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26.01.2001 11:39

Schwangerschaftskonfliktberatung in Nürnberg: Ausweg oder Abbruch?

Gertraud Pickel Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Die Einrichtungen, die in der Stadt Nürnberg zur Schwangerschaftskonfliktberatung zur Verfügung stehen, können das Spektrum verschiedener Bedürfnisse der Rat suchenden Frauen abdecken. Dies kann aus einer systematischen Inhaltsanalyse aller Beratungsprotokolle des Jahres 1998 geschlossen werden, der sich Dr. Reinhard Wittenberg am Lehrstuhl für Soziologie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät angenommen hat. Zwischen deutschen und ausländischen Frauen sind sowohl in der Motivation als auch im Ablauf der Beratung Unterschiede feststellbar.

    Wenn eine Frau, von medizinisch indizierten Gründen abgesehen, keinen anderen Ausweg sieht, als eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, muss sie sich der Beratung einer staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle unterziehen. Jedes derartige Beratungsgespräch muss nach einem vorgegebenen Schema protokolliert werden.

    Die 1.820 Beratungsprotokolle des Jahres 1998 aus den Nürnberger Einrichtungen der Caritas (die inzwischen keine Beratungsscheine mehr ausstellt), der evangelischen Stadtmission, dem Gesundheitsamt, dem Zentrum Kobergerstraße und Pro Familia bildeten die Grundlage für die Studie. Eine frühere Untersuchung am Nürnberger Lehrstuhl für Soziologie anhand von Protokollen des Gesundheitsamts aus drei Jahren hatte sich darauf konzentriert, die wichtigsten Motive für den Abbruchwunsch herauszufiltern und Zielgruppen für vorbeugende Aufklärungs- und Beratungsgruppen zu definieren. Diesmal war das Interesse mehr auf Unterschiede zwischen den Beratungsstellen gerichtet.

    Untersucht wurde, ob verschiedene Beratungszentren jeweils ihr abgrenzbares Klientel haben, ob sich also - je nach Wahl eines bestimmten Zentrums - die Frauen bezüglich bestimmter Merkmale unterscheiden, z.B. nach Alter, Nationalität, Familienstand oder Anzahl der vorangegangenen Geburten und Schwangerschaftsabbrüche. Weitere Fragestellungen waren, ob die Beratung in den verschiedenen Zentren qualitative Unterschiede erkennen lassen und ob die angebotenen Hilfen für die Schwangeren variieren.

    Zukunftsängste deutscher Frauen

    Generell lag das Durchschnittsalter der Hilfe suchenden Frauen knapp über 29 Jahren. Ledige und verheiratete Frauen hielten sich mit ca. 45 % die Waage, 10,7 % waren geschieden. Zwei Drittel der Ratsuchenden waren Deutsche, jede zehnte Frau war türkischer Herkunft und jede 20. Frau kam aus den Balkan- bzw. den GUS/Osteuropastaaten oder aus dem EU-Gebiet. Je mehr Schwangerschaften und Geburten eine Frau hinter sich hat, um so wahrscheinlicher ist ein Abbruch. Überwiegend Frauen ab 30 Jahren hatten bereits Erfahrungen mit ein oder mehreren Abbrüchen gemacht .

    Deutsche bis zu 28 Jahren neigen eher zu Abbrüchen, als es bei der Gesamtheit aller Frauen der Fall ist. Auch hinsichtlich der angegebenen Gründe für die erwogene Schwangerschaftsunterbrechung gab es gravierende Unterschiede zu Ausländerinnen. Bedeutend mehr deutsche Frauen nannten eine physisch/psychische Überforderung und Zukunftsängste als Ursache.

    Mit nur 3,5 % ist der Anteil der indizierten Schwangerschaftsunterbrechungen in Bayern sehr gering. Wenn sich eine Frau zu diesem Schritt entschließt, lässt sie sich durch ein Beratungsgespräch selten umstimmen.

    Kalküle über die Höhe der Hürden

    Warum wählt nun eine Frau gerade eine bestimmte Einrichtung? Zu vermuten ist, dass außer religiösen Einstellungen und Zielorientierung des Beratungsgespräches auch Kalküle über die Höhe der Hürden angestellt werden, die vor dem Beratungsschein zu überwinden sind.

    Für ein Gespräch beim Gesundheitsamt oder bei den Einrichtungen der Kirchen entschieden sich überproportional viele ausländische Frauen, während deutsche Frauen sich eher an Pro Familia wandten. Auch bei ledigen Frauen hatte Pro Familia den höheren Anteil zu verzeichnen, während verheiratete und geschiedene Frauen eher zu Gesundheitsamt tendierten. Außerdem stellte man fest, dass Pro Familia überwiegend Frauen anzieht, die zuvor noch keine Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen gemacht hatten.

    Besonders aufgefallen war bei der Angabe der Gründe die Caritas: 99 % der Frauen, die dort zur Beratung kamen, nannten neben anderen Ursachen eine psychisch/physische Überforderung; Ängste vor Verantwortung und vor der Zukunft gaben fast 90 % an. Pro Familia verzeichnet in diesen Bereichen ebenfalls relativ hohe Werte. In den Protokollen beider Einrichtungen und des Zentrums Kobergerstraße werden Gesundheitsprobleme deutlich häufiger erwähnt als bei Gesundheitsamt und Stadtmission. Bezüglich sozialer Probleme ergibt sich dagegen keinerlei Unterschied zwischen den Beratungszentren.

    Im Schnitt wird pro Konfliktberatung am wenigsten Zeit im Gesundheitsamt, am meisten Zeit bei der Caritas aufgewendet. Nur hier dauert die Beratung durchschnittlich deutlich länger als eine Stunde. Möglich ist, dass die Frauen dort einem stärkeren Rechtfertigungszwang unterliegen, aber auch, dass die Entscheidung dieser Schwangeren noch relativ offen ist und die Abwägung deshalb unter Umständen intensiver erfolgt. Wer das Gesundheitsamt aufsucht, hat sich eventuell von vornherein zu einem Abbruch entschlossen und ist nur noch an dem Beratungsschein interessiert. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass einige Themen aus dem Bereich der Informationen und Hilfsangebote im Gesundheitsamt gar nicht oder kaum angesprochen werden. Zu Rechtsfragen und finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten informieren alle Einrichtungen gleichermaßen. Die Caritas legt außerdem besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten einer Adoption.

    Auffällig war, dass ausländische Schwangere signifikant weniger auf akute Hilfsmöglichkeiten hingewiesen werden als deutsche. Bei konkreten Hilfsmaßnahmen haben Ausländerinnen fast durchwegs etwas schlechtere Karten; bevorzugt werden sie allerdings bei der Vermittlung von Behördenkontakten und der Auszahlung gesetzlicher Unterhaltsvorschüsse. Ausländische Frauen erhalten eher materielle, deutsche Frauen dagegen eher kommunikative Hilfe.

    Was Frauen tatsächlich dazu bewegt, eine bestimmte Beratungseinrichtung zu wählen, kann anhand der Protokolle nicht entschieden werden; hier könnte nur eine Befragung der Schwangeren Antwort geben.

    * Kontakt:
    Dr. Reinhard Wittenberg, Lehrstuhl für Soziologie
    Findelgasse 7/9, 90409 Nürnberg
    Tel.: 0911/5302 -699, -679, Fax: 0911/5302 -660
    E-Mail: wittenberg@wiso.uni-erlangen.de


    Weitere Informationen:

    http://www.wiso.uni-erlangen.de/WiSo/Sozw/sozio1.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft
    regional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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