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05.11.1997 00:00

Charismatische Führer begrenzen Überlebensaussichten

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    185/97 Charismatische Fuehrer begrenzen UEberlebensaussichten Koelner Forscher untersucht die Lebensdauer von Kommunen

    Kommunen mit zentralen charismatischen Fuehrern scheitern grundsaetzlich frueher als undogmatisch-weltliche Gemeinschaften, da die Fixierung auf eine zentrale Persoenlichkeit dem Streben nach Gleichheit und Bruederlichkeit im Wege steht. Zu diesem Ergebnis kommt Christoph Brumann vom Institut fuer Voelkerkunde der Universitaet zu Koeln in seiner Untersuchung "Die UEberlebensbedingungen kommunitaerer Gruppen".

    Hinsichtlich der Lebensdauer unterscheidet der Koelner Voelkerkundler drei Modelle von Kommunen. Beim Modell mit einem sehr zentralen charismatischen Fuehrer wird diesem eine uebermenschliche oder gar goettliche Natur zugeschrieben, er geniesst materielle, soziale und sexuelle Vorrechte und bestimmt saemtliche wesentlichen UEberzeugungen der Kommune. Die Gruppe ist oftmals aussergewoehnlich gross, gruendet aber trotzdem keine Zweige, und wenn, dann sind diese der Zentrale deutlich untergeordnet. Meist sympathisiert sie mit Abweichungen von der Monogamie, ja versucht, durch ein Zoelibat oder die - nur hier vorkommende - Gruppenehe die Kontrolle der Kommune ueber die Mitglieder zu verstaerken. Das UEberzeugungssystem ist fast immer religioes gepraegt, fast immer abweichend von herkoemmlichen Traditionslinien auf den Fuehrer zugeschnitten, der eine Verschmelzung verschiedener Religionen und Philosophien vorgenommen hat. Bei seinem Tode erlebt die Kommune oftmals einen Niedergang, da die interne Hierarchie voellig auf ihn ausgerichtet war. Durch einen Hang zum Extremen ist das Verhaeltnis zur Aussenwelt nicht selten von erbitterten Konflikten gepraegt. Spektakulaerstes Beispiel fuer eine solche kurzlebige Kommune duerfte der Peoples Temple sein. Im Jahre 1978 begingen fast 900 Mitglieder auf Geheiss ihres Fuehrers Jim Jones Selbstmord, indem sie, wie schon oftmals geprobt, Gift einnahmen.

    Ein Modell mit weitaus besseren UEberlebenschancen bietet die typisch dualistisch-religioese Kommune ohne zentralen charismatischen Fuehrer. Ihre Religion, meist traditionsnah christlich, hat asketische Ideale, die den Verzicht auf viele als suendig empfundene Praktiken der Rahmengesellschaft fordern. Weicht sie von deren monogamer Norm ab, dann in Richtung zoelibataerer Enthaltsamkeit. Gibt es einen charismatischen Fuehrer, dann ist dieser eher Heiliger als Koenig und ordnet sich den gemeinschaftlichen Regeln und UEberzeugungen unter. Gefahr fuer den Fortbestand besteht am ehesten dann, wenn die Kommune in der Pflege der sie von der Aussenwelt distanzierenden religioesen UEberzeugungen nachlaesst. Wird dies jedoch vermieden oder auf bestimmte Bereiche beschraenkt, sind alle Arten von UEberlebenserfolgen moeglich. So erlebten die Hutterer bereits im 16. Jahrhundert eine Bluetezeit in Maehren. Nach religioeser Verfolgung wanderten die Reste im 19. Jahrhundert in die USA aus und verlagerten schliesslich ihren Schwerpunkt nach Kanada. Heute leben, hauptsaechlich in den Great Plains Bundesstaaten, etwa 30.000 Hutterer in ueber 400 Kolonien.

    Ein weiteres Modell mit guten UEberlebenschancen stellen die typisch undogmatisch-weltlichen Kommunen dar, deren bekannteste Vertreter die israelischen Kibbutzim sein duerften. Sie koennen sich kaum auf verbindliche UEberzeugungen berufen, da diese dem Streben der Mitglieder nach Gleichheit und Toleranz zuwiderlaufen wuerden. Auch die dogmatische Einfuehrung ungewoehnlicher Eheformen wuerde dem toleranten Grundbekenntnis nicht entsprechen, so dass ein monogames Familienleben die Norm ist. Gibt es charismatische Fuehrer, dann bescheiden sich diese in ihren Selbsteinordnungen und Privilegien, und AEmter sind ganz allgemein eher mit Arbeit als mit Anerkennung verbunden und werden oftmals gemieden.

    Diese Ergebnisse sind in Zeiten verbreiteter Unzufriedenheit mit herkoemmlichen politischen, wirtschaftlichen und administrativen Institutionen nicht zu unterschaetzen, zeigen sie doch, dass selbstorganisierte Kooperation in vielen Lebensbereichen moeglich ist und eine ernstzunehmende Alternative darstellt. Dabei sollte nach Auffassung Brumanns nicht vergessen werden, dass unser Alltag von selbstorganisierter Kooperation durchzogen ist - etwa in Form von Wohngemeinschaften, Krabbelgruppen, Car-sharing oder Tauschringen. Zwar gehe es dort "nur" um alltagspraktische Probleme und das Teilen reiche laengst nicht so weit wie in kommunitaeren Gruppen, bestimmte strukturelle Fehler duerften aber haeufig wiederholt werden. Dies muesste - so der Voelkerkundler - seltener der Fall sein, wenn bisherige Erfahrungen systematisch gesammelt, ausgewertet und die Ergebnisse zugaenglich gemacht wuerden.

    Verantwortlich: Wolfgang Hardt

    Fuer Rueckfragen steht Ihnen Christoph Brumann unter der Telefonnummer 0221/470-2706 oder 0221/470-2278, Fax-Nummer 0221/470-5117 und der Email-Adresse Christoph.Brumann.uni-koeln.de zur Verfuegung.

    Fuer die UEbersendung eines Belegexemplares waeren wir Ihnen dankbar.


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