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15.04.2003 10:47

Hilfen anbieten, um Herr der eigenen Entwicklung zu werden

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Universität Jena baut "Center for Applied Developmental Science" auf

    Jena (15.04.03) Von der Wiege bis zur Bahre verändert sich der Mensch. "Es existiert ein beständiger Wandel über die Zeit", weiß Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen von der Universität Jena. Neben dem Wechselspiel zwischen genetisch bedingten Prozessen und Einwirkungen der Umwelt beeinflusst auch das Individuum seine Entwicklung mit dem Alter zunehmend aktiv, so der Entwicklungspsychologe. Seine Disziplin beschäftigt sich seit langem mit den Ursachen und Wirkungen dieses Prozesses. Doch die Entwicklung des Individuums betrifft auch Fragestellungen zahlreicher anderer Disziplinen, wie der Soziologie, Medizin und Biologie. Dies in der Forschung zu übersehen führt "notwendigerweise zu Fehleinschätzungen", weiß der Psychologe - und steuert gegen: mit der Gründung einer interdisziplinären Forschungsinstitution an der Universität Jena. Hier wird jetzt das "Center for Applied Developmental Science" (CADS) aufgebaut.

    Das Jenaer Center ist in seiner Ausrichtung "einmalig in Deutschland", unterstreicht Silbereisen, ohne zu verhehlen, dass er sich an amerikanischen Vorbildern orientiert. Weltweit gibt es rund zehn vergleichbare Institutionen, an denen Angewandte Entwicklungswissenschaft betrieben wird - ein Kooperations-Netzwerk soll die Jenaer Einrichtung mit ihnen verbinden, unter anderen mit der Pennsylvania State sowie der Tufts University in den USA. Dazu erhält CADS ein internationales Beratergremium und zwei ständige Gastprofessuren, die globales Know-how und Flexibilität in der Forschung nach Jena bringen werden. Silbereisens Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie eingeschlossen werden inklusive der zeitweise tätigen Gastwissenschaftler insgesamt vier Professoren sowie sieben wissenschaftliche und einige technische Mitarbeiter die Entwicklungsprozesse und ihre Beeinflussbarkeit erforschen. Finanziert wird das Center, dessen offizieller Start mit einer internationalen Konferenz für Mai 2004 geplant ist, durch die Universität, den Freistaat und Stiftungen. "Außerdem wird die Einwerbung von erheblichen Drittmitteln erwartet", wie Universitäts-Kanzler Dr. Klaus Kübel unterstreicht. Dem sieht Prof. Silbereisen gelassen entgegen, da im CADS Fragestellungen von großer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung untersucht werden. Der Psychologe denkt dabei auch an Forschungen und Politikberatung zu Desastern und deren langfristigen Folgen, deren Wichtigkeit nicht zuletzt das Erfurter Schul-Massaker drastisch vor Augen geführt hat. Die Qualität von CADS soll daher auch nach fünf Jahren evaluiert werden - auf Silbereisens Wunsch.

    Für ihn war das Center der ausschlaggebende Grund, in Jena zu bleiben. Er hatte einen Ruf an die International University Bremen - "die Chance meines Lebens", wie der seit 1994 an der Uni Jena tätige Psychologe betont. "Wir haben uns sehr bemüht, Herrn Silbereisen in Jena zu halten", sagt Prof. Dr. Karl-Ulrich Meyn. "Denn er hatte maßgeblichen Anteil am so erfolgreichen Aufbau der Psychologie in Jena, die nicht zuletzt im letzten Ranking erneut ihre Spitzenposition bewiesen hat", unterstreicht der Rektor. "Das neue Projekt eröffnet außerdem interessante Perspektiven für die weitere Internationalisierung der Universität", so Meyn. Das hohe Engagement von Universität und Land, das Center zu etablieren, hielt Silbereisen an der Friedrich-Schiller-Universität. "Nicht zu vergessen, dass meine Familie und ich uns in Jena sehr wohl fühlen", fügt er hinzu.

    Mit CADS, "das die Sozial- und Verhaltenswissenschaften in Jena weiter stärken wird", sollen nun die Forschungen an seinem Lehrstuhl erweitert werden. Entwicklung bedeutet für das Individuum die Zunahme von Komplexität und Organisation, neue Funktionen und Kompetenzen entstehen auf allen bio-psycho-sozialen Ebenen, erläutert er. "Unser Verhalten und Erleben verändert sich dank des Zusammenspiels all dieser Ebenen über die gesamte Lebensspanne", weiß der 58-jährige Psychologe. Die Beziehung zwischen diesen Faktoren soll jetzt in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen genauer erforscht werden. Ziel ist dabei nicht nur die reine Erkenntnis. Sie soll genutzt werden, um Präventivmaßnahmen zu entwickeln. Fehlanpassungen wie beispielsweise antisoziales Verhalten sollen durch ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert und die Entwicklung von Kompetenz auch im hohen Alter optimiert werden. Beides sind Aufgaben, deren Dringlichkeit sich aus den steigenden sozialen Konflikten in unserer Gesellschaft und den dramatischen Veränderungen der Alterspyramide ergeben. Heutige Präventionsprogramme werden "viel zu häufig nur intuitiv entworfen, meist ohne Verständnis der Ursachen", sagt der Psychologe. Die Jenaer CADS-Gruppe will Maßnahmen entwickeln, die auf den Erkenntnissen über die Ursachen beruhen - und damit Präventionsprogramme effektiver gestalten und ihren Erfolg nachprüfbar machen. Um dies zu erreichen, wird es am Center einen "engen Schulterschluss zwischen Forschung und Anwendung geben, dessen Ergebnisse auch für die Politik interessant sind", unterstreicht Silbereisen.

    Das Jenaer Kompetenzzentrum will dafür Grundlagenforschung mit Maßnahmen zur Prävention und Optimierung von Entwicklung in internationaler Zusammenarbeit verbinden. Wissenschaftliches Training und Ausbildung für Graduierte aus dem In- und Ausland sollen ebenso angeboten werden wie Tagungen, die sich ebenfalls an Wissenschaftler und Praktiker richten werden. Vieles davon findet eine Basis in Forschungen, die Silbereisens Team bereits bearbeitet. So werden z. B. die Prozesse untersucht, die es Menschen erlauben, ihre Ziele und Kompetenzen anzugleichen, wenn sich ihr soziales und politisches Umfeld umfassend ändert, wie anlässlich der deutschen Vereinigung. Gleichermaßen werden bereits die Folgen von Einwanderung und demographischem Wandel untersucht. Gründungsberatung gehört genauso zum Themenfeld wie die Entwicklung von Lebenskompetenz-Programmen für Jugendliche, deren positive Entwicklung gefährdet ist. All dies wird dabei helfen, dass die menschliche Entwicklung nicht länger wie ein zufälliges Puzzle erscheint, dem man sich ausgesetzt sieht. "Wir wollen dabei helfen, dass wir alle mehr als bisher Herr - oder Frau - der eigenen Entwicklung werden", steckt Silbereisen das Ziel sehr hoch - "das Programm der angewandten Entwicklungswissenschaft kann dies leisten", ist er sich sicher.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen
    Institut für Psychologie der Universität Jena
    Am Steiger 3 / Haus 1, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 945201
    Fax: 03641 / 945202
    E-Mail: Rainer.Silbereisen@rz.uni-jena.de


    Bilder

    Prof. Silbereisen initiiert das deutschlandweit einmalige Center für Angewandte Entwicklungswissenschaft an der Uni Jena. (Foto: FSU-Fotozentrum)
    Prof. Silbereisen initiiert das deutschlandweit einmalige Center für Angewandte Entwicklungswissensc ...

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Personalia
    Deutsch


     

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