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07.10.2002 13:56

Die Pflichten der "Untertanen": RUB-Publikation über den Schulalltag in deutschen Afrika-Kolonien

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Neben Deutsch und Mathematik stand auf dem Stundenplan, "dem deutschen Kaiser Treue und Gehorsam, Liebe und Erfurcht zu erweisen". Die Schul- und Bildungsarbeit in den ehemaligen deutschen Kolonien war sehr facettenreich und gehörte bislang zu den wenig erschlossenen Gebieten der Erziehungswissenschaft. Mit der kommentierten Quellensammlung "Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten" ist nun die erste und bislang einzige ihrer Art erschienen.

    Bochum, 07.10.2002
    Nr. 279

    Über die Pflichten von "Untertanen"
    Schulalltag in ehemaligen deutschen Afrika-Kolonien
    Quellensammlung deutsche Missions- und Kolonialpädagogik

    Neben Deutsch und Mathematik stand auf dem Stundenplan, "dem deutschen Kaiser Treue und Gehorsam, Liebe und Erfurcht zu erweisen". Die Schul- und Bildungsarbeit in den ehemaligen deutschen Kolonien war sehr facettenreich und gehörte bislang zu den wenig erschlossenen Gebieten der Erziehungswissenschaft. Christel Adick (Professorin für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der RUB) und Wolfgang Mehnert (vormals Professor für Vergleichende Pädagogik/Bildungswesen in Entwicklungsländern an der Uni Leipzig) lassen diese nun buchstäblich durch eine Zusammenschau von Schul- und Ausbildungsordnungen, Lehrplänen, Berichten aus dem Schulalltag und Korrespondenzen wieder aufleben. Die kommentierte Quellensammlung "Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten" ist die erste und bislang einzige ihrer Art.

    157 Dokumente zur Bildungspolitik

    Nach langjährigen Recherchen in evangelischen, katholischen und regierungsamtlichen Archiven haben Christel Adick und Wolfgang Mehnert unter der Mitarbeit von Thea Christiani 157 Dokumente zur Bildungspolitik in den deutschen Kolonien Togo, Kamerun, Ostafrika und Südwestafrika ausgewählt. Im ersten Teil veranschaulichen die Verfasser die Struktur und Praxis des Bildungswesens innerhalb der Kolonialgebiete. Insgesamt arbeiteten mehr als 20 deutsche, englische und amerikanische Missionsgesellschaften und -orden in den deutschen "Schutzgebieten". Ihnen ging es vorrangig darum, "die Eingeborenen" zu "guten Christen" zu erziehen. Nach der Jahrhundertwende erhöhten jedoch die Kolonialbehörden ihren Einfluss auf das Missionsschulwesen, um afrikanische Schulkinder zu leidlich vorgebildeten Hilfskräften für untere Beamtenstellen, als Handwerker für die Regierungsbezirke oder als Aufseher heranzubilden.

    Strenge Zucht und patriotische Lieder

    Ein Zuviel an Bildung sahen hingegen sowohl Missions- als auch Regierungsschulen als zu gefährlich an. Im Gegenteil, neben den Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen beschränkte sich die Bildung der Schüler darauf, diese zu "fügsamen Untertanen" zu erziehen, damit sie nicht "verkommen, sobald sie nicht in ganz strenger Zucht gehalten werden". Schüler mussten lernen, dass ihr Land das "deutsche Schutzgebiet Togo" ist, dass "alle Eingeborenen ... die 'Untertanen' des deutschen Kaisers" sind oder dass sie Streitigkeiten "vertrauensvoll vor den Leiter ihres Bezirks bringen und diesem den Sachverhalt wahrheitsgemäß erzählen" müssen. So nachzulesen in einer Anweisung des Gouverneurs von Togo über die "Pflichten der Eingeborenen gegenüber der Regierung" aus dem Jahre 1907. Schüleraufsätze, Stundenpläne oder auch der Erlass des Gouvernements von Togo über das Vortragen "patriotischer Lieder" sind weitere Bespiele für die vom Autorenteam zusammengetragenen anschaulichen Zeugnisse zu Lerninhalten, schulischem Alltag und Organisation des Schulwesens in den jeweiligen deutschen Afrikakolonien.

    Deutsch oder Suaheli?

    In einem zweiten Teil widmen sich Christel Adick und Wolfgang Mehnert speziellen Fragestellungen der Kolonialpädagogik, wie beispielsweise der Sprachenfrage. Gemäß einer Verordnung des Gouvernement von Togo aus dem Jahre 1905 war "in allen Schulen des Schutzgebietes ... als Gegenstand des Sprachunterrichts außer der Landessprache keine andere lebende Sprache zugelassen als die deutsche". In Deutsch-Ostafrika wurde dagegen in Suaheli unterrichtet. Auch heute ist in vielen afrikanischen Ländern nicht endgültig entschieden, ob die Verwendung der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht als Amtssprache und als Unterrichtssprache gänzlich abzuschaffen sei.

    Gute Gattin, Hausfrau und Mutter

    In einem eigenen Kapitel stellen die Autoren die Bildung der Mädchen dar. Ziel der schulischen Bildung von Mädchen war es, diese auf ihre spätere Rolle als christliche Gattin, Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Neben Handarbeitsunterricht und ähnlicher Arbeitserziehung in den Missionsschulen, existierte die so genannte Mädchenschule - eine Haushaltungsschule, die die Mädchen für eine spätere Tätigkeit als Dienstmädchen in weißen Haushalten qualifizierte. Briefe von Lehrerinnen oder Missionarsgattinen, die sich mit ihrer Rolle und Vorbildfunktion auseinander setzten, geben persönliche Einblicke in dieses Thema. Der zweite Teil des Buches wird abgerundet mit Kapiteln zur beruflich-praktischen Ausbildung, zum Lehrpersonal sowie den Ausbildungswegen von Afrikanern im damaligen Deutschland.

    Bildungspolitik global betrachtet

    Die umfangreiche Bibliographie thematisiert Fragestellungen und Probleme von weitreichender und aktueller Tragweite, indem sie koloniale Bildungsentwicklungen in einen globalen Blickwinkel rückt. Der Quellenband ermöglicht Interessierten, sich thematisch weiterzubilden und erfüllt darüber hinaus eine Servicefunktion für Forschung und Lehre.

    Titelaufnahme

    Adick, Christel; Mehnert, Wolfgang; unter Mitarbeit von Christiani, Thea: Deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in Dokumenten. Eine kommentierte Quellensammlung aus den Afrikabeständen deutschsprachiger Archive 1884-1914. (Reihe: Historisch-vergleichende Sozialisations- und Bildungsforschung Band 2). IKO-Verlag für interkulturelle Kommunikation; Frankfurt am Main, London 2001, 485 Seiten, broschiert, 39 Euro (ISBN 3-88939-237-7)

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Christel Adick, Ruhr-Universität Bochum, Institut für Pädagogik, Lehrstuhl Vergleichende Erziehungswissenschaft, Universitätsstr. 150, 44780 Bochum, Tel. +49-(0)234-32-22738 Fax +49-(0)234-32-14252, E-mail: Christel.Adick@ruhr-uni-bochum.de, http://www.ruhr-uni-bochum.de/ve/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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