Körperbetonte Zweikämpfe, vielleicht sogar harte Fouls auf dem Spielfeld; lautstarke, anfeuernde oder höhnische Gruppengesänge; die Verbundenheit mit der eigenen Mannschaft und mit gleichgesinnten Fans; Wut und Enttäuschung wegen einer Schiedsrichterentscheidung oder ein rauschartiger Triumph über den Gegner - fordert eine solche Atmosphäre nicht zur Gewalt heraus? Oder sind die Ursachen für harte, teils brutale Ausschreitungen im Zusammenhang mit aufsehenerregenden Fußballspielen doch eher in der Persönlichkeit der Randalierer zu suchen? Am Lehrstuhl für Psychologie I (Prof. Dr. Friedrich Lösel) der Universität Erlangen-Nürnberg sucht ein Team unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Thomas Bliesener dem Phänomen des Hooliganismus von zwei Seiten nahe zu kommen: zum einen durch Diskussionen mit Experten aus 24 Fußballzentren in Deutschland, zum anderen, indem eine kleine Gruppe von Tätern intensiv befragt wird.
Seit Berichte von gewaltsamen Übergriffen in und um Fußballstadien häufiger werden, versucht man vorzubeugen, etwa durch das Verbot, im Stadion Alkohol zu verkaufen, oder dadurch, daß gegnerische Fans in Blöcken voneinander getrennt bleiben. Eindeutige Zusammenhänge zwischen dem Alkoholausschank und Schlägereien unter den Zuschauern konnten jedoch nicht nachgewiesen werden, und die Aktionen von Hooligans breiten sich zunehmend auf das weitere Umfeld sportlicher Großveranstaltungen aus, wo ordnungstechnische und polizeitaktische Maßnahmen schlechter greifen.
An diesen Beispielen zeigt sich, daß als Basis einer gezielten Prävention gesicherte Erkenntnisse über den Hooliganismus unverzichtbar sind. Inzwischen sind sich die Fachleute darüber einig, daß eine Kombination von Faktoren, die aus der Situation erwachsen, und einer von vornherein erhöhten Gewaltbereitschaft vorliegen muß. In ihrer überwiegenden Mehrheit lassen sich die Fans von der Stimmung während eines Fußballspiels, von Emotionen, Lärm und Menschenmassen keineswegs zu Aggressionen hinreißen, die in Tätlichkeiten münden. Sie kommen, um "ihren" Verein zu sehen und zu unterstützen, oder wollen einfach einen spannenden Wettkampf genießen.
Doppelte Identität?
Systematische Studien zu den Persönlichkeitsmerkmalen derer, die zur Gewalt bereit sind, Gewalt anwenden oder auch nur fasziniert dabeistehen, fehlen jedoch weitgehend, und die vorhandenen Untersuchungen liefern unterschiedliche Befunde. Aus Deutschland stammen Ergebnisse, nach denen Hooligans sich eher aus gut ausgebildeten und sozial abgesicherten Schichten rekrutieren und neben der "bürgerlichen Alltagsidentität" eine "jugendkulturelle Hooligan-Identität" aufweisen, die ihnen Abwechslung und Aufregungen verschafft. In Italien wurden Gewalttäter dagegen vorwiegend im Milieu von Arbeitslosigkeit und niedriger Bildung gefunden.
Belgische Studien wiederum führten zu einer Differenzierung in einen harten Kern von strafrechtlich bereits aufgefallenen Tätern, die Aktionen eingehend planen und das Medienecho verfolgen, und in Jugendliche, die die Anerkennung dieses Personenkreises suchen und gerade darum oft besonders schnell zuschlagen. Eine dritte Gruppe, die Mitläufer, liefert verbale Unterstützung, wird aber selbst nicht handgreiflich.
Maske der Anpassung
Übereinstimmung läßt sich darin erzielen, daß es sich vorwiegend um junge Männer um die 20 Jahre handelt, die ein starkes Bedürfnis nach Stimulation haben, kaum Partnerschaften eingehen und sich nach eher problematischen Vorbildern richten. Viele Fragen aber bleiben offen. Die soziale Herkunft ist ebensowenig systematisch erfaßt wie das Sozialverhalten in anderen Zusammenhängen oder die psychische Gesundheit. Das Erlanger Team untersucht auch, ob massive Gewaltanwendung bei Fußballspielen mit einem durchgängig friedlichen Verhalten in den übrigen Lebensbereichen vereinbar ist. Pathologisch antisoziale Züge lassen sich, wie die Grundlagenforschung zeigt, zwar häufig unter der Maske oberflächlicher Anpassung verbergen; dennoch treten sie immer wieder zutage, und die Umwelt leidet darunter.
Nicht gesichert ist auch, daß Gewalttaten im Umfeld von Fußballspielen tatsächlich zugenommen haben und brutaler werden, wie es die Berichterstattung der Medien suggeriert. Diese Frage zu klären und, falls eine solche Entwicklung festzustellen ist, die Ursachen dafür zu finden, steht ebenfalls auf dem Forschungsplan. Weiter soll geprüft werden, ob Hooligans ansonsten privat und beruflich erfolgreich sind oder ob es sich eher um sozial Benachteiligte und Außenseiter handelt. Zum Fragenkatalog gehört außerdem, welche Motive und Persönlichkeitsstrukturen den besonders gewalttätigen Formen des Hooliganismus zugrundeliegen und inwieweit das Bedürfnis nach außergewöhnlichen, berauschenden Erlebnissen eine Rolle spielt. Darüber hinaus interessiert, ob über aggressive, aufsehenerregende Handlungen psychische oder psychosoziale Probleme abreagiert werden sollen.
Für die Forschungen wird das Wissen von Praktikern genutzt und systematisiert. Polizeibeamte, die im Umgang mit Hooligans erfahren sind, Fanbeauftragte von Vereinen und Vertreter von Fangruppen wurden zu Gruppendiskussionen über die Thematik des Projekts geladen. Danach erhielten die Teilnehmer Protokolle zugesandt, welche die in den Gruppen gesammelten Daten, Erfahrungen und Einschätzungen bündeln sollten; ihr Feedback ging in eine Überarbeitung der ersten Auswertung ein.
Für die Täterbefragung kamen nur Personen in Frage, die bereits wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen verurteilt waren. Die 20 Fallanalysen, die noch andauern, umfassen Aktenstudien, detallierte Befragungen, klinische Interviews und Tests sowie Reaktionen der Täter auf Bildmaterial über Hooligan-Gewalt.
Vergleich in Europa
Da einerseits Studien in verschiedenen Ländern unterschiedliche Ergebnisse erbrachten, andererseits Hooligans auch über Staatsgrenzen hinweg agieren, sollen zusätzlich international-vergleichende Aspekte hinzugezogen werden. Das Team konnte dazu auf gute Kontakte mit Forschungseinrichtungen mehrerer europäischer Länder zurückgreifen.
Die Untersuchungen laufen seit Anfang 1999. Der nationale Bericht soll noch vor Ende des Jahres vorliegen, so daß genügend Zeit bleibt, die Ergebnisse auf europäischer Ebene zu diskutieren und Empfehlungen für die Fußball-Europameisterschaft 2000 zu erarbeiten.
* Kontakt:
PD Dr. Thomas Bliesener, Lehrstuhl für Psychologie I
Bismarckstraße 1, 91054 Erlangen
Tel.: 09131/85 -22333, Fax: 09131/85 -22646
E-Mail: tsbliese@phil.uni-erlangen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Psychologie, Sportwissenschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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