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26.07.2005 16:43

''Judenforschung'' in der NS-Zeit

Dr. Bärbel Adams Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Dr. Dirk Rupnow von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, ist zum 2. Mal Gast am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig. Rupnow arbeitet zu antijüdischen Forschungen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften im ''Dritten Reich''.

    ''Das Simon-Dubnow-Institut ist einer der interessantesten Orte für jüdische Geschichte''

    ''Dieses Institut hier in Leipzig ist derzeit sicher einer der interessantesten Orte für jüdische Geschichte.'' Wenn Dr. Dirk Rupnow in diesen Tagen Abschied von Leipzig und vom Simon-Dubnow-Insitut nimmt, dann liegt Gewissheit in seinen Worten: Dass er einen Ort gefunden hat, an dem er mit seinem Forschungsthema aufgehoben ist. 1996 gegründet stützt sich das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig auf ein Selbstverständnis, das jüdische Geschichte in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte begreift. In dieser grundlegenden Perspektive werden unterschiedliche Zeiten und Räume mit verschiedenen Zugängen in den Blick genommen: die Diplomatiegeschichte des 19. Jahrhunderts ebenso wie die spanische Literatur der Renaissance, Metaphern von ''Luftmenschen'' an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ebenso wie das Zusammenleben von Juden und Christen im Polen des frühen 18. Jahrhunderts. Auch Wissenschaftsgeschichte und -theorie sind in diesem Kontext ein wichtiges Forschungsfeld. Andernorts wird das breite Spektrum jüdischer Geschichte(n) häufig von der allgemeinen Geschichte weitgehend isoliert betrachtet - oder aber vom begrenzten und begrenzenden Blick auf ''Drittes Reich'' und Holocaust verdeckt.

    ''Mit der physischen Vernichtung sollte nicht auch die Erinnerung an das Judentum ausgelöscht werden''

    Der Historiker und Kulturwissenschaftler, der aus Berlin stammt und derzeit an der Universität Wien an seiner Habilitation arbeitet, hat am Leipziger Dubnow-Institut zur ''Arisierung'' jüdischer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus geforscht. ''Entgegen der Vermutung, dass über die physische Vernichtung hinaus auch das Gedächtnis, das Erinnern an Juden gelöscht werden sollte'', skizziert er seine Studien, ''möchte ich Projekte und Phänomene aufzeigen, die dieser Annahme entgegen stehen.'' Er verweist auf das ''Jüdische Zentralmuseum'' in Prag, das von der SS supervidiert wurde, auf das Frankfurter ''Institut zur Erforschung der Judenfrage'' oder das Eisenacher ''Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben''. Selbst im besetzten oder verbündeten Ausland wurden ähnliche Institute gegründet, beispielsweise das ''Institut d'Études des Questions Juives'' 1941 in Paris.

    ''Judenforschung" im III. Reich ist eine besondere Form der "Arisierung"

    Der Historiker weiß um die Irritation, die von solcher Sichtweise ausgehen mag. Immerhin gilt es aus diesem Blickwinkel die antijüdische Wissenschaft im ''Dritten Reich'' als Teil einer akademischen Wissenschaftslandschaft wahrzunehmen und zu begreifen. Doch wenn dieser Gedankengang eingeschlagen wird, dann zeigt sich nicht nur, dass im Rahmen der NS-Judenforschung unterschiedliche Akteure unterschiedliche Fragestellungen mit unterschiedlichen Methoden und aus unterschiedlichen Interessen untersuchten. Dann zeigt sich auch, dass ein Ziel diese unterschiedlichen Ansätze vereinte: Das vor allem von jüdischen Wissenschaftlern bearbeitete Forschungsgebiet jüdischer Geschichte zu ''entjuden''. ''In dieser Perspektive'', erläutert Dr. Rupnow, ''ist 'Judenforschung' als eine besondere Form der 'Arisierung' zu verstehen, als eine Ent- und Aneignung von Themen und Inhalten, Quellen und Ergebnissen, Ressourcen und Material.'' Und dieses Vorgehen deckte sich mit der ''Arisierung'', die der Ent- und Aneigung jüdischen Eigentums galt.

    Engster Ansprechpartner: Prof. Dan Diner

    In den Diskussionen, die sich um einen solchen Forschungsgegenstand ranken, hat Dr. Rupnow im Direktor des Dubnow-Instituts seinen ''engsten Ansprechpartner'' gefunden. 1999 hatte Prof. Dan Diner den jungen Kollegen zu einem Forschungsaufenthalt nach Tel Aviv eingeladen und hernach das Vorwort für Rupnows erstes Buch geschrieben (Täter-Gedächtnis-Opfer. Das ''Jüdische Zentralmuseum'' in Prag 1942-1945, Wien 2000) geschrieben. Inzwischen liegt mit der Veröffentlichung seiner Dissertation das dritte Buch aus der Feder des Historikers vor: ''Vernichten und Erinnern''. Der Titel spiegelt den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Ermordung der europäischen Juden und der Erinnerung an sie durch die Täter selbst wider - einer Erinnerung aus Gründen einer Ideologie, die ohne das Gegenbild nicht bestehen konnte.

    Am 31. Juli wird Dr. Dirk Rupnow nach Wien zurückkehren. Dann ist auch das Proseminar, das er an der Universität Leipzig zu ''Österreich und Nationalsozialismus'' gehalten hat, beendet. Aufmerksam hat er beobachtet, dass das Interesse der Studierenden eher dem Thema ''Nationalsozialismus'' galt als der Verortung des Themas beim häufig nur als skurril wahrgenommenen kleinen Nachbarn. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, schätzt der Gastwissenschaftler ein, war der ''entscheidende Grund'', am Proseminar teilzunehmen.

    Einzigartiger Fundus wissenschaftlicher Publikationen aus der NS-Zeit

    Leipzig war ihm eine lebendige Stadt - mit der Spinnerei, dem Kanal, dem Stelzenhaus, mit den exzellenten Konzerten im Gewandhaus und der Innenstadt, die tatsächlich als solche wirkt. Und es war ihm eine gespaltene Stadt - die verfallenden Häuser und die frisch sanierten so nah beieinander. ''Man muss sich hier nicht auf die Arbeit konzentrieren'', sagt er. Und schwärmt gleichzeitig von der Deutschen Bücherei, die im Gegensatz zu anderen Bibliotheken, die große Verluste im Krieg erlitten haben, einen einzigartigen Fundus von Publikationen aus dem ''Dritten Reich'' bietet, mit teilweise ungedruckten Dissertationenen, und sich als eine ''echte Fundgrube'' erwiesen hat. Hier ist er auf Arbeiten aus den 1940er Jahren gestoßen, die sich aus der Sicht der NS-Täter mit den Problemen der jüdischen Auswanderung aus dem Deutschen Reich beschäftigten oder mit den Reaktionen auf die deutsche antijüdische Politik im Ausland. Ebenso fand er im Archiv der Universität Zugang zu den entsprechenden Promotionsakten. Für die Arbeit des Schreibens wird er nun - nach der des Recherchierens und des Lehrens - Zeit finden in Wien. Der Kontakt zum Dubnow-Institut wird halten. ''Es bleibt ein fester Anlaufpunkt für mich.''

    Seine bisherigen Forschungsergebnisse hat Dirk Rupnow zusammengefasst in ''Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer Gedächtnispolitik.'' aus dem WallsteinVerlag Göttingen. Das Buch kostet 32 Euro.

    Daniela Weber


    weitere Informationen:
    Dr. Dirk Rupnow
    Telefon: 0341/21735-50
    E-Mail: dubnow@rz.uni-leipzig.de


    Weitere Informationen:

    http://www.dubnow.de


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    Dr. Dirk Rupnow
    Dr. Dirk Rupnow

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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