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18.01.2022 12:00

Nutzung Digitaler Sequenzinformationen: Kreisverkehr statt Einbahnstraße

Christian Schafmeister Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung

    In den lebenswissenschaftlichen Disziplinen sind global verfügbare Digitale Sequenzinformationen (DSI) beziehungsweise Nukleotidsequenzdaten (NSD) ein entscheidender Baustein für die Forschung. Wissen entsteht oft erst durch die Analyse und den Vergleich einer großen Zahl solcher Daten. Daher sehen viele Forschende und Wissenschaftsorganisationen politische Überlegungen kritisch, nach denen der freie Zugang zu diesen Daten eingeschränkt werden soll. Forschende des IPK Leibniz-Instituts und des Leibniz-Instituts DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH haben untersucht, wie solche Daten bisher aufbereitet und genutzt werden.

    Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) wurden die Rechte der Nationen über die Diversität ihrer Ökosysteme - also über alle nicht menschlichen Lebewesen - offiziell anerkannt. Der Vertrag impliziert die Vorstellung, dass Staaten mit einer großen Biodiversität die entsprechenden genetischen Ressourcen zur Verfügung stellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können diese Ressourcen nutzen und später daraus resultierende Forschungsergebnisse mit dem Herkunftsland teilen. Das Herkunftsland kann aber auch bei weiteren Aspekten wie Ausbildung und Technologietransfer profitieren. Letztlich geht es um einen Vorteilsausgleich, ein „Access and Benefit Sharing“.

    Derzeit debattieren die Vertragsparteien darüber, ob der freie Zugang zu DSI beschränkt werden und ein monetärer Vorteilsausgleich für die Nutzung der Sequenzdaten etabliert werden soll. Das lehnen Wissenschaftsorganisationen wie die Leopoldina ab. Sie fordern stattdessen einen weiter freien Datenzugang, unterstützen aber auch die Prinzipien eines Vorteilsausgleiches.

    Zu diesem kritischen Zeitpunkt der internationalen Verhandlungen, die im Sommer 2022 in China fortgesetzt werden sollen, hat nun ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des IPK und der DSMZ untersucht, wie und nach welchen Mustern der Zugang und die Nutzung dieser Daten bisher erfolgen. Es kommt zu dem Ergebnis, dass das einfache Modell einer ausschließlichen Anbieter-Nutzer-Beziehung viel zu kurz greift. Die Ergebnisse wurden in zwei Studien im Journal „Giga Science“ veröffentlicht.

    Die vereinfachte Vorstellung, nach der Länder mit einer großen biologischen Vielfalt nur Zugang zu genetischen Ressourcen gewähren und die Wissenschaft nur in den reichen Staaten diese Daten nutzt und eine Wertschöpfung erzielt, ist nicht länger haltbar. „Unsere Daten deuten auf einen weitaus komplexeren Informationsfluss für digitale Sequenzinformationen hin“, bekräftigt Dr. Amber Hartman Scholz vom Leibniz-Institut DSMZ und Erstautorin einer der beiden Studien (1). „Viele glauben, es läuft wie eine Einbahnstraße. Aber das ist falsch. Es ist eine Art Kreisverkehr mit Zufahrten und Abfahrten“, sagt Dr. Amber Hartman Scholz.

    „Die Nutzung von DSI von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Herkunftsländern ist viel starker als wir erwartet haben. Wir schätzen, es ist gerade dieses offene DSI-Ökosystem, das dazu führt, dass DSI in Ländern mit einem eher niedrigen Bruttoinlandsprodukt stärker genutzt werden als gedacht", sagt die DSMZ-Forscherin. „Deshalb sollten alle politischen Entscheidungen darauf abzielen, den offenen Zugang zu diesem wichtigen Gemeingut zu erhalten.“

    Gesammelt und archiviert werden Nukleotidsequenzdaten unter anderem im European Nucleotide Archive. Forschende des IPK Leibniz-Institutes haben aus diesem Bestand 263 Millionen Datensätze analysiert und sind dabei zwei Fragen nachgegangen: Welche Nation hat das biologische Material für die Sequenzierungen zur Verfügung gestellt? Und welche Forschende aus welchen Nationen haben diese Sequenzdaten anschließend für eigene Arbeiten genutzt? Das Ergebnis ist ein interaktives Web-Portal zur Nachverfolgbarkeit der Nutzung von DSI.

    „Neue Entdeckungen in den Lebenswissenschaften sind auf offen zugängliche Daten angewiesen", sagen Dr. Matthias Lange von der Arbeitsgruppe „Bioinformatik und Informationstechnologie“ am IPK und Hauptautor der zweiten Studie (2) und Dr. Guy Cochrane, Leiter des Europäischen Nukleotidarchivs am EMBL-EBI. „Forscher auf der ganzen Welt sind auf den reibungslosen Fluss von Sequenzdaten angewiesen, um Lösungen für globale Herausforderungen zu finden, von der biologischen Vielfalt über die Landwirtschaft bis hin zur menschlichen Gesundheit. Diese Studien zeigen, dass eine Einschränkung des Datenflusses für alle schädlich ist."

    Gemeinsam appellieren Dr. Amber Hartman Scholz, Dr. Guy Cochrane und Dr. Matthias Lange an die politischen Entscheidungstragenden, auch künftig den freien Zugang zu den digitalen Sequenzinformationen zu erhalten. „Sollte der freie Zugang eingeschränkt werden, so würde das den globalen wissenschaftlichen Fortschritt erheblich erschweren“, warnen sie und verweisen auf die Forschung zu Impfstoffen gegen Covid-19. „Sicher wäre die Wissenschaft heute nicht so weit wie sie ist, wenn Forscherinnen und Forscher für den Zugang zu den Sequenzdaten von SARS CoV-2 hätten bezahlen müssen und dieser eingeschränkt wäre.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Matthias Lange, IPK
    Tel.: +49 39482 5693
    lange@ipk-gatersleben.de

    Dr. Amber Hartman Scholz, DSMZ
    Tel.: +49 531 2616 400
    amber.h.scholz@dsmz.de


    Originalpublikation:

    (1) Scholz et al. (2021) Myth-busting the provider-user relationship for digital sequence information. Giga Science. DOI: 10.1093/gigascience/giab085

    (2) Lange et al. (2021) Quantitative monitoring of nucleotide sequence data from genetic resources in context of their citation in the scientific literature. Giga Science.
    DOI: 10.1093/gigascience/giab084


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Informationstechnik, Politik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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