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25.06.2019 13:27

Science Fiction statt Western - "Native American Futurities"

Kathrin Fischer Präsidium
Europa-Universität Flensburg

    Internationaler DFG-Auftaktworkshop zu indigen-amerikanischen Kulturen in Flensburg

    Unter dem Titel "Indigenous North American Futurities: Archives, Source Codes, Beginnings" fand an der Europa-Universität Flensburg ein internationaler Auftaktworkshop zu dem DFG-geförderten Projekt "Wissen (über)Morgen 2.0: Indigen-Nordamerikanische Zukunftsarchive des 21. Jahrhunderts" statt. Am 17. Juni 2019 trafen sich Gastwissenschaftler*innen aus Europa, den USA und Kanada, um über Zukunftsdarstellungen in literarischen Texten, Filmen und Museen der Ureinwohner*innen Nordamerikas zu diskutieren.

    Die Amerikanistinnen Kristina Baudemann und Birgit Däwes hatten unter anderem Grace Dillon (Portland State University), Ho'esta Mo'e'hahne (University of California at Los Angeles) und Sarah Henzi (Université de Montréal) eingeladen, um literarische und kulturelle Darstellungen von Zukunft aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln zu beleuchten. Grace Dillon (Anishinaabe und Herausgeberin des ersten Sammelbandes zu indigen-amerikanischen Science-Fiction Texten) verwies in ihrem Keynotevortrag vor allem auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen von Zeitlichkeit in indigenen Texten: während westliche Wissenschaft Zeit meist als lineare, separate Dimension versteht und die Zukunft als vorausgerichtete, von der Gegenwart und Vergangenheit getrennte Ebene, weisen indigen-amerikanische Wissenssysteme Konzepte der Zeit nicht-binäre, zyklische und inklusive Eigenschaften zu. Wie sich in zahlreichen, nicht nur zeitgenössischen Erzählungen indigener Kulturen deutlich zeigen lässt, seien physikalische Phänomene wie Schwarze Löcher, Raumzeitkrümmung oder parallele Universen seit jeher fester Bestandteil indigenen Wissens, betonte Dillon.

    Weitere Vorträge widmeten sich der Gattung des Zombie-Films als Allegorie für eine (aus Sicht der indigenen Bevölkerung) bereits durch koloniale Gewalt vollzogene Apokalypse (Henzi), queerer indigener Lyrik als Ausdrucksform urbaner Identität (Mo'e'hahne), sowie indigen-kanadischer (Susemihl) und indigen-amerikanischer (Däwes) Interventionen gegen veraltete Museumsdarstellungen durch eigene, mit Zukünftigkeit durchwirkte Ausstellungskonzepte.

    Während indigen-amerikanische Kulturen aus westlicher Sicht noch immer stark mit der Vergangenheit verknüpft zu sein scheinen (wovon aktuell in Schleswig-Holstein die Karl-
    May-Festspiele wieder zeugen), sind Science-Fiction, übernatürliche Phänomene wie Zombies, Dämonen oder Windigos/Werwölfe, digitale Netzstrukturen, experimentelle Lyrik oder Ausstellungen indigener Kunst z.B. in Disneyworld weder "unerwartet" noch "neu", sondern vielmehr die logische Weiterentwicklung indigener Wissenstraditionen.

    Das Forschungsprojekt "Wissen (über)Morgen 2.0: Indigen-Nordamerikanische Zukunftsarchive des 21. Jahrhunderts" wird diese Fragestellungen weiter ausbauen und sich insbesondere mit der Umsetzung indigen-nordamerikanischer Zukunftskonzepte in digitalen Medien, VR-Installationen, Videospielen und Museen auseinandersetzen. Denn indigene Autor*innen, Künstler*innen und Wissensträger*innen setzen seit Jahrzehnten den kolonialen Vorstellungen des Aussterbens und Verschwindens ihre eigenen Bilder indigener Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit entgegen. Diese Darstellungen sind in den Literatur- und Kulturwissenschaften gut erforscht, wovon nicht zuletzt das eigenständige Forschungsgebiet der Transnational Indigenous Studies zeugt. Seit einigen Jahren jedoch gewinnt eine neue Bewegung zunehmend an Bedeutung: eine Vielzahl indigener Werke – etwa der Science-Fiction-Schriftsteller*innen Rebecca Roanhorse (Ohkay Owingeh) und Daniel H. Wilson (Cherokee), der Multimedia-Künstlerinnen Elizabeth LaPensée (Anishinaabe) und Skawennati (Mohawk), der Künstler*innen Ryan Singer (Diné) und Debra Yepa-Pappan (Jemez Pueblo), der Dramatiker*innen Kite (Oglala Lakota) und Cliff Cardinal (Cree), und des indigenen Musikkollektivs A Tribe Called Red – widmet sich der Frage, wie die Zukunft aussehen könnte, wenn indigene Epistemologien, Künste, Sprachen, Traditionen und Zeit- und Geschichtsverständnisse als primäre Referenzsysteme dienen. In Zeiten von Klimawandel, gesellschaftlicher Veränderung und ‚social media activism‘ erforschen diese Autor*innen und Künstler*innen alternative Zukunftsvorstellungen, die im Zeichen der gelebten ‚indigenen Apokalypse‘ stehen und auf traditionelle Wissenssysteme zurückgreifen. Der Begriff der Indigenous Futurisms – eingeführt von der Anishinaabe-Forscherin Grace Dillon – beschreibt diese transnationalen, intermedialen und interdisziplinären Überlegungen zu indigener Zukunft.

    Das DFG-Forschungsprojekt „Wissen (über) Morgen/ Knowing Tomorrow“ untersucht nicht nur indigen-nordamerikanische Zukunftsvorstellungen, sondern auch die semantischen Veränderungen der Referenzsysteme – materieller und semiotischer ‚Archive‘ – aus denen solche Vorstellungen erwachsen. Es leistet damit auch zur Neuverhandlung des literarischen Kanons der USA und Kanadas einen Beitrag. Das Projekt ist auf zweieinhalb Jahre angelegt und widmet sich der Zukunftssemiotik in indigenen Museen, digitalen Medien und visueller Kunst.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Birgit Däwes
    Europa-Universität Flensburg
    Auf dem Campus 1
    24943 Flensburg
    +49 461 805 2836
    birgit.daewes@uni-flensburg.de


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-flensburg.de/englisch/forschung-projekte/native-futures/


    Bilder

    Sarah Henzi, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Däwes, Geneviève Susemihl, Ho'esta Mo'e'hahne, Kristina Baudemann, Grace Dillon, PH.D.
    Sarah Henzi, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Däwes, Geneviève Susemihl, Ho'esta Mo'e'hahne, Kristina Baudema ...
    Kathrin Fischer
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Philosophie / Ethik, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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