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25.09.1997 00:00

Wettbewerb im Strafvollzug

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    151/97 Wettbewerb im Strafvollzug? Koelner Kriminologe untersucht Privatisierungen der Verbrechenskontrolle

    Mehr Qualitaet zu geringeren Kosten versprechen eine Reihe von Privatisierungsbestrebungen im Bereich der Verbrechenskontrolle. So wird z.B. in Mecklenburg-Vorpommern ein Gefaengnis von privater Hand errichtet, um anschliessend an das Land geleast zu werden; in Berlin wird modellhaft Hausarrest mittels elektronischer UEberwachung erprobt. Verzichtet der Staat im Bereich der Verbrechenskontrolle zunehmend auf sein Gewaltmonopol und herrschen Gesetze des Marktes, steigt jedoch die Gefahr des Machtmissbrauches seitens der privaten Anbieter. Da private Interessen nicht selten im Gewand der Gemeinnuetzigkeit verfolgt werden, ist in den naechsten Jahren eine kritische Verfolgung des Privatisierungsschubs in der Verbrechenskontrolle gefragt. Zu diesem Schluss kommt Professor Dr. Michael Walter von der Kriminologischen Forschungsstelle der Universitaet zu Koeln in einer Studie ueber Privatisierungen der Verbrechenskontrolle.

    Professor Walter verzeichnet eine zunehmende Zahl von Privatisierungsbestrebungen in den letzten Jahren. Traditionell existiert schon eine Palette privater Sanktionsanbieter wie z.B. Drogentherapie-Einrichtungen oder Heime der Jugendhilfe; und ebenso bieten private Unternehmer spezifizierte Dienste an, von der Reinigung oeffentlicher Gebaeude bis zur Essenszulieferung fuer Gefaengnisse. Zu neueren Entwicklungen zaehlt der Koelner Kriminologe neben der oben genannten privaten Errichtung eines Gefaengnisses die kooperative Bewachung und Versorgung von Abschiebehaeftlingen durch den Allgemeinen Vollzugsdienst und Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma. Ferner gibt es UEberlegungen, den Jugendstrafvollzug in von freien Traegern betriebenen Wohngruppenheimen durchzufuehren. Schliesslich nennt Professor Walter verschiedene Formen einer Privatjustiz, beispielsweise Schlichtungsstellen fuer Streitigkeiten zwischen AErzten und Patienten.

    Durch die zunehmende Privatisierung der Verbrechenskontrolle sind zentrale Fragen des Verhaeltnisses zwischen Buerger und Staat bzw. der Buerger untereinander beruehrt - so der Koelner Kriminologe. Eine Privatisierung der Verbrechenskontrolle schraenkt das staatliche Gewaltmonopol ein. Statt altruistischer Zielsetzungen - z.B. der Schutz der Schwachen einer Gesellschaft - stehen Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken im Vordergrund. Der Bereich der Verbrechenskontrolle wird auf diese Weise zum Wachstumsmarkt. Professor Walter erlaeutert, dass diese Expansion des Themas auch sprachlich zum Ausdruck kommt: Es ist nicht nur von einer Verbrechensbekaempfung, sondern verstaerkt von innerer Sicherheit die Rede. Da Sicherheit nie erreicht werden koenne, seien Nachfrage und Angebot letztlich unbegrenzt steigerbar.

    Die Auswirkungen einer OEkonomisierung der Verbrechenskontrolle sind noch nicht abschaetzbar. Sicher - so der Koelner Kriminologe - wird intensiver als bisher nach dem Kosten-Nutzen-Verhaeltnis gefragt werden. Als Beispiel einer "preiswerten Kontrolle" nennt Professor Walter das elektronische Arm- oder Fussband, das mittels moderner Sendetechnik die Einhaltung eines Hausarrestes Strafgefangener sicherstellt. Die allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen machen vor dem neuen Wirtschaftsmarkt auch nicht halt. Die Globalisierung der Maerkte eroeffnet z.B. neue Moeglichkeiten der Gefangenen-"Entsorgung" - so der Koelner Kriminologe. AEhnlich wie frueher im englischen Kolonialreich die Straftaeter nutzbringend nach Australien gebracht wurden, gibt es gegenwaertig vor allem in der Schweiz UEberlegungen, die Standorte der Gefaengnisse in ein fernes und im Hinblick auf den Arbeitslohn preiswerteres Ausland auszulagern. Insgesamt weist Professor Walter auf die Moeglichkeit hin, dass die Rechts- und Sozialstandards fuer die heutigen Gefaengnisse in Deutschland und Westeuropa aus Rationalisierungsgruenden in Gefahr geraten.

    Fuer zukuenftige kriminalpolitische Diskussionen schlaegt Professor Walter vor, sowohl Vor- als auch Nachteile der Entstaatlichung der Verbrechenskontrolle zu beruecksichtigen. Auf der einen Seite fuehrt zunehmende Privatisierung zu fuer den Staat unter Umstaenden kostenguenstigeren Loesungen. Vor allem wird aber von privaten Sanktionsanbietern die Innovationskraft und Initiative privater Vereine betont. Buerokratisierungen verhindern oft notwendige Anpassungsleistungen des Staates, daher erscheint eine zunehmende Entstaatlichung als eine Rueckgewinnung groesserer Flexibilitaet und Beweglichkeit. Auf der anderen Seite stehen bei einer Privatisierung der Verbrechenskontrolle Rechte und rechtsstaatliche Garantien Beschuldigter oder Gefangener auf dem Spiel. Der Staat muss Mittel bereithalten, die Kontrolleure zu kontrollieren - so der Koelner Kriminologe. Eine wirksame und durchgreifende Kontrolle sei aber bei der Vielzahl privater Agenturen letztlich kaum durchfuehrbar.

    Auch fuer den Fall, dass die privaten Einrichtungen offiziell nicht gewinnorientiert arbeiten, bevorzugen sie laut Professor Walter verstaendlicherweise die Klientel, die sich fuer sie am guenstigsten darstellt. Es wird das lukrativste Geschaeft - im weitesten Sinne des Wortes - gesucht. Die unangenehmsten Gefangenen werden dem Staat ueberlassen. Wie die Geschichte des Strafvollzugs zeigt - so schliesst der Koelner Kriminologe - , besteht die latente Gefahr der Ausbeutung. Es bleibt die stete Versuchung, die Machtstellung gegenueber einer faktisch machtlosen sozialen Gruppe auszunutzen.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Matthias

    Fuer Rueckfragen steht Ihnen Professor Dr. M. Walter unter der Telefonnummer 0221/470-4281, Fax-Nummer 0221/470-5147 und der Email-Adresse Andrea.Wagner@Uni-Koeln.de zur Verfuegung.

    Fuer die UEbersendung eines Belegexemplares waeren wir Ihnen dankbar.


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