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29.01.2021 13:00

Empfehlung zur Corona-Impfung bei Multipler Sklerose (MS)

Lena Forster Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose

    Mehrere Impfstoffe sind mittlerweile zur Bekämpfung von Covid-19 zugelassen worden. Was bei einer Corona-Impfung während einer MS-Therapie zu beachten ist, hat die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Bundesverband e.V. in Zusammenarbeit mit dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) in dieser Empfehlung zusammengefasst.

    Eine MS stellt grundsätzlich keine Kontraindikation für Impfungen dar. Impfungen lösen keine MS aus und eine Auswirkung auf die Krankheitsaktivität ist unwahrscheinlich. Durch Impfungen vermeidbare Infektionen können einerseits schwerwiegende Erkrankungen verursachen, andererseits bei MS-Erkrankten Schübe auslösen und zur Krankheitsverschlechterung beitragen. Dieses Risiko ist höher einzuschätzen als potenzielle Risiken durch Impfungen. MS-Erkrankte sollten daher entsprechend den allgemeinen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) empfohlenen Impfungen im Erwachsenenalter geimpft werden. Grundsätzlich sollte man sich nur impfen lassen, wenn man sich selbst wohl fühlt und nicht erste Symptome einer Erkältung bemerkt. Zu Impfungen mit Totimpfstoffen bei MS-Erkrankten wurden in den letzten Jahren viele Daten veröffentlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Impfung mit Totimpfstoff einen Schub auslösen könnte, ist demnach gering. Auch das Auftreten einer MS oder einer anderen Autoimmunerkrankung nach einer Impfung konnte durch eine umfangreiche Untersuchung nicht bestätigt werden. Impfungen mit Lebendvirus-Impfstoffen werden etwas kritischer beurteilt, da sie eine stärkere Immunreaktion hervorrufen. Dennoch besteht auch hier keine absolute Gegenanzeige. Im Einzelfall muss immer abgeschätzt werden, welches Risiko die Krankheit in sich birgt, vor der die Impfung schützen soll und welches Risiko die Impfung. Wir wissen, dass nach Infekten, dass Schubrisiko erhöht ist. Im Vergleich dazu ist das Schubrisiko nach einer Impfung sehr gering.

    Da die Covid-19 Infektion in zehn Prozent der Fälle einen schweren Verlauf nimmt und der Fall-Verstorbenen-Anteil in Deutschland zwischen zwei und drei Prozent liegt (vgl. RKI) empfehlen wir MS-Erkrankten nach heutigem Stand, sich und andere durch die Impfung zu schützen. Zudem können auch nach einer mild verlaufenden Infektion langanhaltende Symptome (Long Covid), wie Geschmacksstörungen und, für MS Erkrankte besonders beeinträchtigend, chronische Müdigkeit, Fatigue und Depressionen bestehen (vgl. RKI).

    Nach der Coronavirus-Impfverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 15. Dezember 2020 sind MS-Erkrankte per se in der Priorisierungsstufe 3 (vgl. §4 Schutzimpfungen mit erhöhter Priorität, Ziffer 2) berücksichtigt. In Einzelfällen kann über die Zugehörigkeit zur Priorisierungsstufe 2 (vgl. §3 Schutzimpfungen mit hoher Priorität, Ziffer 2 und aktuelle STIKO-Empfehlungen zur COVID-19-Impfung „Hinweise zur praktischen Umsetzung“) entschieden werden. Um einen Anspruch auf vorrangige Impfung nachweisen zu können, ist für die Zugehörigkeit zu den Priorisierungsgruppen 2 und 3 eine ärztliche Bescheinigung/Attest erforderlich. Hier reicht nach Auskunft des BMG und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eine formlose Bescheinigung über das Bestehen einer entsprechenden Erkrankung im Sinne des Paragrafen x Ziffer y der Coronavirus-Impfverordnung aus. Bei MS-Erkrankten, die aufgrund Ihres Alters bereits zu den Priorisierungsgruppen 2 (ab 70 Jahren) und 3 (ab 60 Jahren) gehören, reicht als Nachweis die Vorlage des Personalausweises.

    Grundsätzlich ist eine Impfung gegen das neuartige Coronavirus (SARS CoV 2) zu empfehlen. Für Impfungen unter Immuntherapien der MS sind allerdings einige Hinweise zu berücksichtigen. Bei einigen Immuntherapien gibt es Hinweise auf ein vermindertes Ansprechen. Die Datenlage hierzu ist begrenzt. So liegen zu einem möglichen Einsatz der Covid-19-Impfstoffe bei Personen mit Autoimmunerkrankungen und/oder immunmodulierenden/-supprimierenden Therapien keine Daten/Erkenntnisse aus den Zulassungsstudien vor. Die genannte Einschätzung beruht auf dem Wissen über die Wirkmechanismen der MS-Therapien sowie der Wirksamkeit von Covid-19 unabhängigen Impfstoffen bei MS. Die fehlende Datenbasis lässt auch keine Empfehlung für einen bestimmten der Impfstoffe bzw. vorrangig für ein Impfstoff-Konzept zu. Aktuelle Erfahrungen aus Israel mit 500 MS-Patienten, die den mRNA- Impfstoff von biontech erhalten haben, zum Teil auch schon die zweite Impfung, haben bisher keine unerwarteten Nebenwirkungen oder Aktivierung der MS gezeigt (Achiron A., Sheba Medical Center, persönliche Mitteilung). Wir erachten allerdings das Risiko, derzeit schwerer an Covid-19 zu erkranken, und in Folge auch eine mögliche Verschlechterung der MS zu erfahren, als sehr viel höher ein.

    MS-Therapien und Corona-Impfung

    Da die Impfungen erst im Dezember 2020 mit den ersten verfügbaren Impfstoffen begonnen haben, liegen aktuell keine Daten zu Impfantworten auf die Corona-Impfung unter den verschiedenen Immuntherapien vor. Dennoch kann der Impferfolg aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit anderen Impfstoffen (z.B. der Grippeimpfstoffe) mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Corona-Impfstoffe übertragen werden.

    Für eine Impfung sollte eine MS-Therapie nicht unterbrochen werden, da die Auswirkungen der Unterbrechung auf die MS höher einzuschätzen sind als eine geminderte Immunantwort durch die MS-Therapie.

    Im Folgenden sind alle MS-Medikamente mit den bereits vorliegenden Erfahrungen in Bezug auf Impfungen aufgeführt:

    Interferon-beta (Avonex, Betaferon, Extavia, Plegridy, Rebif 22und 44): Impfungen gegen das Grippevirus zeigten eine gegenüber nicht Interferon-beta Behandelten vergleichbare Impfantwort. Eine Impfung sollte ggf. ca. zwei bis vier Wochen vor Therapiebeginn erfolgen. Während der Therapie ist, wenn möglich, die Impfung zeitlich jeweils an einem anderen Tag als die Interferon-Applikation zu legen.

    Glatirameracetat: (Copaxone 20 und 40, Clift): Impfreaktion gegen Grippe etwas geringer aber ausreichend.

    Natalizumab (Tysabri): Impfantworten gegen Grippe waren etwas vermindert aber ausreichend.

    Dimethylfumarat (Tecfidera): Keine Hinweise auf verminderten Impfschutz.

    Teriflunomid (Aubagio): Unter Aubagio kann der Impferfolg bei üblichen Impfungen reduziert sein, wird aber im Allgemeinen als ausreichend angesehen. Die Impfantworten können auch noch nach Absetzen der Therapie für einige Monate vermindert sein. Eine Antikörperbestimmung nach der Impfung kann man empfehlen, deren Aussagekraft ist aber vorsichtig zu interpretieren.

    Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor Modulatoren (Fingolimod/Gilenya, Ozanimod/Zeposia und Siponimod/Mayzent,): Unter der Therapie mit Fingolimod ist ein evtl. reduzierter Impferfolg zu berücksichtigen. Ggf. sollten nach der Impfung die Antikörper im Serum bestimmt werden und es besteht die Möglichkeit des wiederholten Impfens.

    Alemtuzumab (Lemtrada): In den ersten sechs Monaten nach einem Therapiezyklus der Therapie erfolgen noch abgeschwächte Impfantworten.

    Azathioprin: Abgeschwächte Immunantworten in Abhängigkeit von der Dosierung

    Cladribin (Mavenclad): Es liegen noch keine Daten zu Impfstudien vor. Aufgrund des Wirkungsmechanismus ist aber zumindest vorübergehend, in den ersten sechs Monaten nach dem Therapiezyklus, eine verminderte Impfantwort zu erwarten.

    Mitoxantron (Novantron,Ralenova): Aufgrund des Wirkungsmechanismus ist während der Therapiezyklen eine verminderte Impfantwort zu erwarten, die auch nach Beendigung des letzten Zyklus, der langfristige Blutbildveränderungen mit sich bringt, zu erwarten.

    Autologe Knochenmarkstransplantation (sog. Stammzelltherapie): Es sind mindestens sechs Monate Abstand zwischen Stammzelltransplantation und Impfung zu empfehlen.

    B-Zell depletierende Therapien (Ocrelizumab/Ocrevus, Ofatumumab/Präparatname, Rituximab/Mabthera usw.: Für Ocrelizumab wurde rezent gezeigt (Veloce Studie, Neurology 2020), dass bei einem Impfabstand von vier Monaten etwas niedrigere, aber ausreichende Titer erzielt wurden.

    Immunglobuline: Immunglobuline sind körpereigene Immunfaktoren und enthalten viele Antikörper. Sie bieten daher einen gewissen Schutz gegen verschiedene Virusinfekte. Es ist aktuell nicht anzunehmen, dass die in Deutschland verwendeten Immunglobuline schon relevante Antikörper gegen SARS-CoV2 enthalten. Im Allgemeinen dürften diese Antikörper aber niedrigtitrig sein und den Impferfolg nicht manipulieren.

    Cortison-Therapie: Die übliche Schubtherapie beeinflusst Impfantworten. Impfungen sollten frühestens zwei Wochen, besser vier Wochen nach einer Hochdosistherapie erfolgen.

    Weitere Infos finden Sie regelmäßig aktualisiert auf www.dmsg.de

    Literatur

    A large case-control study on vaccination as risk factor of multiple sclerosis.
    Hapfelmeier A, Gasperi C, Donnachie E and Hemmer B, Neurology, 2019 July 30, DOI: 10.1212/WNL.0000000000008012.

    Effects of MS disease-modifying therapies on responses to vaccinations: A review.
    Ciotti JR, Valtcheva MV, Cross AH.Mult Scler Relat Disord. 2020 Oct;45:102439. doi: 10.1016/j.msard.2020.102439

    Effect of ocrelizumab on vaccine responses in patients with multiple sclerosis: The VELOCE study.
    Bar-Or A, Calkwood JC, Chognot C, Evershed J, Fox EJ, Herman A, Manfrini M, McNamara J, Robertson DS, Stokmaier D, Wendt JK, Winthrop KL, Traboulsee A., Neurology, 2020 Oct 6;95(14):e1999-e2008. doi: 10.1212/WNL.0000000000010380

    Randomized trial of vaccination in fingolimod-treated patients with multiple sclerosis.
    Kappos L, Mehling M, Arroyo R, Izquierdo G, Selmaj K, Curovic-Perisic V, Keil A, Bijarnia M, Singh A, von Rosenstiel P., Neurology, 2015 Mar 3;84(9):872-9. doi: 10.1212/WNL.0000000000001302

    PM des KKNMS zu Impfungen und Multiple Sklerose, Dezember 2020

    Neurological immunotherapy in the era of COVID-19 — looking for consensus in the literature
    Korsukewitz C, Reddel SW, Bar-Or A, Wiendl H, Nat Rev Neurol, 2020 16, 493–505, https://doi.org/10.1038/s41582-020-0385-8

    Hintergrund:
    Der DMSG-Bundesverband e.V., 1952/1953 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet, vertritt die Belange Multiple Sklerose Erkrankter und organisiert deren sozialmedizinische Nachsorge.

    Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und derzeit 820 örtlichen Kontaktgruppen ist eine starke Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, 4.000 engagierten ehrenamtlichen Helfern und 250 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG rund 44.000 Mitglieder.
    Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG-Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.

    Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und auch zur Beeinträchtigung von Sinnesorganen führt. In Deutschland leiden nach neuesten Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 250.000 Menschen an MS. Trotz intensiver Forschungen ist die Ursache der Krankheit nicht genau bekannt. MS ist keine Erbkrankheit, allerdings spielt offenbar eine genetische Veranlagung eine Rolle. Zudem wird angenommen, dass Infekte in Kindheit und früher Jugend für die spätere Krankheitsentwicklung bedeutsam sind. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist ungewiss. Die Krankheit kann jedoch heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Weltweit sind schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen an MS erkrankt.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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