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14.09.2022 10:31

AWMF: GKV-Finanzstabilisierungsgesetz könnte zu eingeschränkter Verfügbarkeit wirksamer neuer Arzneimittel führen

Medizin - Kommunikation Medizinkommunikation
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.

    Langfristige Konzepte statt kurzfristiger Symptomlinderung nötig

    Berlin, 14. September 2022 – Der Referentenentwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zur Eindämmung der finanziellen Defizite in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sieht auch Änderungen an der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel vor. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) begrüßt die Pläne der Politik, die Arzneimittelversorgung langfristig zu stabilisieren. Sie fürchtet jedoch, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen den Zugang neuer wirksamer Arzneimittel insbesondere für die Versorgung chronisch kranker Patient*innen erschweren.

    Außerdem empfiehlt sie, die frühe Nutzenbewertung um eine späte Nutzenbewertung zu erweitern, um auch langfristig erhobene Daten zur Verbesserung der Lage der Betroffenen zu berücksichtigen.

    In den letzten Jahren gab es beim Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in wirksame Arzneimitteltherapien rasante Fortschritte: In der Onkologie bietet beispielsweise die personalisierte Medizin neue Arzneimitteltherapien und auch für Hepatitis B und C konnten neue, hochwirksame Medikamente entwickelt werden. Der Gesetzgeber hatte auf die mit dem Arzneimittelfortschritt einhergehenden Kostensteigerungen reagiert und zum 1. Januar 2011 im Rahmen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) eine frühe Nutzenbewertung für alle neu zugelassenen Arzneimittel eingeführt. Sie bildet seitdem die Basis der Preisbildung für neu zugelassene Arzneimittel. Bei allen positiven Effekten in der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln haben sich dadurch die Einstiegspreise vieler Medikamente deutlich erhöht. „Wir unterstützen deshalb grundsätzlich die Begrenzung der initialen Preisbildung auf ein Niveau, das mit der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung vereinbar ist“, betont Professor Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. „Trotzdem sehen wir die jetzt vorgesehenen Anpassungen mit großer Sorge“, betont Treede, „denn ein fehlender Nachweis des Zusatznutzens innerhalb eines Jahres bedeutet nicht, dass es keinen Nutzen gibt“.

    Bislang wird der Zusatznutzen in vier Kategorien bewertet („gering“, „beträchtlich“, „erheblich“ oder „nicht quantifizierbar“). Künftig soll es nur noch für die beiden obersten Kategorien, „beträchtlich“ und „erheblich“, einen höheren Preis gegenüber der Zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) geben können. „Gemessen an den bisherigen Erfahrungen wären das noch 20 Prozent der neuen Arzneimittel statt bisher 56 Prozent. Damit würde ein wesentlicher Anreiz zur Verfügbarkeit neuer Arzneimittel in Deutschland wegfallen“, so Treede.

    Das habe vor allem negative Auswirkungen auf innovative Arzneimittel für chronische Erkrankungen wie sie in Fächern der Diabetologie, Endokrinologie, Hämostaseologie oder Psychiatrie besonders häufig sind. „Hier würde aus methodischen Gründen fast nie ein so positiver Zusatznutzen gesehen wie beispielsweise in der Onkologie“, betont Professor Dr. Bernhard Wörmann, Vorsitzender der Ständigen Kommission Nutzenbewertung von Arzneimitteln der AWMF. „Die bisherige Methodik der frühen Nutzenbewertung mit vier Kategorien muss daher beibehalten und die in den letzten Jahren vom G-BA eingeleitete Bewertung von Parametern wie Patient-Reported-Outcome und Lebensqualität gefördert werden“, so Wörmann.

    Mehr als nur kleine Korrekturen fordert die AWMF bei der Förderung von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen. Derzeit gilt der medizinische Zusatznutzen bei diesen Arzneimitteln in Deutschland automatisch dann als belegt, wenn ein Medikament bereits von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency, EMA) als sogenanntes „Orphan Drug“ zugelassen ist. Allerdings zeigt eine Auswertung, dass nicht bei allen eingesetzten Arzneimitteln die Patient*innenzahlen mit dem Orphan-Drug-Status korrelieren. So gibt es Medikamente für sehr wenige Erkrankte, die nicht darunter fallen und umgekehrt gibt es Arzneimittel für größere Patientengruppen, die aber einen solchen Orphan-Drug-Status haben. „Wir empfehlen daher, die besondere Förderung der Arzneimittelentwicklung auf diejenigen Erkrankungen zu beschränken, die in Deutschland selten sind“, sagt Wörmann. Im Bereich der personalisierten Medizin können das auch biologisch definierte Subgruppen innerhalb von Volkskrankheiten sein.

    Die AWMF schlägt außerdem vor, zusätzlich zur frühen Nutzenbewertung eine späte Nutzenbewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Eine langfristige Verbesserung der Lebensqualität und Funktionalität im Alltag ist komplizierter nachzuweisen als eine kurzfristige Verminderung der Sterblichkeit. Dieser Nachweis benötigt aus wissenschaftlicher Sicht umfangreichere Daten und längere Nachbeobachtungszeiten. „So wäre eine breitere und umfassendere Bewertung eines Arzneimittels möglich und sein wahrer Wert könnte deutlich besser erfasst werden“, so Treede. Er ergänzt: „Auch bei der Versorgung mit neuen Arzneimitteln benötigen wir nicht nur rasche Symptomlinderung sondern langfristige Therapiekonzepte.“

    Hier gelangen Sie zur ausführlichen Stellungnahme der AWMF: https://t1p.de/vsxx9


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Politik
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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