Dänemark, Kroatien und Schweden haben die höchsten Standards in der Unterbringung von Langzeitstrafgefangenen. In Polen dürfte die Situation für Gefangene am schwierigsten sein. Gravierende Menschenrechtsverletzungen sind kaum erkennbar, jedoch gibt es überall Defizite in Einzelbereichen der Unterbringung und Behandlung von Langzeitinhaftierten. Das ist eines der Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie in elf europäischen Ländern. Rund 100 Wissenschaftler und Fachleute diskutieren vom 26. bis zum 28. Februar während einer internationalen Tagung des Lehrstuhls für Kriminologie in Greifswald erste Ergebnisse. Die Tagung findet im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg statt.
Nach der gerichtlichen Aufarbeitung schwerer Straftaten wird in der Öffentlichkeit oft darüber diskutiert, ob die Haftstrafe auch lang genug ausgefallen ist. Für den Verurteilten ist die Langzeithaft eine harte Einschränkung seiner Persönlichkeitsrechte. Entspricht seine Unterbringung im Gefängnis aber unseren Vorstellungen von einem menschenwürdigen Dasein? Diese Frage soll eine im April 2007 begonnene Untersuchung zu den Lebens- und Haftbe¬dingungen sowie dem Hafterleben bei Gefangenen mit langem Frei¬heitsentzug (d. h. mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe) beantworten. An der Studie beteiligen sich Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Finnland, Frankreich, Kroatien, Litauen, Polen, Schweden und Spanien. Bei der Bewertung der Ergebnisse werden Standards wie die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie die vom Anti-Folter-Komitee des Europarats entwickelten Grundsätze zu Grunde gelegt. Bislang liegen Daten aus neun Ländern bzgl. insgesamt 740 Gefangenen aus 30 Anstalten vor. Das Projekt wird durch die Europäische Union (AGIS-Programm) finanziert.
Die wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Unterbringung und damit die grundlegenden Lebensbedingungen sind sehr unterschiedlich. Während z. B. in England, Dänemark und Schweden Einzelzellen Standard sind, überwiegt in Kroatien, Litauen und Polen die Unterbringung in Hafträumen mit mindestens fünf Personen.
Die psychische Belastung der Gefängnisinsassen ist überall sehr hoch. Viele leiden an Traumata und Depressionen. Fast 15 Prozent haben mindestens einen Selbstmordversuch begangen. Nicht überall gibt es entsprechende Behandlungsangebote für die Inhaftierten.
Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, die unter anderem die Wiedereingliederungschancen erhöhen, sind überall ausbaufähig. Insbesondere in Litauen und Polen hatten nur etwa 40 Prozent der Befragten eine Arbeit. In den übrigen Ländern schwankt der Anteil um die 60 Prozent. Eine Ausnahme ist Kroatien. Dort haben 84 Prozent der Gefangenen eine Arbeitsstelle. Das Anstaltsklima wird von den befragten Gefangenen unterschiedlich eingeschätzt: Der Anteil derjenigen, der es eher oder sehr angespannt findet, liegt bei ca. 30 Prozent; allerdings z. B. in Polen weit darüber, in Dänemark deutlich darunter. Allerdings empfinden weniger Gefangene das Klima als bedrohlich. Die meisten Gefangenen sind bisher nicht Opfer eine Straftat im Gefängnis geworden. Bei denjenigen, die Opfererfahrungen gemacht haben, dominieren Beleidigungen, Bedrohungen und Erpressungen sowie Diebstähle, in geringerem Maße Körperverletzungen. Fast 5 Prozent sind Opfer einer sexuellen Nötigung geworden.
Perspektivisch sollten vor allem die überwiegend restriktive Praxis bei entlassungsvorbereitenden Lockerungen (Ausgänge, Hafturlaube) überdacht und erweiterte (Langzeit-)Besuchsmöglichkeiten für Familienangehörige, Lebenspartner u. ä. geschaffen werden. Auch gibt es in einigen Ländern Defizite in der Vollzugsplanung, dem Angebot an Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, der angesichts verbreiteter psychischer Belastungen und Erkrankungen notwendigen Behandlungsangebote und der frühzeitigen Entlassungsvorbereitung.
Die Auseinandersetzung mit den oft gravierenden Taten sowie den Opfern sollte stärker thematisiert und in die Behandlungsarbeit einbezogen werden. Auch Langzeitgefangene kehren in aller Regel irgendwann in die Gesellschaft zurück und sind darauf so und so rechtzeitig vorzubereiten, dass Rückfälle und damit weitere Kriminalitätsopfer vermieden werden.
Ansprechpartner für Rückfragen
Prof. Dr. Frieder Dünkel
Lehrstuhl für Kriminologie
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät
Domstraße 20, 17487 Greifswald
Telefon 03834 86-2137 oder 0151 22308797
Telefax 03834 86-2155
duenkel@uni-greifswald.de
http://jura.uni-greifswald.de/duenkel - Ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse
http://www.wiko-greifswald.de/fileadmin/dateien/pdf/Veranstaltungen/2008-W/2009-... - Programm der Tagung
http://www.rsf.uni-greifswald.de/duenkel/forschung/laufende-eu-projekte/langstra... - Strafvollzugsforschung an der Universität Greifswald
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Recht
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).