Wie reflektieren und interpretieren Berichte der Massenmedien die Konjunkturentwicklung? Welchen Einfluß hat diese Berichterstattung ihrerseits darauf, wie Unternehmen und Haushalte die konjunkturelle Situation wahrnehmen und wie sie sich als Wirtschaftssubjekte verhalten? Die mehrfach ineinander verschränkten, diffizilen Wechselwirkungen von Wirtschaftslage, Mediendarstellung, subjektiven Einschätzungen und Verhaltensweisen soll ein Projekt von Dr. Lutz M. Hagen am Lehrstuhl für Kommunikations- und Politikwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg offenlegen. Wesentliche Elemente der Wirtschaftsberichterstattung einflußreicher Medien, Daten zum Konjunkturverlauf und Beurteilungen der Bevölkerung zur wirtschaftlichen Situation werden dazu über sieben Jahre hinweg verfolgt, analysiert und auf Zusammenhänge geprüft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt mit 100.000 Mark zuzüglich einer BAT II A-Stelle für 18 Monate.
Voruntersuchungen legen nahe, daß die Medienberichterstattung eine wichtige Rolle im Konjunkturzyklus spielt und mit anderen Faktoren zusammenhängt. Ausgegangen wird von folgenden Annahmen:
* Medienberichte spiegeln nicht einfach nur die Wirtschaftslage entsprechend den statistischen Indikatoren, sie interpretieren diese auch. Umfang und Richtung der Berichterstattung werden allerdings von der Wirtschaftslage beeinflußt. Vermutlich reagieren die Medien auf negative Aspekte der Entwicklung besonders stark. Es gibt Unterschiede zwischen den Medien - je nach Typ, redaktioneller Linie und Stärke des Einflusses auf andere Medien.
* Die Darstellung der Wirtschaftslage in den Medien wird von Interpretationen durch die Wirtschaftssubjekte beeinflußt. Dies gilt in besonderem Maße für einflußreiche Akteure, die häufig als Quellen in der Berichterstattung auftreten.
* Die subjektiven Einschätzungen der Wirtschaftslage werden nicht nur von direkter Erfahrung, sondern in starkem Maß auch von der Medienberichterstattung beeinflußt. Dies geschieht in mehrfacher Hinsicht :
- Agenda-Setting-Effekt:
Je stärker die Wirtschaftslage allgemein oder eine bestimmte allgemeine konjunkturelle Entwicklungsrichtung (Aufschwung, Abschwung ...) von den Medien thematisiert wird, desto höhere Prioriät messen ihr die Leser, Seher oder Hörer bei. Dasselbe gilt für spezielle konjunkturthematische Aspekte wie Inflation oder Arbeitslosigkeit.
- Kultivations-Effekt:
Die in den Medien vorherrschende Bewertungsrichtung der Konjunktur allgemein oder von bestimmten Aspekten wird von den Lesern, Sehern oder Hörern für zutreffend gehalten.
- Ausstrahlungs-Effekt:
Die allgemeine, nicht direkt konjunkturbezogene Nachrichtenlage beeinflußt die wirtschaftsbezogene Stimmung in der Bevölkerung.
- Wissenskluft-Effekt:
In der Bevölkerung wird die Wirtschaftsberichterstattung unterschiedlich beachtet und verstanden - je nach sozialer Lage und Persönlichkeit. Formal besser Gebildete, insbesondere aber Wirtschaftskundige, vermögen sich daher mittels der Medienberichterstattung ein zutreffenderes Bild von der Wirtschaftslage zu machen als die übrigen.
* Die Einschätzungen der Wirtschaftslage durch die Wirtschaftssubjekte sind bedeutsame Determinanten der realen Wirtschaftslage. Sofern dabei ein prozyklisches Verhalten dominiert (z.B. expansives Verhalten im Aufschwung), kann sich im Zusammenwirken mit den bisher angeführten Mechanismen ein selbstverstärkender Prozeß ergeben (Konjunktur-Spirale).
Ob die vermuteten Zusammenhänge in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1991 bis einschließlich 1997 tatsächlich auftraten, gegebenenfalls wie stark und in welcher Form, das wird in einer empirischen Längsschnittstudie untersucht. Ab 1991 liegen Konjunkturdaten für das wiedervereinigte Deutschland vor; mit 1993 umfaßt der Untersuchungszeitraum das einzige Jahr während der Regierungszeit der konservativ-liberalen Koalition, in dem das Sozialprodukt real schrumpfte.
Als wichtigste Konjunkturindikatoren werden die Entwicklung des Sozialprodukts, der Inflation und der Arbeitslosenquote herangezogen und ihrer Wahrnehmung und Interpretation durch die Wirtschaftssubjekte gegenübergestellt: den Einschätzungen der bundesdeutschen Privathaushalte zur eigenen und nationalen Wirtschaftslage, ihren Aussagen zum eigenen Konsum- und Sparverhalten sowie den Einschätzungen deutscher Unternehmen zu ihrer Geschäftslage. Zum Konjunkturverlauf und den Beurteilungen in der Bevölkerung liegen Daten aus regelmäßigen, meist amtlichen Wirtschaftsstatistiken vor, die sekundäranalytisch ausgewertet werden können.
Datenbank-Recherchen
Die Medien, deren Berichterstattung untersucht wird, wurden in erster Linie im Hinblick auf Reichweite und Einfluß in der Gesamtbevölkerung bzw. der Gruppe wirtschaftlicher Führungskräfte ausgewählt. Die Medienstichprobe besteht aus dem Basisdienst der Nachrichtenagentur dpa, der Hauptabendausgabe der ARD-Tagesschau, dem Politik- und Wirtschaftsteil in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und im Handelsblatt, sowie aus den Zeitschriften SPIEGEL, Capital und Wirtschaftswoche. Im Zentrum der Inhaltsanalyse und der Datenbankauswertung steht die Thematisierung und explizite Bewertung der konjunkturellen Lage allgemein oder eines ihrer Aspekte durch Journalisten und Quellen, die zitiert werden.
Eine herkömmliche Inhaltsanalyse des kompletten Untersuchungsmaterials ist wegen des großen Umfanges nicht durchführbar. Allein der dpa-Basisdienst umfaßt über 40.000 Meldungen pro Quartal. Die konjunkturrelevante Berichterstattung wird daher durch Recherche in elektonischen Medien-Datenbanken erfaßt und durch eine Inhaltsanalyse am Ausgangsmaterial ergänzt.
Das Projekt ist Teil der Habilitation von Lutz Hagen und soll im Jahr 1999 abgeschlossen werden.
* Kontakt:
Dipl.-Kfm. Dr. Lutz M. Hagen, Lehrstuhl für Kommunikations- und Politikwissenschaft,
Postfach 3931, 90020 Nürnberg, Tel.: 0911/5302 -618, -674, Fax: 0911/5302 -659,
E-Mail: Lutz.Hagen@wiso.uni-erlangen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Medien- und Kommunikationswissenschaften, Wirtschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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