Indogermanisten der Universität Jena erstellen Wörterbuch zum "Menschen in Natur und Kultur"
Jena (05.12.06) "Sorry", sagen wir, um uns zu entschuldigen. Wir gehen "shoppen" und "joggen" und telefonieren dabei über das "head set" - die Liste der Anglizismen in der heutigen Umgangssprache wird stetig länger. Auch in Wissenschaft und Wirtschaft sind immer häufiger aus dem Englischen entlehnte Wörter zu hören. Andere Begriffe tauchen dafür in der deutschen Gegenwartssprache kaum noch auf, obwohl sie noch vor wenigen Jahrzehnten weit verbreitet waren. "Etwa der ,Oheim' für den Onkel oder der ,Backfisch' als Bezeichnung für ein junges Mädchen", nennt Prof. Dr. Rosemarie Lühr von der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Beispiele.
Doch warum hat das "girl" den "Backfisch" ersetzt? Wie finden neue Wörter Eingang in unsere Sprache? Um 1900 zahlte man noch "Interessen" statt der heutigen "Zinsen" für sein Darlehen. Was passierte mit dieser Bedeutungsnuance von "Interesse"? Diesen Fragen wollen die Sprachwissenschaftler um Prof. Lühr in einem neuen Forschungsprojekt nachgehen. "Deutsche Wortfeldetymologie im europäischen Kontext - Der Mensch in Natur und Kultur", so lautet der Titel des Forschungsvorhabens an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, das vom Land Thüringen zusammen mit dem Bund finanziell gefördert und an der Universität Jena angesiedelt wird.
"Dabei interessieren uns sowohl der zeitliche Wandel des deutschen Wortschatzes als auch seine Organisation", so Projektleiterin Lühr, die den Lehrstuhl für Indogermanistik an der Jenaer Universität innehat. Deshalb wollen die Wissenschaftler die untersuchten Begriffe so genannten Wortfeldern zuordnen und auch prüfen, ob die einzelnen Begriffe in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen aufweisen. "Interessen" im heute gebräuchlichen Sinn "Neigungen" gehört z. B. zum Wortfeldkomplex "Der Mensch im Alltag", in der veralteten Bedeutung "Zinsen" dagegen zum Wortfeldkomplex "Mensch und Wirtschaft". Das Wortfeld "Mensch und Ethik" besetzen etwa deutsche Wörter wie "Freiheit" und "Menschlichkeit" oder Internationalismen wie "Toleranz". "Wir wollen gleichzeitig einen Bezug zu den wichtigsten europäischen Sprachen herstellen", erklärt Prof. Lühr. "Viele Begriffe werden in anderen Sprachen anders gebraucht und haben andere Bedeutungsnuancen." "Toleranz" beispielsweise habe im Russischen noch oft den negativen Beigeschmack von "zu großer Nachsicht".
Die Erkenntnisse aus dem Projekt der Sprachwissenschaftler der Jenaer Universität fließen in den kommenden 20 Jahren in ein etymologisches Wörterbuch ein, das die Geschichte und Herkunft von Wörtern erklärt. Es erscheint online und in Buchfassung. "Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Sprachen fehlt für das Deutsche ein solches umfassendes Wörterbuch bisher", konstatiert Prof. Lühr, die diese Forschungslücke nun schließen will. Ab Mitte des kommenden Jahres wird eine eigens eingerichtete Internetseite den Projektverlauf stetig dokumentieren.
Kontakt:
Prof. Dr. Rosemarie Lühr
Lehrstuhl für Indogermanistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Zwätzengasse 12, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944381
E-Mail: Rosemarie.Luehr[at]uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Sprache / Literatur
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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