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18.06.2005 17:30

Gesellschaftspolitisches Engagement auf der Basis christlichen Glaubens

Klaus P. Prem Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Augsburg

    Engagierte Festreden der neuen Augsburger Ehrendoktoren / Gauck: Schweigen verlängert Bindung an schuldhafte Verstrickung / Riccardi: Die Reichen in Europa haben sehr traurige Gesichter
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    Die Universität Augsburg hat zwei neue Ehrendoktoren. Auf gemeinsame Initiative der katholischen und evangelischen Theologie wurden im Jubiläumsjahr "450 Jahre Augsburger Religionsfrieden" zwei Persönlichkeiten geehrt, die sich für Frieden und Versöhnung zwischen den Menschen einsetzen: Andrea Riccardi, Geschichtsprofessor in Rom und Gründer der christlichen Laiengemeinschaft Sant'Egidio, und Joachim Gauck, Pfarrer und ehemaliger Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR. Die Universität verstehe diese "ökumenische" Ehrung als substantiellen Beitrag zum Festprogramm "Pax 2005", der "hart an der Sache und am Anlass" bleibe, wurde ich der Pressekonferenz am 16. Juli mehrfach betont. Beim Festakt am 17. Juni 2005 füllten 300 geladene Gäste den großen Hörsaal der Juristischen Fakultät.

    GEMEINSAMES ZEICHEN IM SINNE DES AUGSBURGER RELIGIONSFRIEDENS

    "Wir wollten ein deutlich sichtbares Zeichen setzen im Sinne des Augsburger Religionsfriedens und waren uns schnell einig, dass es ein gemeinsames Zeichen sein soll", erläuterte der evangelische Theologieprofessor Bernd Oberdorfer, wie es zu der seltenen Doppelpromotion gekommen war. "Wir wollten zwei Persönlichkeiten ehren, die auf der Basis des christlichen Glaubens gesellschaftspolitisches Engagement gezeigt haben und zeigen." Nach den Worten seines katholischen Kollegen Klaus Arntz soll damit auch "der häufigen Verdächtigung entgegengewirkt werden, Religionen seien nicht auf den Frieden ausgerichtet." Der Moraltheologe betonte, das Ziel der ökumenischen Zusammenarbeit sei "nicht nur ein Nebeneinander, sondern ein Miteinander".

    AN DER SCHNITTSTELLE VON KIRCHE UND GESELLSCHAFT

    Das Thema Schuld stellte der neue Ehrendoktor Joachim Gauck ins Zentrum seiner Festrede. Dabei ging der evangelische Theologe, der vor seiner Tätigkeit als Leiter der "Gauck-Behörde" Gemeindepfarrer in Rostock war, vor allem auf die Erfahrungen aus seiner politischen Tätigkeit ein, die ihn nach den Worten seines Laudators Bernd Oberdorfer besonders für die Ehrendoktorwürde qualifizierte: "Er ist eine Persönlichkeit, die beeindruckend an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft gewirkt hat."

    FRAGWÜRDIGE BEWUNDERUNG FÜR (NORMEN-)FREIHEIT

    Gauck konstatierte einen "schleichenden Verlust der Urteilssicherheit gegenüber dem Bösen" und begründete dies unter anderem mit dem Medienverhalten der Menschen: "Es gibt eine Faszination, die schuldige Menschen auslösen, eine Kultur der Verehrung der Mörder." Als Ursache vermutet Gauck eine "Facette unserer Bewunderung für Freiheit, hier für Normenfreiheit. Der Böse tut, was andere sich versagen." Wer jedoch das Ungute gut nenne, verliere die Realität. Dies habe er bei seiner Arbeit an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit erlebt. Nach dem Zusammenbrechen totalitärer Herrschaft müsse der Mensch oft erst die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Fakten wiedergewinnen: "Solange man auf der Seite der Mächtigen stand, musste man sich um Fakten nicht kümmern, sondern nur um Meinung." Schwer falle es vielen, die Dimension Schuld nicht nur allgemein, sondern im Bezug auf die eigene Person zu akzeptieren und dies auch öffentlich zu machen. Gauck beklagte in diesem Zusammenhang die Kultur der selektiven Erinnerung: "Wenn die Ossis ihre Nostalgie der DDR feiern, kann einem schlecht werden. Die große Mehrheit von schuld- und erinnerungsresistenten Menschen sucht eine Lösung im Schweigen. Der Schweigende verlängert aber nur die Bindung an seine schuldhafte Verstrickung."

    DER FRIEDE DER CHRISTEN MUSS STÄRKER SEIN ALS DER HASS

    Welche Möglichkeiten es gibt, angesichts von Ungerechtigkeit in der Welt das Schweigen zu überwinden und aktiv zu werden, verdeutlichte Professor Andrea Riccardi aus Rom, der in seiner Festrede immer wieder auf die Bedeutung des christlichen Glaubens für ein aktives Eintreten für eine bessere Welt hinwies: "Die gläubigen Christen haben eine besondere Verantwortung für den Frieden, seit Jesus Christus uns im Evangelium seinen Frieden versprochen hat. Der Friede der Christen muss stärker sein als der Hass." Die in der Bibel genannten Armen, für die man sich einsetzen müsste, seien heute die Bewohner von Afrika. Er beklagte die Gleichgültigkeit, mit der die Reichen der Armut in der Welt gegenüberträten. Dabei seien sie aber nicht glücklich. Nach Reisen in Afrika stelle er bei seiner Heimkehr immer wieder fest: "Die Reichen in Europa haben sehr traurige Gesichter."

    DAS EVANGELIUM INS LEBEN UMSETZEN

    Die für den Vortag des Festakts vorgesehenen Workshops der Ehrendoktoren mit Augsburger Studenten mussten wegen eines Bandscheibenvorfalls Gaucks entfallen. Als "Trostspendung für Kranke" hatte Andrea Riccardi im kurzfristig zur Solo-Veranstaltung umfunktionierten Gespräch mit Augsburger Studenten angesichts des Missgeschicks seines Doktorkollegen Gauck die Ehrenpromotion bezeichnet. Auch er selbst kam gesundheitlich angeschlagen - gegen den Rat der Ärzte - nach Augsburg. Riccardi stellte den Studierenden die von ihm 1968 in Rom gegründete Gemeinschaft Sant'Egidio vor, in der sich Laien darum bemühen, das Evangelium ins Leben umzusetzen. Die 50000 Mitglieder starke Gemeinschaft betreut alte Menschen, setzt sich gegen die Todesstrafe ein und kämpft gegen Aids in Afrika. "Mein Doktorat gebührt dieser Gemeinschaft, die betet und arbeitet", so Riccardi. Wie dies konkret aussieht, schilderten drei Mitglieder von Sant'Egidio. Die Sonderpädagogikstudentin Kerstin Eibl besucht regelmäßig eine 93-jährige Frau im Altenheim, redet mit ihr, geht mit ihr einkaufen und macht mit ihr Ausflüge in die Berge. Der Apotheker Dieter Wenderlein unterhält eine Brieffreundschaft mit zwei Männern aus Texas, die in der Todeszelle sitzen. Einer von ihnen soll demnächst hingerichtet werden. Die Medizinstudentin Cornelia Merzyn engagiert sich im Projekt DREAM für aidskranke Menschen in Afrika und will somit gegen das "Meer an Gleichgültigkeit und Resignation" kämpfen.

    NICHT NUR HISTORISCHE RÜCKBLENDE

    Zum ersten Zusammentreffen der beiden Ehrendoktoren war es bereits am Donnerstagabend im Augsburger Rathaus gekommen, wo tags zuvor auch die zentrale Jubiläumsausstellung "Als Frieden möglich war" eröffnet worden war. Die Stadt des Religionsfriedens von 1555 würdigte die beiden Ehrendoktoren mit der Eintragung ins Goldene Buch. Oberbürgermeister Dr. Paul Wengert betonte bei dieser Gelegenheit im Fürstenzimmer des Rathauses, dass Augsburg lange Zeit im Mittelpunkt des Konfessionsstreits gestanden habe. Heute sei der Name Augsburg jedoch mit Frieden und Versöhnung verbunden. Das Festjahr "Pax"2005 sei "nicht nur historische Rückblende, sondern eine Veranstaltung in die Zukunft hinein".

    WIR WOLLEN UNSERE THEOLOGIEN BEHALTEN

    Prorektor Prof. Dr. Thomas Scheerer sagte als Vertreter der Universitätsleitung vor Vertretern aus Wissenschaft, Politik, und Kirche, dass er die doppelte Ehrenpromotion als weiteren Beweis für das interdisziplinäre Miteinander und die gesamtuniversitäre Einbindung der katholischen und evangelischen Theologen seines Hauses sehe. Angesichts der Diskussionen um die Schließung einzelner Fachbereiche betonte Scheerer: "Wir wollen unsere Theologien behalten und sehen nicht ein, dass sie minder bewertet werden sollen."


    Weitere Informationen:

    http://idw-online.de/pages/de/news117477 (Laudationes auf Riccardi und Gauck)
    http://idw-online.de/pages/de/news116257
    http://idw-online.de/pages/de/news111244
    http://www.PAX2005.de (Jubiläumsprogramm "450 Jahre Augsburger Religionsfrieden")


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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