schriften publiziert. In einer Weimarer Wohnung bedachte man die Gründung des ersten Mädchengymnasiums in Deutschland. Hier lebten und arbeiteten brillante Rednerinnen für die Emanzipation, etwa Natalie von Milde. Hedwig Kettler gab hier die Zeitschrift „Frauenberuf“ heraus. Auch die Weimarer Frauen beobachteten sozialen Alltag genau und kritisierten ihn scharf. Ihr Maß war jedoch ein konservatives: Dass vollendete Menschlichkeit Ziel aller Anstrengungen und Grundlage des Staates sein müsse – diese Überzeugung bewahrte das klassische Humanitätsideal in der Welt des Fin de Siècle.

    Die reiche Geselligkeit und Festkultur – von Salons über Vereine und Gelehrtenkreise bis zu Jubiläumsfeiern – werden in Pöthes Buch in wesentlichen Ausschnitten erkundet. Insbesondere das Vereinsleben, zu dem umfängliches Archivmaterial vorliegt, war bisher Desiderat der Forschung.

    Das Buch über das Fin de Siècle ist ein weiterer Baustein einer Kulturgeschichte, die nicht allein die Einwohner einer kleinen Provinz und Residenzstadt angeht. Die nach 1918 entstandene Republik nannte man nicht nur nach dem Tagungsort des Parlaments die „Weimarer“. Eine lebendige Erneuerung von Kultur, Weltbürgertum und Humanismus, die damals nicht erreicht wurde, bleibt über allen historischen Wandel Anspruch und Aufgabe.

    Bibliographische Angaben:
    Angelika Pöthe: „Fin de Siècle in Weimar. Moderne und Antimoderne 1885-1918“, Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2011, 406 Seiten, 39,90 Euro, ISBN 978-3-412-20182-1

    Kontakt:
    PD Dr. Angelika Pöthe
    Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena
    Fürstengraben 18, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944203
    E-Mail: angelika.poethe[at]uni-jena.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de


    Bilder

    Cover der neuen Publikation.
    Cover der neuen Publikation.

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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