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15.10.1996 00:00

Neue Atemalkoholmessgeräte für Gerichtsurteile unbrauchbar

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Neue Atemalkoholmessgeraete fuer Gerichtsurteile unbrauchbar

    Fehleinschaetzung der Verkehrsminister

    Auch die neuen, technisch ausgereiften Atemalkoholmessgeraete, wie das Alcotest 7110 Evidential der Firma Draeger sind nicht geeignet, in vielen Faellen die Alkoholisierung eines Kraftfahrers mit der Sicherheit nachzuweisen, die derzeit noch von deutschen Gerichten gefordert wird. Dies liegt nicht an den Messgeraeten, sondern daran, dass man in den Verkehrsministerien des Bundes und der Laender der Illusion erlegen ist, im Atem gerichtsverwertbar die alkoholische Beeintraechtigung eines Kraftfahrers feststellen zu koennen. Zu diesem Ergebnis gelangt Dr. Rolf Iffland vom Institut fuer Rechtsmedizin der Universitaet zu Koeln.

    Der Atemalkohol ist von der Alkoholkonzentration in den Lungenkapillaren abhaengig. In diesen Blutgefaessen kann der Alkoholgehalt in den ersten Stunden nach Alkoholkonsum als Folge der Resorption erheblich variieren. Hinzu kommen Einfluesse durch unterschiedliche Strukturen der Lunge und nicht immer kontrollierbare Vorgaenge bei der Atmung. Dies kann zu Schwankungen des Atemalkohols fuehren, die beim Blutalkohol in diesem Ausmass nicht auftreten. Auch die Fiktion von der eigenen Masseinheit macht diese Abweichungen nicht geringer.

    Ursache fuer die Fehleinschaetzung der Ministerien ist neben dem Mangel an kritischem Sachverstand vor allem ein Gutachten aus dem ehemaligen Bundesgesundheitsamt von 1991, dass die Atemalkoholanalyse als gerichtsverwertbar beweissicher einstuft. Dieses Gutachten ist in hohem Masse ergebnisorientiert. Abweichende Meinungen von Mitgliedern der Gutachtenkommission wurden nur insoweit beruecksichtigt, wie sie sich in das Gesamtkonzept einfuegten. Zitate aus wissenschaftlichen Arbeiten wurden vorzeitig abgebrochen, um das Gutachten nicht infrage zu stellen. Die gleiche Einseitigkeit spricht aus einem Bericht desselben Gutachters ueber eine sog. Praxiserprobung von Prototypen der neuen Messgeraete mit 593 Messungen. Von diesen sind allenfalls 7 (!) Messungen fuer eine Praxiserprobung verwertbar, weil sie im mobilen Einsatz ermittelt wurden, fuer den die Geraete entwickelt wurden. Ob in diesen Faellen Atemmessung und Blutentnahme gleichzeitig stattfanden, ist dem Bericht nicht zu entnehmen.

    Erste wissenschaftlich angelegte Trinkversuche zur Kontrolle der neuen Messgeraete an den Instituten fuer Rechtsmedizin der Universitaeten Muenster und Kiel ergaben bei vorschriftsmaessiger Handhabung Abweichungen bis zu 0,3 Promille bei Blutalkoholspiegeln um 1,0 Promille. Es ist zu erwarten, dass bei weiteren Versuchen oder echten Praxiserprobungen - entspr. Forderungen der Rechtsmedizin fanden bislang keine Resonanz - die Abweichungen noch hoeher ausfallen. OEffentlichkeit und Parlamentarier wurden offensichtlich bislang ueber die Gerichtsverwertbarkeit der neuen Messgeraete vor allem durch das Gutachten aus dem ehemaligen Bundesgesundheitsamt und den Erprobungsbericht getaeuscht.

    Sollte die Atemmessung als gerichtsverwertbares Verfahren neben der Blutalkoholbestimmung eingefuehrt werden, muessten, um Fehlurteile zu vermeiden, diese Abweichungen beruecksichtigt werden. Die Rechtspraxis anderer Laender, deren Justiz in diesem Punkt weniger kritisch zu sein scheint, kann hier nicht Vorbild sein. Demnach muessten fuer Kraftfahrer, die die Atemmessung bevorzugen, die 0,8 Promille-Grenze auf 1,1 Promille und die 1,1-Grenze auf 1,4 Promille angehoben werden. Bei Blutentnahmen wuerden allerdings die alten Grenzwerte bleiben. Eine Alternative waere, da das Trinkende meist nicht ausreichend sicher feststeht, Kraftfahrer nach der Entdeckung der Alkoholfahrt generell mind. 2 - 3 Stunden bis zur Atemmessung festzuhalten oder zu inhaftieren. Erfahrungsgemaess sind 2 - 3 Stunden nach dem Trinkende die Schwankungen der Atemalkoholspiegel geringer. Allerdings sind dann haeufig die Blutalkoholspiegel um 0,5 Promille abgesunken und Alkoholfahrten vielfach nicht mehr nachweisbar.

    Illusorisch ist bei diesen Voraussetzungen, dass mit den neuen Messgeraeten die Polizei entlastet wuerde und die Alkoholkontrollen verstaerken koennte. Vermehrte Kontrollen sind mit den einfacheren Handmessgeraeten bereits heute jederzeit moeglich und kein messtechnisches sondern ein personelles und organisatorisches Problem. Zu den Taeuschungsmanoevern, die die Notwendigkeit der neuen Messgeraete der OEffentlichkeit beweisen sollen, gehoert auch die Maer von den jaehrlich 100 Millionen unentdeckt gebliebenen Alkoholfahrten in Deutschland. Es ist sicher klueger, ein aus der Sicht der Rechtssicherheit unsinniges Projekt rechtzeitig abzubrechen, als die Laenderhaushalte der naechsten Jahre mit 40 - 60 Millionen zu belasten und die Laenderjustiz wegen eines in zentralen Punkten unqualifizierten Gutachtens mit einer Fuelle von Einspruechen zu beschaeftigen.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias

    Fuer Rueckfragen steht Ihnen Dr. Iffland unter der Telefon-Nummer 0221 478 4284 und der Fax-Nummer 0221 478 4261 zur Verfuegung.


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    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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