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10.10.2019 11:28

Mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus: Keiner wollte Verantwortung übernehmen

Karla Götz Hochschulkommunikation und -marketing
Universität Bremen

    Eine Studie der Universität Bremen unter Leitung der Universität Oldenburg gibt Hinweise darauf, dass Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohner sehr häufig in Notaufnahmen oder Krankenhäuser geschickt werden, auch wenn diese Besuche gar nicht nötig gewesen wären. Die Zahl ist deutlich höher als im internationalen Vergleich. Versorgungsforscher suchen nach Alternativen, um die Situation der Pflegebedürftigen zu verbessern.

    Pflegeheimbewohner werden häufig in Notaufnahmen und Krankenhäusern behandelt. „Zu häufig“, sagt Dr. Guido Schmiemann. Der Mediziner und Versorgungsforscher ist an der Studie HOMERN beteiligt. Die Abkürzung steht für „Hospitalisierung und Notaufnahmebesuche von Pflegeheimbewohnern“. Im Kern geht es darum, herauszufinden, wie häufig und warum die Betroffenen in Krankenhäuser eingeliefert werden. Außerdem sollen Versorgungsdefizite aufgedeckt und Verbesserungsmaßnahmen vorgeschlagen werden.

    Unerwünschte Folgen für Betroffene

    Nach drei Jahren Forschung liegen nun konkrete Zahlen und Informationen vor. In Deutschland leben etwa 800.000 Menschen in Pflegeheimen. Mit steigender Tendenz. Pflegeheimbewohner haben oft chronische Erkrankungen, nehmen mehrere unterschiedliche Medikamente ein und haben körperliche oder kognitive Einschränkungen. Sie werden deshalb häufig im Krankenhaus behandelt. „In Deutschland wesentlich häufiger als im internationalen Vergleich“, mahnt Dr. Guido Schmiemann. Krankenhausaufenthalte können unerwünschte Folgen für die Betroffenen haben: Infektionsgefahr oder steigende Verwirrtheit. Schmiemann ist selbst Facharzt für Allgemeinmedizin und betreut auch Menschen in einem Pflegeheim. In der Abteilung Versorgungsforschung des Instituts für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen ist er als Wissenschaftler tätig und verantwortet einen Teilbereich der Studie HOMERN.

    Wer hat die Entscheidung getroffen?

    Um herauszufinden, wer wann welche Entscheidungen für eine Einweisung trifft und welcher Mechanismus dahintersteckt, haben er und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin, Alexandra Pulst, 14 Pflegeheime in Bremen und umzu in die Studie einbezogen. 802 Bewohnerinnen und Bewohner wurden erfasst. Die Hälfte von ihnen war dement, ein Viertel über 90 Jahre alt. 627 Krankenhausaufenthalte ergibt die Statistik. „Wobei,“, so Dr. Schmiemann, „das nicht Personen sind, sondern die tatsächliche Zahl der Notaufnahmen und Krankenhausaufenthalte“. Darunter fielen auch Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohner, die im Verlauf eines Jahres mehrfach in ein Krankenhaus transportiert werden mussten.
    „Im statistischen Mittel gesehen sind es 0,78 Ereignisse dieser Art pro Bewohnerin oder Bewohner im Jahr“. Zwölf Monate lang haben sich die Forschungsteams aus Bremen und Oldenburg die Pflegeheime angeschaut und das Geschehen in Fragebögen erfasst. Warum ist der oder die Betroffene ins Krankenhaus gebracht worden? Weshalb? Was war die Diagnose? Wer hat sie gestellt? Wer hat die Entscheidung getroffen? Wie lange war die Verweildauer im Krankenhaus? Hat die Patientin oder der Patient davon profitiert?

    Rettungsdienst als sicherer Weg

    Was sind nun die Ergebnisse? Ein höheres Risiko für ungeplante Krankenhaustransporte haben Männer sowie Bewohner mit einem höheren Pflegegrad. Darüber hinaus beeinflussen Ängste vor rechtlichen Konsequenzen die Entscheidung zum Krankenhaustransfer. „Häufig haben Pflegekräfte ohne Einbeziehung von Ärzten die Entscheidung getroffen“, nennt der Wissenschaftler ein Beispiel. Die häufigsten Gründe für den Anruf beim Rettungsdienst seien Stürze, Unfälle, Verschlechterungen des Allgemeinzustands und neurologische Auffälligkeiten gewesen. „Wir haben da ein strukturelles Problem“, resümiert Guido Schmiemann. „Der Pflegedienst ruft die 112. Der Disponent, der den Anruf entgegennimmt, haftet persönlich für seine Entscheidung, also wird er im Zweifel eher einen Rettungswagen alarmieren. Der wird für Leerfahrten in den meisten Regionen nicht bezahlt, also nimmt er im Zweifel den oder die Bewohnerin des Pflegeheims mit. Das ist ein Automatismus. Wir müssen Wege finden, wie wir da herauskommen.“

    Abgleich mit Praxis fehlt

    Das zweite Grundproblem seien Mängel in der Kommunikation. Heim und Ärzte arbeiteten oft nicht strukturiert zusammen. In der Hälfte der Fälle wurde die Arztpraxis gar nicht informiert, wenn ein Patient Symptome aufweist. „Es wäre hilfreich, wenn Praxis und Heim dieselben Informationen hätten. Die gleiche Akte, den gleichen Medikamentenplan“, sagt der Versorgungsforscher.

    Fachpersonal bestätigt Studienergebnisse

    Ihre Forschungsergebnisse hat die HOMERN-Gruppe kürzlich auf einem Symposium in Bremen veröffentlicht. Die 70 Teilnehmenden waren vom Fach: Hausärztinnen und Hausärzte, Pflegepersonal und Mitarbeiter von Rettungsdiensten haben die Realität der wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Das Symposium stand nicht von ungefähr unter dem Titel: „Krankenhausaufenthalte von Pflegebewohnern: Nur weil keiner die Verantwortung übernehmen wollte?“ Dr. Guido Schmiemanns Resümee: „Eine Stärkung der Pflegenden, eine Verbesserung struktureller Rahmenbedingungen und eine verstärkte Kommunikation und Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren könnte die Zahl vermeidbarer Krankenhaustransporte aus Pflegeheimen verringern“.

    Über das Projekt HOMERN:

    Falk Hoffmann, Professor am Department für Versorgungsforschung an der Fakultät Medizin und Gesundheitswissenschaften der Universität Oldenburg leitet das Projekt. Das Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen hat ein Teilprojekt übernommen. Für eine umfassende Betrachtung der Problematik wurden Daten von Pflegeheimbewohnern ausgewertet, die bei der AOK Bremen/Bremerhaven versichert sind, und Befragungen von Hausärzten, Pflegenden und Rettungskräften durchgeführt. Außerdem wurden über 12 Monate Krankenhaustransporte aus 14 Pflegeeinrichtungen in der Metropolregion Nordwest systematisch erfasst und analysiert. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland, fördert das Forschungsvorhaben mit 500.000 Euro. Das Geld kommt aus dem Innovationsfonds für Versorgungsforschung.

    Weitere Informationen:

    https://innovationsfonds.g-ba.de/projekte/versorgungsforschung/homern-hospitalis...

    https://www.public-health.uni-bremen.de/mitglieder/guido-schmiemann/projekte/?pr...

    Fragen beantwortet:

    Privatdozent Dr. Guido Schmiemann
    Institut für Publik Health und Pflegeforschung
    Abteilung Versorgungsforschung
    Universität Bremen
    Tel.: +49 421 218 68815
    E-Mail: schmiemann@uni-bremen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Ernährung / Gesundheit / Pflege
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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