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01.10.2014 11:52

Passionsblumen und Kolibris - Evolution im Wechselschritt

Luise Dirscherl Stabsstelle Kommunikation und Presse
Ludwig-Maximilians-Universität München

    Passionsblumen mit langer Blütenröhre sind hoch spezialisiert: Nur der Schwertschnabelkolibri kann sie bestäuben. Aber die Evolution hin zu einer so extremen Anpassung ist keine Einbahnstraße, wie eine neue Studie zeigt.

    Die Blüten der Passionsblumen gehören zu den auffallendsten und attraktivsten im Pflanzenreich. Extrem lange Blütenröhren sind dabei das Markenzeichen zahlreicher Arten der Passiflora-Untergruppe Tacsonia. Für ihre Bestäubung sind diese Passionsblumen auf eine einzige Tierart angewiesen: Den Schwertschnabelkolibri Ensifera ensifera. Mit einer Schnabellänge von etwa 11 cm und einer entsprechend langen Zunge ist Ensifera als einziger Kolibri in der Lage, den Nektar am Grund der 6-14 cm langen Blütenröhren zu erreichen. Dabei kommt er im Kopfbereich mit den Pollenkörnern in Berührung, trägt sie zur nächsten Passionsblume und bestäubt diese – da Passionsblumen sich nicht selbst befruchten können, deren einzige Fortpflanzungsmöglichkeit.

    „Dieser Bestäubungsmodus ist das Ergebnis einer im Lauf der Evolution entstandenen hoch-spezialisierten Anpassung “, sagt die LMU-Biologin Professor Susanne Renner. „Solche Spezialisierungen brauchen Zeit, deshalb herrschte lange die Meinung vor, dass sie im Lauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung nur weiter ausgebaut, aber nicht zurückgefahren werden“. Aber die Evolution ist keine Einbahnstraße: Mithilfe einer sogenannten molekularen Uhr konnte Renner mit ihren Mitarbeitern Stefan Abrahamczyk (inzwischen Uni Bonn) und Daniel Souto-Vilarós nun nachweisen, dass die Abhängigkeit von der Bestäubung durch Ensifera innerhalb erdgeschichtlich kurzer Zeiträume mehrmals auch wieder rückgängig gemacht wurde.

    Familienstammbaum zeigt Evolution im Rückwärtsgang

    Die molekulare Uhr basiert auf einem Vergleich des Erbguts: „Wir haben Gensequenzen von insgesamt 43 Arten der Unterfamilie Tacsonia untersucht“, erklärt Abrahamczyk, „darunter waren 26 Arten mit extrem langen Blütenröhren und 17 Arten mit kürzeren Blütenröhren, von denen 13 von kurzschnabeligen Kolibris und 4 von Fledermäusen bestäubt werden“. Dann ermittelten die Wissenschaftler anhand der genetischen Unterschiede, wann und aus welchen Stammformen neue Arten hervorgingen. Das Prinzip dabei: Spalten sich zwei Arten von einem gemeinsamen Vorfahren ab, sammeln sie im Lauf der Zeit genetische Veränderungen an – jede Art für sich. Je länger die Trennung zurückliegt, desto größer und zahlreicher sind die Unterschiede.

    Der Blick in die Geschichte von Tacsonia zeigt: Die Entwicklung langröhriger Tacsonia-Arten begann vor etwa 11 Millionen Jahren. Ob die Urahnen der langröhrigen Passionsblumen von Bienen oder bereits von kurzschnabeligen Kolibris bestäubt wurden, lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen, aber es gibt starke Hinweise für eine von Beginn an enge Koevolution mit Ensifera, der sich ungefähr zur selben Zeit von einer kurzschnabeligen Schwesterart abspaltete. „Innerhalb der letzten zwei bis vier Millionen Jahre – im Maßstab der Evolution also innerhalb sehr kurzer Zeit – spalteten sich von langröhrigen Tacsonia-Arten aber auch mehrere neue Arten ab, die von einer Befruchtung durch Ensifera zu einer durch Kolibris mit kürzeren Schnäbeln oder durch Fledermäuse zurückkehrten“, sagt Renner. Damit war sowohl eine drastische Verkürzung der Nektarröhre verbunden als auch in einigen Fällen eine Veränderung der Blütenfarbe von rot – was für Kolibris besonders gut sichtbar ist – zu grünlich/weiß, was die nachtaktiven Fledermäuse gut sehen.

    Der Spezialisierungsfalle entkommen

    Die Wissenschaftler vermuten, dass der Wechsel zu anderen Bestäubern durch Veränderungen des Lebensraums angestoßen wurde und dass bei der Artbildung geographische Barrieren eine Rolle spielten, wahrscheinlich Rahmen der Auffaltung der Anden. Geologisch gesehen sind die Hochanden ein junges Gebirge und wichtige Auffaltungsphasen fallen in Zeiträume, in denen die Abspaltung neuer Tacsonia-Arten begann. Tacsonia kommt ausschließlich in Nebelwäldern der südamerikanischen Anden in Höhen zwischen 1700m und 4000m vor. In diesen Höhenlagen gibt es außer Ensifera keinen Bestäuber, der eine Zunge oder einen Rüssel in der für langröhrige Passionsblumen erforderlichen Länge hat.

    „Ensifera ist zwar ein sehr effektiver Bestäuber, aber die Abhängigkeit von einer Spezies birgt auch ein Risiko. Tatsächlich gibt es mehrere Tacsonia-Arten, die wegen der Zerschneidung und Verkleinerung des Lebensraums ihres einzigen Bestäubers lokal bereits ausgestorben sind“, sagt Renner. „Daher kann es vorteilhaft sein, die hoch spezialisierte enge Anpassung an nur einen Bestäuber auch wieder aufzugeben – die von uns untersuche Gruppe langröhriger Passionsblumen ist ein gutes Beispiel für ein solches evolutionäres Wechselmodell“.
    Proceedings of the Royal Society B 2014
    göd

    Publikation:
    Escape from extreme specialization: Passionflowers, bats and the sword-billed hummingbird
    S. Abrahamczyk, D. Souto-Vilaros and S. S. Renner
    Proceedings of the Royal Society B
    2014
    http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/281/1795/20140888.abstract

    Kontakt:
    Prof. Dr. Susanne Renner
    Division of Systematic Botany and Mycology
    Department of Biology, LMU Munich
    Phone: +49 (0) 89 17861-257 (Secretary’s Office)
    Fax: +49 89 172638
    Email: renner@lrz.uni-muenchen.de
    Web: http://www.sysbot.biologie.uni-muenchen.de/en/people/renner


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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