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05.03.2020 10:34

Unerwartete Entdeckung: Blaualgen stellen Öl her

Johannes Seiler Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Cyanobakterien – umgangssprachlich auch Blaualgen genannt – können mit Hilfe von Licht aus Wasser und Kohlendioxid Öl produzieren. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Bonn. Der Befund ist unerwartet: Bislang glaubte man, diese Fähigkeit sei den Pflanzen vorbehalten. Möglicherweise werden Blaualgen nun auch als Futter- oder Treibstoff-Lieferanten interessant, zumal sie keine Ackerflächen benötigen. Die Ergebnisse sind nun im Fachjournal PNAS erschienen.

    Was haben Raps, Avocado und Olivenbaum gemeinsam? Sie alle werden vom Menschen als Öl- oder Fettproduzenten genutzt. Die Fähigkeit, mit Hilfe von Licht aus Wasser und Kohlendioxid Öl herzustellen, haben aber im Prinzip alle Pflanzen – angefangen von einzelligen Algen bis hin zu den riesigen Mammutbäumen. „Wir haben nun erstmals gezeigt, dass Cyanobakterien das ebenfalls können“, erklärt der Biologe Prof. Dr. Peter Dörmann vom Institut für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Pflanzen (IMBIO) der Universität Bonn. „Das war nicht nur für uns völlig überraschend.“

    Bislang ging die Fachwelt davon aus, dass den Cyanobakterien diese Eigenschaft abgeht. Denn auch wenn ihr Trivialname „Blaualgen“ Anderes nahelegt, zählen sie eigentlich zu den Bakterien. In vielen Punkten unterscheiden sie sich daher erheblich von den Pflanzen: Cyanobakterien sind näher verwandt mit dem Darmbakterium E. coli als mit einem Olivenbaum. „Es gibt zwar in der Literatur uralte Berichte, dass Cyanobakterien Öl enthalten können“, sagt Dörmann. „Diese wurden aber nie verifiziert.“

    Der Wissenschaftler beschäftigt sich am IMBIO seit vielen Jahren mit einem Enzym, das bei Pflanzen einen Schritt der Ölsynthese katalysiert. Es ist in den Chloroplasten aktiv – den grün gefärbten Zellbestandteilen, die für die Photosynthese zuständig sind. Ihnen verdanken es die Pflanzen, dass sie mit Hilfe von Sonnenlicht energiereiche chemische Verbindungen herstellen können.

    Viele Wissenschaftler vermuten, dass Chloroplasten ursprünglich von Cyanobakterien abstammen. Denn die beherrschen – anders als alle anderen Bakteriengruppen – ebenfalls die pflanzentypische Photosynthese unter Freisetzung von Sauerstoff. Vor mehr als einer Milliarde Jahren hat demnach eine Ur-Pflanzenzelle ein Cyanobakterium „verschluckt“. Das Bakterium lebte danach in der Zelle weiter und versorgte sie mit Photosynthese-Produkten. „Wenn diese Endosymbionten-Hypothese stimmt, könnte das Ölsynthese-Enzym der Chloroplasten also ursprünglich aus Cyanobakterien stammen“, erklärt Dörmann.

    Ölsynthese-Enzym ähnelt dem der Pflanzen

    Zusammen mit seinem Doktoranden Mohammed Aizouq ist er dieser Möglichkeit nachgegangen. Dazu haben die Wissenschaftler das Erbgut verschiedener Cyanobakterien nach einem Gen durchforstet, das der Erbanlage für das pflanzliche Ölsynthese-Enzym ähnelt. Mit Erfolg: Sie fanden in den Blaualgen ein Gen für eine so genannte Acyltransferase, zu dieser Gruppe zählt auch das Pflanzenenzym. In weiteren Tests zeigte sich, dass Cyanobakterien mit diesem Enzym tatsächlich Öl herstellen, wenn auch nur in geringen Mengen.

    Das Ergebnis ist einerseits aus evolutionsbiologischer Sicht interessant: Es zeigt, dass ein bestimmter Teil der Ölsynthese-Maschinerie in den Chloroplasten der Pflanzen vermutlich aus Cyanobakterien stammt. Allerdings nutzen Pflanzen heute vor allem andere Stoffwechselwege zur Öl-Herstellung. Darüber hinaus eröffnet das Resultat eventuell neue Möglichkeiten, Tierfutter oder Biokraftstoffe herzustellen. Denn anders als Ölpflanzen wie Raps benötigen Cyanobakterien keine Ackerflächen, um zu wachsen – ein Behälter mit Kulturmedium und ausreichend Licht und Wärme reicht ihnen.

    Vielleicht eignen sie sich daher, um zum Beispiel in Wüsten – also ohne in Konkurrenz zum Nahrungsanbau zu treten – Öle für den Antrieb von Autos herzustellen. Zumal bei der Verbrennung nur das Kohlendioxid wieder frei würde, das die Cyanobakterien zuvor bei der Ölproduktion der Luft entzogen haben. Die Mikroorganismen würden damit also einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ohnehin fixieren die in den Weltmeeren lebenden Cyanobakterien erhebliche Mengen des Treibhausgases. Ohne ihren Beitrag wäre die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre Schätzungen zufolge doppelt so hoch.

    „Ähnliche Versuche laufen heute bereits mit pflanzlichen Grünalgen“, erklärt Dörmann. „Die sind aber schwieriger zu halten; außerdem lassen sie sich nicht so einfach biotechnologisch auf eine möglichst hohe Ölproduktionsrate optimieren.“ Bei Cyanobakterien könnte das anders sein. Allerdings stellt die an der Universität Bonn untersuchte Art nur sehr geringe Mengen Öl her. „Es ist aber durchaus möglich, dass andere Arten deutlich ertragreicher sind“, sagt der Biologe. Zudem ließen sich Blaualgen relativ einfach genetisch modifizieren, ähnlich wie andere Bakterien auch. „Es ist also gut möglich, dass sich der Ölertrag auf biotechnologischem Wege noch einmal deutlich steigern ließe.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Peter Dörmann
    Institut für Molekulare Physiologie und Biotechnologie der Pflanzen (IMBIO)
    Universität Bonn
    Tel. 0228/73-2830
    E-Mail: doermann@uni-bonn.de


    Originalpublikation:

    Mohammed Aizouq, Helga Peisker, Katharina Gutbrod, Michael Melzer, Georg Hölzl und Peter Dörmann: Triacylglycerol and phytyl ester synthesis in Synechocystis sp. PCC6803; PNAS; DOI: 10.1073/pnas.1915930117


    Bilder

    Prof. Dörmann (links) und sein Doktorand Mohammed Aizouq mit zwei verschiedenen Cyanobakterien-Kulturen.
    Prof. Dörmann (links) und sein Doktorand Mohammed Aizouq mit zwei verschiedenen Cyanobakterien-Kultu ...
    (c) Foto: Yannic Müller/Uni Bonn
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    Mohammed Aizouq entnimmt einer Petrischale mit dem Cyanobakterium Synechocystis einige Zellen für weitere Analysen. Die Blaualge verfügt über ein Enzym, mit dem sie Öl synthetisieren kann.
    Mohammed Aizouq entnimmt einer Petrischale mit dem Cyanobakterium Synechocystis einige Zellen für we ...
    (c) Foto: Yannic Müller/Uni Bonn
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Chemie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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