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23.03.2022 12:00

Proteinkönigin Atossa befiehlt die Zellinvasion

Markus Feigl Communications and Events
Institute of Science and Technology Austria

    Immunzellen sind die Polizei unseres Körpers, aber wie können sie den Tatort schnell erreichen? Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben Forscher:innen nun ein neues Protein entdeckt, das die Energieproduktion in Immunzellen ankurbelt und damit ihre Invasionskraft erhöht. Die in der Fachzeitschrift EMBO veröffentlichten Ergebnisse könnten nicht nur die Immunabwehr verbessern, sondern auch unser Verständnis der Energieregulation in Zellen des menschlichen Körpers revolutionieren.

    Lebende Organismen müssen auf Herausforderungen reagieren können, insbesondere indem sie die Aktivität ihrer Immunsysteme anpassen. Wie wir bei COVID-19 gesehen haben, versuchen Infektionserreger ständig, im Körper Fuß zu fassen. Aber wie können Immunzellen in neue Gewebe eindringen, um solche Infektionen aufzuspüren und zu zerstören? Bei der Untersuchung dieses wichtigen Prozesses gelang es Professorin Daria Siekhaus und Dr. Shamsi Emtenani aus ihrer Gruppe am ISTA, eine noch wichtigere Frage zu beantworten: Was ist für die extra Energie zur Zellinvasion verantwortlich?

    Sie entdeckten einen Ablauf, der die Energieproduktion in den Immunzellen ankurbelt und ihnen so die nötige Energie für ihr Eindringen ins Gewebe bereitstellt. Der neue Pfad wird von einem bisher nicht untersuchten Protein gesteuert, das sie nach der persischen Königin Atossa benannten. Obwohl die Experimente an Fruchtfliegen durchgeführt wurden, zeigen die Ergebnisse, dass ähnliche Proteine in Säugetieren die gleiche Funktion haben. „Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, wie diese Entdeckung zu neuen Perspektiven in der menschlichen Physiologie führen kann, da die Steigerung der Energieproduktion in diversen Zellen im menschlichen Körper von entscheidender Bedeutung ist“, sagt Erstautorin Emtenani. Ihre gemeinsame Arbeit mit der University of Albany, der University of Toronto, dem CeMM Research Center und dem Vienna BioCenter wurde jetzt in der Zeitschrift der European Molecular Biology Organization (EMBO) veröffentlicht.

    Atossa kommandiert die Energiesteigerung

    Für Zellen ist es energetisch kostspielig, die Umgebung aus dem Weg zu räumen und ins Gewebe einzudringen. Das Immunsystem nutzt die Mitochondrien, die internen Kraftwerke der Zelle, um Energie zu gewinnen. Mitochondrien wandeln verschiedene Bestandteile wie Zucker in ATP, die zelluläre Währung für Energie, um. Die Forscher:innen haben nun herausgefunden, dass ein Protein, Atossa, eine Kaskade in Gang setzt, die mitochondrielle Energieerzeugung reguliert und verbessert.

    „Atossa wirkt sowohl als Gaspedal als auch als Gangschaltung“, erklärt Siekhaus. „Erstens aktiviert das Protein zwei Stoffwechselenzyme, die dazu beitragen, dass mehr Treibstoff in die mitochondriale Fabrik gelangt, und zweitens schaltet es die Mitochondrien in einen höheren Gang.“ Dieser Gangwechsel wird dadurch bewirkt, dass Atossa die Konzentration des Proteins Porthos erhöht. Porthos ist eine RNA-Helikase, benannt nach einem der drei Musketiere, die für ihre Treue im Dienste der Königin bekannt sind. Porthos unterstützt dann den Aufbau des Apparates, der die Produktion von Proteinen ermöglicht, darunter viele, die die mitochondriale Aktivität und damit die Energieproduktion erhöhen.

    Pionierarbeit an Fruchtfliegen relevant für den Menschen

    Durch Bildgebung in lebenden Embryonen von Fruchtfliegen konnten die Forscher:innen eine deutliche Verringerung der Zellwanderung in Abwesenheit von Atossa feststellen. Außerdem wird die Funktion von Atossa nur in Pionierzellen benötigt. Ähnlich wie bei einer Expedition durch ein Dickicht leisten die ersten Zellen die Schwerstarbeit, sich mit der Machete einen Weg zu bahnen, und benötigen daher mehr Energie. Mit Unterstützung des Forschungspartners Dr. Thomas Köcher vom Vienna BioCenter verglichen die ISTA-Wissenschafter:innen die Energiewerte mit und ohne das Atossa-Gen und bestätigten, dass Atossa diese tatsächlich steigert.

    Einen Hauptregulator wie Atossa gibt es jedoch nicht nur in Fruchtfliegen. Der dafür verantwortliche Proteincode in Fliegen ist zu 44 Prozent identisch mit dem vergleichbaren im Menschen. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die Säugetiergene die Funktion des Fruchtfliegenproteins ersetzen können. „Wir sind sehr fasziniert von den Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen. Atossa könnte von zentraler Bedeutung für die Steigerung der Energieproduktion sein. In Immunzellen ist das zum Beispiel für die Produktion von Antikörpern und die Bestimmung weißer Blutkörperchen von Bedeutung. Atossa-ähnliche Proteine finden sich auch in Gehirnzellen. Hier liegen Defekte manchen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde“, sagt Siekhaus und weist auf künftige Forschungsansätze hin.

    Das Vermächtnis einer Iranerin

    „Die Arbeit mit Fliegen ist ideal, um komplizierte genetische Mechanismen aufzuspüren und neue Dinge zu entdecken. Es erfordert enormen Mut und großes Geschick, etwas völlig Unerforschtes zu analysieren. Für mich ist Shamsis Arbeit, die jeden Schritt des Ablaufs nachweist, ein Musterbeispiel für die beste Wissenschaft, die man auf diesem Gebiet betreiben kann“, lobt Siekhaus die Iranerin, die seit 2015 in ihrem Labor arbeitet. Shamsi Emtenani fügt hinzu: „Ich habe mir dieses spezielle Gen aus Neugierde angeschaut. Das Spannende daran ist: Wenn man als Erste die Funktion eines Gens im Bereich der Fruchtfliege entdeckt, darf man dessen Protein benennen.“

    Das früher als CG9005 indizierte Protein wurde von Emtenani auf den Namen Atossa getauft. Da sich die Pionierzellen in einer Linie bewegen, eine nach der anderen, ähnlich einem Wasserlauf, wählte sie den Namen einer persischen Königin aus dem Reich der Achämeniden. „Atossa bedeutet wörtlich übersetzt 'tröpfelnd' und steht in Verbindung mit meiner Herkunft. Es schien mir auch passend für eine Königin, die drei Proteine befehligt – eines von ihnen ein Musketier –, die dafür verantwortlich sind, dass Zellen neue Gebiete erobern.“

    Publikation:
    Emtenani S, Martin E, Gyoergy A, Bicher J, Genger JW, Köcher T, Akhmanova M, Guarda M P, Roblek M, Bergthaler A, Hurd T, Rangan P und Siekhaus D. 2022. A genetic program boosts mitochondrial function to power macrophage tissue invasion. EMBO Journal. DOI: 10.15252/embj.2021109049

    Projektförderung:
    Der ISTA-Projektteil wurde mit Mitteln des EU Maria Curie Career Integration Grant IRTIM und des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) unterstützt.

    Information zu Tierversuchen:
    Zum besseren Verständnis grundlegender Prozesse, zum Beispiel in den Neurowissenschaften, der Immunologie oder der Krebsforschung, ist der Einsatz von Tieren in der Forschung unverzichtbar. Keine anderen Methoden, wie etwa In-silico-Modelle, können als Alternative dienen. Die Tiere werden nach den strengen Vorschriften des österreichischen Rechts aufgezogen, gehalten und behandelt. Alle Tierversuche sind vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung genehmigt.


    Originalpublikation:

    Emtenani S, Martin E, Gyoergy A, Bicher J, Genger JW, Köcher T, Akhmanova M, Guarda M P, Roblek M, Bergthaler A, Hurd T, Rangan P und Siekhaus D. 2022. A genetic program boosts mitochondrial function to power macrophage tissue invasion. EMBO Journal. DOI: 10.15252/embj.2021109049


    Bilder

    Zellbiologin Shamsi Emtenani. Hauptautorin Emtenani beschrieb den Hauptregulator Atossa erstmals und wies den Mechanismus nach, mit dem er die intrazelluläre Energieproduktion ankurbelt.
    Zellbiologin Shamsi Emtenani. Hauptautorin Emtenani beschrieb den Hauptregulator Atossa erstmals und ...

    © Mariana Guarda/ISTA


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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