Expertentagung in Heidelberg mit neuen Erkenntnissen zur Wochenbett-Depression und dem Einfluss von Geschlechtshormonen bei Schizophrenie
Psychische Erkrankungen verlaufen bei Frauen meist anders als bei Männern. Diese Unterschiede spielen für ihre Behandlung eine wichtige Rolle. Dennoch werden sie zu wenig erforscht. Auf dieses Defizit hat Professor Dr. Christoph Mundt, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, bei einer Pressekonferenz am 5. Oktober 2005 in Heidelberg hingewiesen.
Um das Defizit zu beseitigen, wurde 1997 die Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen gegründet, die vom 6. bis 8. Oktober 2005 in Heidelberg tagt. Die diesjährige Tagung wird von der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg ausgerichtet; wissenschaftlicher Tagungsleiter ist der Heidelberger Oberarzt Dr. Dr. Niels Bergemann.
Weniger Suchterkrankungen, häufiger Depressionen
Frauen leiden häufiger als Männer an einer Depression, aber seltener an Suchterkrankungen, abgesehen von der Medikamentensucht. Essstörungen sind eine fast ausschließlich "weibliche" Erkrankung. Und Schizophrenie und andere psychische Erkrankungen zeigen geschlechtsspezifische Erscheinungsmuster und Krankheitsverläufe. Auf Psychotherapie und Psychopharmaka sprechen Frauen anders an als Männer. Andere Erkrankungen wie die Wochenbett-Depression und das prämenstruelle Syndrom treten naturgemäß nur bei Frauen auf.
Erste Ergebnisse einer Heidelberger Studie in süddeutschen Geburtskliniken zeigen, dass etwa zwei bis vier Prozent der Frauen nach einer Geburt an einer schweren Depression leiden und dass zusätzlich bis zu 10 Prozent an Angst- und Panikstörungen erkranken, was bislang nicht bekannt war. Die Heidelberger Psychiater empfehlen deshalb ein Screening auf schwere Verstimmungen, das sich mit einfachen Fragen in den geburtshilflichen Abteilungen durchführen lässt.
Behandlung in der Mutter-Kind-Station
Bei der schweren Depression ist eine Aufnahme in eine Psychiatrische Klinik dringend erforderlich. Eine Reihe von Kliniken verfügt wie die Heidelberger Universitätsklinik über Mutter-Kind-Stationen, in denen die Mütter medikamentös und mit Psychotherapie behandelt werden und mit modernen Methoden (Videoaufnahmen) lernen, einen emotionalen Zugang zu ihrem Kind zu finden.
Ein wichtiges Thema der geschlechtspezifischen Forschung in der Psychiatrie sind die weiblichen Geschlechtshormone, die ihre Wirkung im Gehirn nicht nur in Bezug auf Fruchtbarkeit und bei Schwangerschaft entfalten. Vor allem Östrogene üben einen schützenden Effekt auf das Gehirn und seine psychischen Funktionen aus.
Forschungsarbeiten der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, die bei der Tagung in Heidelberg vorgestellt werden, unterstützen diese Beobachtung. "Hormonstörungen bei Patientinnen mit psychischen Erkrankungen werden nicht mehr nur als Begleiterscheinung bewertet, sondern gehören zu den Krankheitsmechanismen", erklärt Dr. Bergemann.
In einer klinischen Studie hat der Heidelberger Wissenschaftler festgestellt, dass die Mehrzahl der schizophrenen Patientinnen während ihres gesamten Zyklus eine niedrige Konzentration an Östrogenen aufweisen - unabhängig davon, ob sie Psychopharmaka einnahmen, die einen Einfluss auf die Östrogenkonzentration haben.
Frauen erkranken später an Schizophrenie
In Deutschland erkranken rund 800.000 Menschen einmal im Leben an einer Schizophrenie, hinsichtlich der Häufigkeit gibt es keinen Geschlechtsunterschied. Während allerdings bei Männern die Erkrankung meist im Alter zwischen 18 und 35 Jahren ausbricht, treten bei den Frauen etwa 30 Prozent der Erkrankungen erst nach dem 45. Lebensjahr auf. Die typischen Symptome einer Schizophrenie sind Realitätsverlust mit Wahnideen und Halluzinationen, Identitätsstörungen sowie sozialer Rückzug.
"Frauen haben nach einer Geburt oder in den Wechseljahren, wenn die Hormonspiegel absinken, ein erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken", sagt Dr. Bergemann. Eine Schwangerschaft schützt die Frauen vor einem Ausbruch oder einem erneuten Schub einer Schizophrenie, vermutlich über direkte oder indirekte Einwirkung der Hormone auf die Nervenzellen.
Diese Untersuchung könnte für die künftige Therapie von Bedeutung sein. "Möglicherweise kann schizophrenen Patientinnen mit einem niedrigen Östrogenspiegel durch eine Hormongabe geholfen werden", sagt Dr. Bergemann, der für einen individuellen Einsatz der Östrogene plädiert. Klinische Studien sollen nun zeigen, ob dies als Therapie in Abwägung aller Risiken der Östrogengabe zum Einsatz kommen sollte.
Literatur:
Bergemann N, Mundt Ch, Parzer P, Jannakos I, Nagl I, Salbach B, Klinga K, Runnebaum B, Resch F: Plasma concentrations of estradiol in women
suffering from schizophrenia treated with conventional versus atypical
antipsychotics. Schizophrenia Research 73 (2005) 357-366.
(Der Originalartikel kann bei der Pressestelle des Universitätsklinikums
Heidelberg unter contact@med.uni-heidelberg.de angefordert werden)
Weitere Informationen im Internet:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=1838 (Mutter-Kind-Projekt)
Ansprechpartner:
Dr. Dr. Niels Bergemann
E-Mail: niels.bergemann@med.uni-heidelberg.de
Diese Pressemitteilung ist auch online verfügbar unter
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http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=1838 - Mutter-Kind-Projekt
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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