idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
26.05.2021 11:00

Einkommen, Vermögen, Aufstiegschancen: Wie die Deutschen Ungleichheit (miss-)verstehen

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Konstanzer Forschende zeigen mit dem ‚Ungleichheitsbarometer‘: Die deutsche Bevölkerung schätzt das Ausmaß von Ungleichheit oftmals falsch ein und unterschätzt insbesondere Vermögensungleichheit. Das hat auch politische Konsequenzen.

    „Die Mitte“ ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zum Ideal der politischen und sozialen Geometrie geworden. Ein Großteil der Bevölkerung ordnet sich selbst der Mittelschicht zu, obwohl das Ausmaß von ökonomischer Ungleichheit in Deutschland weiterhin beträchtlich ist und tendenziell zunimmt – dies zeigen neue Befragungsdaten des Konstanzer ‚Ungleichheitsbarometers‘. Die individuellen Wahrnehmungen der Verteilung von Einkommen und Vermögen, aber auch der eigenen Aufstiegschancen, weichen erheblich von der Realität ab – mit deutlichen Auswirkungen auf politische Prozesse.

    Der Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ finanziert mit dem „Ungleichheitsbarometer“ ein Projekt, in dem die Wahrnehmungen von Ungleichheit und damit zusammenhängende politische Einstellungen in regelmäßigen Abständen erhoben und untersucht werden. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Think Tank “Das Progressive Zentrum” werden nun erste Ergebnisse der ersten Befragungswelle veröffentlicht.

    Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Sprecher des Exzellenzclusters und einer der Autoren der Studie, fasst zusammen: „Ungleichheit bleibt eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Das ‚Ungleichheitsbarometer‘ zeigt, wie die deutsche Bevölkerung dieses Problem wahrnimmt und welche Lösungen sie sich von der Politik erhofft.“ Die Wahrnehmung (und Fehlwahrnehmung) von Ungleichheit hat unmittelbar politische Konsequenzen: Das Ausmaß, in dem Menschen Ungleichheit als Problem wahrnehmen, beeinflusst ihre politischen Präferenzen und damit letztlich auch politisches Handeln.

    Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Progressiven Zentrums, betont die Wichtigkeit dieser Forschung für die öffentliche Debatte: „Damit wir auch in Zukunft gemeinsam gut in Deutschland leben können, brauchen wir eine intensivere öffentliche Debatte über soziale Ungleichheit und wir müssen evidenzbasierte Lösungswege entwickeln. Daher freuen wir uns, dass durch dieses Forschungsprojekt eine wissenschaftliche Grundlage dafür geschaffen wird.“
    Das Policy Paper mit ersten Ergebnissen ist auf der Webseite des Progressiven Zentrums verfügbar https://www.progressives-zentrum.org/wenn-alle-denken-sie-seien-teil-der-mittels...
    Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Policy Paper im Überblick:

    Mehrheit wünscht eine gleichere Gesellschaft
    Die Bevölkerung nimmt insgesamt eine hohe Ungleichheit im Land wahr, sowohl bei Einkommen und Vermögen als auch auf anderen Gebieten. Diese Wahrnehmungen sind jedoch häufig verzerrt. So ordnet sich ein Großteil der Bevölkerung der Mittelschicht zu, das heißt, Reiche unterschätzen ihre relative Einkommensposition und Arme überschätzen sie. Dadurch wird das Gesamtausmaß von Einkommensungleichheit unterschätzt. Gleichzeitig sehen die Befragten die Gesamtverteilung von Ressourcen wie Einkommen und Vermögen als sehr ungleich an; rund 77 Prozent wünschen sich eine egalitärere Gesellschaft.

    Vermögensungleichheit wird unterschätzt
    72 Prozent der Befragten halten den Einkommensunterschied zwischen den zehn Prozent Deutschen mit dem höchsten und zehn Prozent mit dem niedrigsten Einkommen für „sehr groß“. die Vermögensunterschiede in den gleichen Segmenten hält mit 65 Prozent der Befragten ein geringerer Anteil für „sehr groß“. Aber: Die Ungleichheit bei den Vermögen ist fast dreimal größer als die bei den Einkommen. Dennoch werden die Unterschiede bei den Einkommen deutlich schärfer wahrgenommen.

    Aufstiegschancen werden pessimistisch gesehen
    Rund die Hälfte der Befragten glauben nicht an Aufstiegsversprechen. Ein Drittel der Befragten hat, im Vergleich zu den Eltern, bereits konkrete Abstiegserfahrungen erlebt. Rund 20 Prozent bewegen sich nach ihrer Einschätzung in etwa auf dem Einkommens- und Vermögensniveau der Eltern im gleichen Alter. Insgesamt werden die Chancen für einen sozialen Aufstieg für Angehörige der unteren Einkommensklassen eher pessimistisch beurteilt: Fast 38 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass Kinder aus der niedrigsten Einkommensgruppe auch in dieser Gruppe verbleiben werden.

    Politische Implikationen
    Die verzerrten Wahrnehmungen von Ungleichheit haben konkrete politische Implikationen. Die Tatsache, dass das Ausmaß von Ungleichheit tendenziell unterschätzt wird, mindert die Unterstützung für Umverteilungspolitik, wie z.B. Vermögens- oder Erbschaftssteuern, aber auch höhere Einkommenssteuern. Die pessimistische Einschätzung von Aufstiegschancen könnte Politikverdrossenheit und die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien befördern. Die Forschenden machen in ihrem Policy Paper mehrere Vorschläge, wie die Politik auf ihre Befunde reagieren könnte. Sie regen insbesondere besser informierte öffentliche Debatten an, um das öffentliche Bewusstsein für das reale Ausmaß von Ungleichheit in verschiedenen Dimensionen zu schärfen. Die Menschen müssten in die Lage versetzt werden, abstrakte Vorstellungen von Ungleichheit besser auf ihre konkrete Lebenssituation zu beziehen. Dazu bedürfe es auch mehr öffentlicher Räume, in denen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in einen Austausch treten.

    Faktenübersicht:
    • Aktuelle Publikation: Luna Bellani, Nona Bledow, Marius R. Busemeyer, Guido Schwerdt: Wenn alle Teil der Mittelschicht sein wollen: (Fehl-)Wahrnehmungen von Ungleichheit und warum sie für Sozialpolitik wichtig sind. Policy Papers: COVID-19 und soziale Ungleichheit – Thesen und Befunde 06. 26. Mai 2021. Herausgeber: Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz und Das Progressive Zentrum, Berlin.
    Download: https://www.progressives-zentrum.org/wenn-alle-denken-sie-seien-teil-der-mittels...
    • Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“: https://www.ungleichheit.uni.kn/; Projektwebseite: https://www.ungleichheit.uni.kn/forschung/projekte/inequality-barometer/
    • „Das Progressive Zentrum“ ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank mit dem Ziel, die Vernetzung progressiver Akteurinnen und Akteure zu fördern und Politik für ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt mehrheitsfähig zu machen. Sitz in Berlin, Aktivitäten in vielen Ländern Europas (u. a. Frankreich, Polen, Großbritannien) sowie in den USA.
    • Dr. Luna Bellani ist Mikroökonomin und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality”, wo sie eine Arbeitsgruppe leitet. Ihre Forschungsinteressen umfassen Inter-Generationen-Mobilität in Bezug auf Einkommen und Bildung, politische Umverteilungsökonomie sowie Haushalts- und Gender-Ökonomie.
    • Nona Bledow ist Politikwissenschaftlerin und forscht am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality” an der Universität Konstanz. Ihre Forschungsinteressen gelten der politischen Ökonomie und dem Wohlfahrtsstaat, Gewerkschaften und Arbeitsmarktpolitik, politischer Entwicklungsökonomie und politischer Theorie und Philosophie.
    • Marius R. Busemeyer ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wohlfahrtsstaatenforschung, Bildungs- und Sozialpolitik, Theorien des institutionellen Wandels sowie der Digitalisierung.
    • Guido Schwerdt ist Professor für Public Economics sowie Principal Investigator und Mitglied des Erweiterten Vorstands am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz. In seine Forschung konzentriert er sich auf Politikevaluierung, Bildungs- und Arbeitsmarktökonomie sowie Public Economics.

    Hinweis an die Redaktionen:
    Bilder der Autor*innen können im Folgenden heruntergeladen werden:

    Luna Bellani:
    https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Bellani_Luna...
    Bildunterschrift: Dr. Luna Bellani, Exzellenzcluster „The Politics of Inequality”, Universität Konstanz.
    Bild: Ines Janas

    Nona Bledow:
    https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Bledow_Nona....
    Bildunterschrift: Nona Bledow, Exzellenzcluster „The Politics of Inequality”, Universität Konstanz.
    Bild: Nona Bledow

    Marius R. Busemeyer:
    https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Busemeyer_Ma...
    Bildunterschrift: Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“, Universität Konstanz.
    Bild: Ines Janas.

    Guido Schwerdt:
    https://cms.uni-konstanz.de/fileadmin/exzellenz/inequality/Personen/Schwerdt_Gui...
    Bildunterschrift: Prof. Dr. Guido Schwerdt, Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaft und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“, Universität Konstanz.
    Bild: Inka Reiter.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Universität Konstanz
    Kommunikation und Marketing
    Telefon: + 49 7531 88-3603
    E-Mail: kum@uni-konstanz.de

    - uni.kn


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).