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19.05.1999 15:15

Erforschung der Schranken zwischen Blut und Gehirn

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Münstersche Biochemiker erhielten 500.000 Mark vom Bundesforschungsministerium

    Zwischen dem normalen Blutkreislauf und dem des Hirns bestehen die sogenannten Blut-Hirn-Schranken, die das Hirn vom Blutkreislauf quasi abkoppeln. Sie erfüllen vor allem zwei Funktionen: Zum einen sorgen sie dafür, daß die Konzentration von Nährstoffen im Hirn stets auf dem gleichen Niveau bleibt und nicht mit der Nahrungsaufnahme schwankt. Zum anderen hindern sie Krankheitserreger daran, sich im Gehirn auszubreiten. Doch die Blut-Hirn-Schranken sind damit auch für Medikamente fast unüberwindlich, der Behandlung von Krankheiten im Gehirn enge Grenzen gezogen. Für die weitere Erforschung dieser Mechanismen hat Prof. Dr. Hans-Joachim Galla vom Institut für Biochemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster nun vom Bundesforschungsministerium eine halbe Million Mark erhalten, berichtet die neueste Ausgabe der "muz - Münsters Universitäts-Zeitung".

    Zusammen mit dem Pharma-Unternehmen Merz AG und einer Arbeitsgruppe aus Berlin soll geklärt werden, welche Substanzen "hirngängig" sind und die Blut-Hirn-Schranken überwinden können. Die erste Blut-Hirn-Schranke, die die Wissenschaftler überwinden müssen, wird durch die sogenannten cerebralen Kapillar-Endothelzellen gebildet. Durch Kontakte von Zelle zu Zelle, den "tight junctions", binden sich die Endothelzellen so fest aneinander, daß sie eine feste Barriere für alle größeren Stoffe bilden. Der Arbeitskreis um Galla geht der Frage nach, wie die Kontakte zwischen den Zellen gebildet werden. Damit lassen sich zum einen Endothelzellen im Labor züchten, die dieselbe Durchlässigkeit wie jene im lebenden Hirn aufweisen. Zum anderen können so Wege gesucht werden, die Blut-Hirn-Barriere an den tight junctions zwischen den einzelnen Zellen für Medikamente durchlässig zu machen. Besonders der erste Punkt interessiert die Anwender. Denn Tierversuche sind aufwendig und teuer, darüber hinaus läßt sich nie eine hundertprozentige Übereinstimmung zwischen den Experimenten herbeiführen.

    Das Team um Galla experimentiert mit Hirnzellen von Schweinen, die sie in einem Serum wachsen lassen. "Doch der Einsatz von Nährflüssigkeit ist eher hinderlich", erläutert Galla, "denn im Serum finden sich immer auch entzündliche Stoffe" - jene Stoffe, die eigentlich abgewehrt werden sollen und zugleich die Ausbildung der tight junctions verhindern. Die münsterschen Wissenschaftler züchten deshalb die Zellen im Serum nur an und geben dann den Entzündungshemmer Hydrocortison dazu. "Damit erhalten wir Zellkulturen, die extrem ausgeprägte Barrierefunktionen aufweisen". Sieben Tage dauert es, bis sich eine geeignete Zellkultur gebildet hat, die dann weitere drei bis vier Tage für Experimente verwendet werden kann.

    Wie aber läßt sich die Stärke der Barriere nachweisen, wie läßt sich ohne den Einsatz teurer Substanzen zeigen, daß die Zellkulturen in vitro tatsächlich die Eigenschaften von Zellen in vivo haben? Dafür messen die Wissenschaftler die elektrische Leitfähigkeit der Kulturen, dabei voraussetzend, daß Ionenaustausch und die Durchlässigkeit für Substanzen in einem direkten Verhältnis miteinander stehen. Während früher die Fehlerquote sehr hoch war, weil die Durchlässigkeit für Ionen nur an einer Stelle der Zellkultur zufällig gemessen werden konnte, haben die Münsteraner nun Methoden entwickelt, mit der die Kulturen direkt auf der notwendigen Elektrode gezüchtet werden können. Die Durchlässigkeit ist nun zellgenau zu bestimmen, eine defekte tight junction sicher zu isolieren. Damit kann Galla beispielsweise der Pharmaindustrie Zellkulturen anbieten, mit denen sich die Wirksamkeit neuer Substanzen fast ebenso sicher wie im Tierversuch bestimmen läßt.

    Doch noch eine weitere Schranke haben die Forscher zu überwinden, die zwischen Blut und Zerebralspinalflüssigkeit, dem sogenannten Liquor. Hier wird die Barriere durch Epithel-Zellen gebildet, die für die Regulierung der kleineren Stoffe wie Vitamine zuständig sind. Darüber hinaus besitzen sie aktive Transportsysteme, mit denen sie den Liquor produzieren und die genaue Zusammensetzung dieser Gehirnflüssigkeit regulieren können. In Münster ist es zum ersten Mal gelungen, Epithel-Kulturen anzulegen, die tatsächlich Liquor produzieren und diesen aus der Zelle heraus in die Kulturschale transportieren und damit auch in der Kultur diese physiologisch wichtige Rolle übernehmen. Mit dem Nachweis funktioneller Transportsysteme ergibt sich hier ein weiterer Ansatz für den Medikamententransfer zum Gehirn.

    Die Münsteraner wollen aber noch mehr wissen. So wird untersucht, wie sich die Zellkontakte überhaupt erst aufbauen, woher die Zellen das Signal dazu erhalten. Galla vermutet, daß dafür einerseits die die Zellen umgebende extrazelluläre Matrix verantwortlich ist, andererseits das Hydrocortison die Rezeptoren, das heißt die Empfangseinrichtungen der Zelle, beeinflußt.

    Was so theoretisch klingt, findet großes Interesse in der Praxis. Und so ist es ein Anliegen Gallas, beides immer wieder miteinander zu verbinden, wie es beim BMBF-Projekt gelungen ist: "Wenn man die Grundlagenforschung nicht unterstützt, haben die Anwender bald nichts mehr anzuwenden."


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-muenster.de/Chemie/BC/bct.html#galla


    Bilder

    Versorgung von Zellkulturen am Institut für Biochemie. Foto: Markus Hippeli
    Versorgung von Zellkulturen am Institut für Biochemie. Foto: Markus Hippeli

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Versorgung von Zellkulturen am Institut für Biochemie. Foto: Markus Hippeli


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