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21.10.2013 14:35

Arzneimittelstudien in der DDR: UKJ-Arbeitsgruppe legt Verfahrensvorschlag vor

Stefan Dreising Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Jena

    Drei Studien untersucht / Intensive Aktensuche / Gemeinsame Arbeitsgruppe Jena-Halle-Leipzig setzt Arbeit nun fort

    Jena (ukj/dre). Die Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Jena (UKJ) zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Arzneimittelstudien westlicher Pharmafirmen in der damaligen DDR hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Als Ergebnis wird ein Vorschlag präsentiert, wie die Studien an den verschiedenen Kliniken der ehemaligen DDR überprüft werden können.

    Im Zentrum der Jenaer Machbarkeitsuntersuchung standen dabei drei Arzneimittelstudien, die während der 1980er Jahre in Jena durchgeführt wurden. Dabei handelte es sich um eine Studie mit dem Wirkstoff Mifepriston zum Schwangerschaftsabbruch, eine Studie mit Levoprotilin, einem Psychopharmakon aus der Gruppe der Antidepressiva, und eine Studie mit dem Wachstumshormon Somatotropin zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen mit Wachstumsstörungen.

    Prof. Dr. Klaus Höffken, Medizinischer Vorstand des UKJ, hatte die Arbeitsgruppe im Mai 2013 eingesetzt, um einen aktiven Beitrag zur Aufklärung zu leisten, ob die an weit über 50 Kliniken in der DDR seinerzeit durchgeführten klinischen Studien nach den geltenden gesetzlichen Vorschriften und ethischen Normen durchgeführt wurden. Mit Erarbeitung des Prüfverfahrens gibt die Jenaer Arbeitsgruppe die weitere Aufarbeitung nun an eine neue gemeinsame Forschergruppe der Universitätskliniken Jena, Halle und Leipzig weiter.

    Erster Schritt für gesamtdeutsche Einordnung

    „Diese Analyse ist ein erster Schritt für eine nötige gesamtdeutsche und standortübergreifende Bewertung der damaligen Studien westlicher Unternehmen in Kliniken der DDR. Für den Klinikstandort Jena konnten wir bestätigen, dass Patientinnen und Patienten an Studien westlicher Pharmafirmen beteiligt waren. Zudem haben wir eine wissenschaftliche Arbeitsweise entwickelt, die nun auch standortübergreifend Vergleiche ermöglicht. Damit haben wir ein wichtiges Ziel erreicht“, so Prof. Höffken. Er stellt jedoch auch klar: „Die Frage, ob die damaligen Studien sachgerecht und rechtskonform durchgeführt wurden, können wir jetzt noch nicht beantworten.“ Zwar habe die Arbeitsgruppe keinen Hinweis auf Verstöße gegen damals gültige Rechtsvorschriften gefunden, allerdings auch keine eindeutigen Belege zur Einhaltung der Rechtsvorschriften, so Prof. Höffken. Die Arbeit habe sich zudem auf die klinische Ebene beschränkt und politische bzw. gesellschaftliche Dimensionen in diesem Stadium der Aufarbeitung nicht bearbeiten können.

    Die Suche nach entsprechenden Patientenakten, die Hinweise auf mögliche Studien enthielten, war extrem mühsam, da der Arbeitsgruppe zunächst keinerlei Prüfpläne oder Studienprotokolle zur Verfügung standen. Anhand der Vorrecherchen des Medizinhistorikers Dr. Rainer Erices (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), externes Mitglied der Arbeitsgruppe, wurden in den Archiven des UKJ und im Archiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena große Mengen von Akten einzeln per Hand gesucht und gelesen. Eine digitale Suche war nicht möglich. Höffken: „Für diese Arbeit bedanke ich mich speziell bei Privat- Dozent Dr. Joachim Bauer, dem Leiter des Jenaer Universitätsarchivs. Mein Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe und in den Kliniken sowie den Zeitzeugen, mit denen wir sprechen konnten.“ Medizinhistoriker Erices geht davon aus, dass am Jenaer Klinikum in den 1980er Jahren mindestens 34 solcher Studien durchgeführt wurden. Damit läge Jena „im Mittelfeld “ der universitären Kliniken und der damaligen Medizinischen Akademien der DDR, so Erices.

    Nicht immer konnten bei der Recherche in den Archiven tatsächlich Akten gefunden werden. Beispiel Mifepriston: Anhand der Vorrecherchen von Dr. Erices im Bundesarchiv in Berlin stand fest, dass an dieser Medikamentenprüfung im Jahr 1988 in Jena insgesamt 50 Frauen beteiligt waren. Ihnen wurde das Mittel ambulant zum Schwangerschaftsabbruch verabreicht. Das Problem für die Arbeitsgruppe: Ambulante Patientenakten werden nach zehn Jahren bereits vernichtet, sie standen damit der Arbeitsgruppe nicht zur Verfügung. Die Medikamentenprüfung wurde seinerzeit in der Frauenklinik durchgeführt. Seit 1999 ist der Wirkstoff Mifepriston in Deutschland zum Schwangerschaftsabbruch zugelassen.

    In einem weiteren Schritt wurde nach Patientenakten zur Prüfung der Substanz Levoprotilin gesucht. Anhand einer zu dieser Studie in den 1990er Jahren angefertigten Dissertation gelang es, für den infrage kommenden Zeitraum (1987 bis 1989) fast 600 Patientenakten zu identifizieren. Aus dieser Menge von Akten mussten nun per Einzelanalyse die Akten herausgefiltert werden, die Hinweise zu einer möglichen Studienteilnahme enthielten. An dieser Studie in der damaligen psychiatrischen Klinik, bei der die angsthemmende Substanz untersucht wurde, nahmen 20 Patienten teil. Insgesamt sieben Patientenakten enthielten einen Nachweis zur Studienteilnahme. Dr. Erices: „Diese Akten legen den Schluss nahe: Die Studie war Bestandteil des klinischen Alltags. So enthalten die Akten Informationen zum Start der Studie, zum Ende, zu Laboruntersuchungen im Kontext der Studie, Überweisungsberichte zu anderen Ärzten, in denen teilweise explizit auf die Studienteilnahme hingewiesen wird.“ Es fand sich kein Hinweis darauf, dass die Patienten nicht wussten, dass sie an einer Studie teilnahmen. In zwei Fällen wurde direkt vermerkt, dass die Patienten wussten, dass sie an einer Studie teilnahmen. Jedoch: Patientenaufklärungsbögen enthielten die gefundenen Akten nicht. Dr. Erices: „Das sind enorm wichtige Erkenntnisse. Ohne die Unterstützung und das enorme Engagement der heutigen Klinikleitung hätten wir diese Akten sicher nicht finden können.“

    Durch weitere klinikinterne Hinweise erfolgte ergänzend eine Recherche zu einer Studie aus den Jahren 1986 bis 1990 in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Wachstumshormon Somatotropin. Dieser Wirkstoff ist heute in Deutschland zugelassen. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge waren an dieser Studie mindestens 16 Kinder und Jugendliche in Jena beteiligt. Jena war dabei einer von mehreren Studienorten neben Berlin und Leipzig. „Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die standortübergreifende Suche nach Akten und eine gemeinsame Analyse ist, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen“, so Prof. Höffken. Die Recherche nach Patienten- und insbesondere nach Studienakten hierzu konnte noch nicht abgeschlossen werden. Hier soll nun auch an anderen Klinikstandorten und in Archiven der beteiligten Kliniken gesucht werden.

    Gemeinsame Forschergruppe Jena-Halle-Leipzig setzt Arbeit fort

    Diese Arbeit wird nun fortgesetzt in einer gemeinsamen medizinhistorischen Forschergruppe der drei Universitätsstandorte Jena, Halle-Wittenberg und Leipzig. Leiter der Arbeitsgruppe ist Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Diese Arbeit soll finanziert werden durch das Thüringer Wissenschaftsministerium sowie die drei beteiligten Standorte. Die Forschergruppe will auch eng mit der u.a. durch Bundesmittel geförderten Forschergruppe der Berliner Charité zusammen arbeiten. Prof. Steger: „Wir wollen für Mitteldeutschland diese Aufarbeitung systematisch weiter gestalten. Dazu zählen lokale Projekte in den Kliniken, also Archivarbeit vor Ort, um dann diese Ergebnisse zusammenzuführen.“ Er hofft zudem, auch den Kreis der teilnehmenden Kliniken eventuell zu erweitern, um ein möglichst komplettes Bild für Mitteldeutschland zu erhalten. Steger: „Vielleicht können wir ja auch Kliniken in kommunaler oder privater Trägerschaft oder auch weitere Universitätskliniken für eine Mitarbeit gewinnen.“

    „Uns war wichtig, dass die Arbeit vernetzt weitergeht und wir auch in den kommenden Jahren einen eigenen Beitrag leisten. Zudem haben wir ein Verfahren dargestellt, auf welchen Wegen auch Hinweise zu Studien gefunden werden können“, so UKJ-Vorstand Prof. Höffken. Dazu zähle auch die Sichtung wissenschaftlicher Literatur: „Die Wissenschaft hat die Ergebnisse dieser Studien zum Teil offen mitgeteilt und in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht. Das ist ein nicht unbedeutender Weg zum Erkenntnisgewinn, falls es keine Patientenakten mehr gibt. Umfassende Einblicke können die Studienakten geben. Die liegen aber in der Regel nicht in den Klinikarchiven.“

    Patienten, die annehmen oder wissen, dass sie an einer der Arzneimittelstudien zu Zeit der DDR am Klinikum in Jena beteiligt waren, können sich wenden an:

    Kontakt:
    Universitätsklinikum Jena
    Tel. 03641/934 382
    transparenz@med.uni-jena.de

    Das UKJ betont ausdrücklich, dass keine Aussagen zur Praxis an anderen Klinikstandorten getroffen werden und das Ergebnis der Machbarkeitsuntersuchung keine Bewertung der Studiendurchführungen darstellt.

    Der Abschlussbericht ist auf der Homepage des UKJ, www.uniklinikum-jena.de, abrufbar („Aktuell“).

    Kontaktdaten für Medienanfragen:

    Universitätsklinikum Jena
    Stefan Dreising
    Stabsstelle Unternehmenskommunikation
    Stefan.dreising@med.uni-jena.de
    Tel. 03641/934 382

    Dr. Rainer Erices
    rainer@erices.de
    Tel. 0163/5026407

    Prof. Dr. Florian Steger
    Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der
    Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Tel. 0345 / 557 35 50


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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