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03.06.2021 16:21

Strukturprüfungs-Richtlinie des MDS: zu spät, inhaltlich unausgereift und mit großem Potential für Rechtsstreitigkeiten

Dennis Makoschey AWMF Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.

    Die Situation des Inkrafttretens der Strukturprüfungs-Richtlinie des MDS stellt eine unzumutbare Ungleichbehandlung der Akteure im Gesundheitswesen dar. Die Richtlinie hat das Potential, die Dialogfähigkeit der einzelnen Akteure im Gesundheitswesen nachhaltig zu kompromittieren, die Krankenhausplanung durch unkontrollierte Marktbereinigung empfindlich zu stören und die Sozialgerichtsbarkeit auf Jahre hinaus zu überlasten.

    Seit dem 27.05.2021 ist die Richtlinie des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) nach § 283 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V mit dem Titel „Regelmäßige Begutachtungen zur Einhaltung von Strukturmerkmalen von OPS-Kodes nach § 275d SGB V“ für die Öffentlichkeit verfügbar. Nach einer fast 3-monatigen Bearbeitungszeit erfolgte die Genehmigung der Richtlinie durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am 20.05.2021. Die Richtlinie wurde mit einer Woche Verzögerung im Internet veröffentlicht. Die Krankenhäuser haben jetzt nur noch knapp 5 Wochen Zeit, die in der Richtlinie vorgeschriebenen Unterlagen zusammenzustellen, eine Vorgabe, die aus Sicht der AWMF für die medizinischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften als u.a. Betroffenen eine unzumutbare Ungleichbehandlung der Akteure im Gesundheitswesen darstellt.

    Zudem sind Formulierungen wie „Team von Pflegepersonal und Ärzten in akuter Behandlungsbereitschaft“ oder „Die Ärzte des Teams sind in der Intensivmedizin erfahren und kennen die aktuellen Probleme ihrer Patienten“ voller Begriffe, die einen großen Interpretations-spielraum lassen. Man darf gespannt sein, ob sich Einigkeit über die Art des Nachweises zwi-schen den Beteiligten erzielen lässt. Die Tatsache, dass einen Tag nach Veröffentlichung der Richtline vom MDS ein „Begutachtungsleitfaden“ mit einer Reihe von „Strukturmerkmalbewertungen (SMB)“ als Interpretationshilfe publiziert wurde, ist dabei in mehrerer Hinsicht auf-schlussreich: Zum einen wird klar, dass die Rechtsunsicherheit vieler Begriffe auch vom MDS erkannt wurde, zum anderen wird ebenso deutlich, wer die Deutungshoheit für die Auslegung beansprucht. Ob dies von allen so gesehen wird, darf bezweifelt werden, entscheiden werden es vermutlich die Sozialgerichte.

    Im Grundsatz sind die Ziele der MDS-Richtlinie zunächst zu begrüßen: Sie sollen die Prüfung von Strukturmerkmalen bei der Erbringung von insgesamt 53 durch OPS-Kodes definierten Leistungen bundesweit vereinheitlichen, die von vielen als lästig empfundenen Einzelfallprüfungen durch eine a piori Prüfung der Strukturmerkmale ersetzen und damit die Leistungserbringer, die Kostenträger, die medizinischen Dienste und nicht zuletzt die Sozialgerichtsbarkeit entlasten.

    Um dieses Ziel zu erreichen, sind aber rechtssichere Grundlagen und darauf basierende, ebenfalls rechtssichere und inhaltlich unmissverständliche Ausführungsbestimmungen notwendig. Diese fehlen jedoch bei der vorliegenden Richtlinie, so dass befürchtet werden muss, dass das Gegenteil dessen erreicht wird, was beabsichtigt ist: die Bürokratie wird ebenso wie Rechtsstreitigkeiten auf verschiedenen Ebenen zunehmen.

    Wieso sind die Grundlagen nicht rechtssicher? Die Grundlagen für die Strukturprüfungen sind die vom früheren DIMDI und dem jetzigen BfArM in aller Eile und ohne ausreichendes Stellungnahmeverfahren durchgeführte Umarbeitung von Mindestmerkmalen zu Strukturmerkmalen für bestimmte OPS-Kodes. Diese beinhalten zahlreiche rechtsunsichere Begriffe, deren Korrektur schon längst hätte erfolgen sollen, aber eben nicht erfolgt ist, obwohl verschiedenste Stellen mit erheblichem Nachdruck auf die Notwendigkeit dieser Maßnahme hingewiesen haben (1). Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken dieses Vorgehens hat bereits die Deutsche Gesellschaft für Medizincontrolling (DGfM) hingewiesen.

    Wo sind die Probleme bei den Ausführungsbestimmungen in der MDS-Richtlinie? Eine detaillierte Aufzählung würde den Rahmen einer Pressemitteilung sprengen, so dass nur die wichtigsten Punkte aufgeführt werden sollen:
    1. Es fehlt jegliche Definition der fachlichen Qualifikation der Gutachter*in des MD. Dies ist inakzeptabel, da die Begutachtung einer Leistungserbringung eine angemessene Kenntnis dessen voraussetzt, was beurteilt wird.
    2. Zeitvorgaben und formaler Ablauf der Prüfung bei der vorübergehenden Nicht-Einhaltung von Strukturmerkmalen sind unangemessen, weil zu kurz. Den Krankenhäusern muss eine Frist von mindestens 6 Monaten gewährt werden, bevor die Vergütung einer beanstandeten Leistung ausgesetzt wird und eine Wiederholungsprüfung beantragt werden muss.
    3. Einige der nachzuweisenden Strukturmerkmale sind nicht Bestandteil der als Grundlage dienenden OPS-Kodes.
    4. Ob die datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei der Anforderung von Arbeitsverträgen, Facharzturkunden, Dienstplänen etc. durch § 276 Absatz 2 SGB V erfüllt sind, darf be-zweifelt werden.
    5. Mit der durch das BMG an den MD erteilten Berechtigung de facto über das Leistungsportfolio eines Krankenhauses mit entscheiden zu können, erfolgt ein - möglicherweise unbeabsichtigter - Eingriff in die Krankenhausplanung der Länder.
    6. Gleichzeitig kann sich dadurch von heute auf morgen die Situation für in Weiterbildung befindliche ärztliche Mitarbeiter*innen und Angehörige anderer Gesundheitsfachberufe ändern. Für beide Punkte wäre eine Folgeabschätzung sinnvoll und notwendig gewesen.

    Es bleibt abschließend die Frage, warum zum jetzigen Zeitpunkt während einer noch nicht überstandenen Pandemie eine grundsätzlich sinnvolle, aber bereits bei oberflächlicher Lektüre unzureichend durchdachte und in einigen Teilen nicht rechtssichere Ausführungsbestimmung mit viel zu engen Fristen umgesetzt werden soll. Die Richtlinie hat das Potential, die Dialogfähigkeit der einzelnen Akteure im Gesundheitswesen nachhaltig zu kompromittieren, die Krankenhausplanung durch unkontrollierte Marktbereinigung empfindlich zu stören und die Sozialgerichtsbarkeit auf Jahre hinaus zu überlasten.
    Daher bleibt als einzige sinnvolle Lösung für die hier skizzierten Probleme die Verschiebung des Inkrafttretens der Richtlinie um zunächst ein Jahr. Diese Zeit muss genutzt werden, um die erkannten grundlegenden Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Dies würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Richtlinie das ursprünglich vorgesehene Ziel auch tatsächlich erreicht.

    Ökonomie und Medizin müssen bei der Umsetzung ihres Zusammenspiels Regeln beachten, die dem eigentlichen Sinn des betrachteten Handelns, der angemessenen Versorgung kranker Menschen, weit mehr entsprechen, als dies die hier in Rede stehende Richtlinie derzeit tut. Die AWMF hat bereits vor einiger Zeit auf die dazu notwendigen Maßnahmen hingewiesen, und wird nicht müde werden, bei passender Gelegenheit wie jetzt die Aufmerksamkeit erneut darauf zu lenken (2).

    Literatur
    1. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zum Richtlinienentwurf des MDS nach § 283 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V: Regelmäßige Begutachtungen zur Einhaltung von Strukturmerkmalen von OPS-Kodes nach § 275d SGB V; 22.01.2021. https://www.awmf.org/die-awmf/awmf-stellungnahmen.html , letzter Zugriff am 30.05.2021
    2. Nothacker M, Busse R, Elsner P, Fölsch UR, Gogol M, Jungehülsing GJ, Kopp I, Marckmann G, Maschmann J, Meyer HJ, Miller K, Wagner W, Wienke A, Zimmer KP, Kreienberg R. Medizin und Ökonomie: Maßnahmen für eine wissenschaftlich begründete, patien-tenzentrierte und ressourcenbewusste Versorgung. Ein Strategiepapier der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Dtsch Med Wochenschr. 2019; 144: 990-996.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Andreas Markewitz | E-Mail: andreasmarkewitz@gmx.de
    Prof. Dr. Rolf-Detlef-Treede | E-Mail: treede@awmf.org
    Prof. Dr. Henning Schliephake | E-Mail:schliephake@awmf.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Organisatorisches, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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