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13.12.1999 16:30

Kranksein in der Fremde

Gertraud Pickel Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Griechische, türkische und russische Patienten im Klinikum der Stadt Nürnberg werden derzeit nicht nur medizinisch untersucht, sondern nehmen zusätzlich an einer soziologischen Studie teil. Wie kommen sie zurecht, wenn zu den Beschwerden, die schwere Krankheiten mit sich bringen, auch noch Sprachprobleme und jene Irritationen hinzutreten, die bei der Berührung verschiedenartiger Kulturkreise unvermeidlich sind? Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums (SFZ) an der Universität Erlangen-Nürnberg verfolgen die Prozesse zwischen gegenseitigem Unverständnis und beiderseitigem Verständigungswillen, in denen Fremdheit aufkommt, das Fremde aber auch verstanden werden kann. Ansprechpartner für das Projekt sind Gaby Voigt, M.A., und Prof. Dr. Manfred Stosberg.

    Wer in der Fremde lebt, ist kulturell bedingten Verständigungsschwierigkeiten ausgesetzt, die zur Belastung werden können. Die Situation spitzt sich zu, wenn man in einem fremden Land erkrankt und gar hospitalisiert werden muß, also von anderen abhängig wird und um so mehr darauf angewiesen ist, verstanden zu werden und selbst zu verstehen. Gerade diese für alle Beteiligten prekäre Lage wurde für die vergleichende kulturtheoretische Analyse ausgewählt, da grundlegende Probleme der Verständigung hier deutlicher zutage treten.

    Viele ausländische Patienten entstammen einem anderen Kulturkreis als die Pflegenden und die Ärzte. Bei einer solchen Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Kulturkreise hängt viel davon ab, wie die Kommunikation verläuft, da der Gesundungsprozeß des Patienten wesentlich betroffen ist. Sprachliche Grenzen, die von einem Dolmetscher überbrückt werden könnten, sind nicht das größte Hindernis. Weit schwieriger ist es, einander zu verstehen, wenn unterschiedliche kulturell geprägte Konzepte vorliegen, die in diesem Zusammenhang relevant sind - z.B. Konzepte von Gesundheit, Krankheit, Schmerz, Scham oder Sterben, aber auch von Familie.

    Eine Verständigung über diese Unterschiede der Kulturen ist dennoch möglich. Zwar prägt die kulturelle Herkunft das Handeln, Denken und Wahrnehmen des Individuums, doch bildet keine Kultur völlig starre, festgefügte Strukturen, die die Menschen unveränderbar festlegen. Jeder Angehörige einer Kultur kann ihre Bestandteile interpretieren und in mehr als einer Weise auslegen. In der Begegnung mit Mitgliedern anderer Kulturen wird ver- und ausgehandelt, worin die Unterschiede liegen und wie damit umzugehen ist. So läßt sich beispielsweise eine Übereinkunft über das Besuchsverhalten der Angehörigen treffen, obwohl für das Konzept "Familie" verschiedene Deutungsmuster existieren.

    Im Prozeß des Fremdverstehens wird in der Begegnung zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen, in der Auseinandersetzung über Differenzen und im Aushandeln von Bedeutungen "das Fremde" eigentlich erst geschaffen und formuliert. Wie eine solche interkulturelle Kommunikation zwischen Migrantenpatienten, Pflegenden und medizinischem Personal im Krankenhaus verläuft, was sie unterstützt und was sie hemmt, ist Thema des Forschungsprojekts.

    Ungeübte Dolmetscher

    Eine Vorstudie zur interkulturellen Pflege aus der Sicht des Pflegepersonals hat das SFZ mit finanzieller Unterstützung der Stadt Nürnberg bereits am Nürnberger Klinikum durchgeführt. Geht es um Tätigkeitsbereiche wie Essensversorgung und Körperpflege, haben die Pflegenden demnach gute, tragfähige Lösungsansätze entwickelt und können auf kulturell geprägte Bedürfnisse der Migrantenpatienten eingehen. Ungelöst ist ist nach wie vor das Problem der sprachlichen Verständigung, von dem alle Handlungsfelder betroffen sind: die Übersetzer sind meist keine professionellen Dolmetscher, es fehlt also an Fachkenntnissen. Außerdem sind muttersprachliche Informationsbroschüren zu Gesundungsprozeß und Pflegemaßnahmen bei speziellen Erkrankungen (z.B. über Diätkost) nicht ausreichend verfügbar.

    Das unvertraute emotionale Verhalten der Migrantenpatienten und die fremdartigen Gewohnheiten ihrer Besucher machen den Pflegekräften besonders zu schaffen. Nicht weniger befremdet reagieren sie auf die Religionspraktiken ausländischer Patienten, auch wenn dies wenig thematisiert wird. In all diesen Bereichen besteht noch Bedarf an befriedigenden Lösungsstrategien.

    Für die neuen Forschungsarbeiten wird die Perspektive der Vorstudie nun erweitert: untersucht werden ausländische Patienten in ihrem Kommunikationsgefüge während des Krankenhausaufenthalts. Die Ergebnisse dieses Projekts sind nicht allein von theoretisch-kulturwissenschaftlichem Interesse; sie sollen in der Praxis genutzt werden. Für die Mitarbeiterfortbildung in allen Gesundheitsberufen, insbesondere aber für Pflegende, werden Lehrpläne zur stationären interkulturellen Gesundheitsversorgung erarbeitet. Dieses Thema soll fester Bestandteil des Fortbildungsprogramms am Institut für Fort- und Weiterbildung des Klinikums Nürnberg werden. Für den direkten Einsatz auf Station ist unter anderem daran gedacht, zweisprachige Wort- und Satzlisten, fremdsprachliche Informationsmaterialien - z. B. über Diabetes - und Piktogramme für Mitarbeiter und Patienten zu entwickeln, deren Bedeutung unmittelbar einsichtig ist. Die vorhandenen Broschüren der ca. 120 Stationen des Klinikums Nürnberg werden gesammelt, systematisiert und ergänzt.

    Das Forschungsprojekt "Kranksein in der Fremde. Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus" wird unterstützt durch die Stadt Nürnberg, Amt für Kultur und Freizeit, Inter-Kultur-Büro, und durch das Institut für Fort- und Weiterbildung, Klinikum Nürnberg. Der theoretisch-kultursoziologische Teil der Forschungsarbeiten wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die praktische Umsetzung der Forschungsergebnisse fördert die Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen ihres Schwerpunktes "Pflege und Pflegemanagement". Das Projekt hat im September 1999 begonnen und läuft bis Ende August 2001.

    Das Klinikum Nürnberg ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung, in dem alle Fachrichtungen (außer Orthopädie) vertreten sind. Etwa 20 Prozent der fast 80.000 jährlich behandelten Patienten sind Migranten. Es kann davon ausgegangen werden, daß die hier gewonnenen Ergebnisse bundesweit auf Krankenhäuser ähnlicher Größenordnung übertragbar sind.

    * Kontakt:
    Gaby Voigt, M.A., Prof. Dr. Manfred Stosberg
    Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum (SFZ)
    Findelgasse 7-9, 90402 Nürnberg ,Tel.: 0911/5302-603, -682, Fax: 0911/5302-637
    E-Mail: Gaby.Voigt@wiso.uni-erlangen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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