idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
07.05.2001 08:57

Trauer-Spiele in der englischen Theaterkultur der Shakespeare-Zeit

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Untersuchung über den Umgang mit Trauer und Tod im englischen Drama

    Getrauert wird viel und überall. Dies allerdings auf ganz unterschiedliche Weise. Alleine wenn man über Friedhöfe schlendert, lassen sich kulturelle und soziale Unterschiede erkennen. Grabsteine, Monumente, Rituale und Zeremonien verraten so manches über die Gesellschaft sowie ihren Umgang mit dem Tod und mit den Toten. Der Ausdruck von Trauer und der Umgang mit Toten lässt sich nie gänzlich ungelöst betrachten von einer Gesellschaft, ihrer Kultur und dem historischen Kontext. Tobias Döring vom Institut für Englische Philologie der Freien Universität Berlin beschäftigt sich deshalb im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs "Kulturen des Performativen" mit dem Aspekt der Trauer und ihren unterschiedlichen Darstellungsformen in der Literatur. Bei seiner Analyse konzentriert er sich insbesondere auf die Dramen der englischen Frühen Neuzeit. Die elisabethanische Zeit ist für ihn von besonderem Interesse, da 1534 unter Heinrich VIII. die Anglikanische Kirche gegründet und somit radikal mit den klassischen Traditionen der römisch-katholischen Kirche gebrochen wurde. Tobias Döring will aufzeigen, welchen Einfluß dieser Bruch, der sich notwendigerweise im Umgang mit den Verstorbenen und in der Darstellung der 'performativen' Trauer äußerte, auf die Dramen zu Shakespeares Zeiten hatte.

    Von allen Formen der Literatur ist das Drama am stärksten gesellschaftsbezogen und gesellschaftsabhängig. Bei jeder Aufführung wird die Gesellschaft durch Schauspieler repräsentiert. Jede Aufführung ist demnach eine öffentlich-gesellschaftliche Veranstaltung. Das Drama erzählt also nicht nur eine fiktive oder historische Geschichte, es reflektiert darin eingebettet auch immer Einzelaspekte der Gesellschaft. Dies wird beispielsweise in den Dramen der Shakespeare-Zeit deutlich: Subtil wird der Umgang der Gesellschaft mit Tod und Trauer zum Thema stilisiert.

    Die Auseinandersetzung mit religiösen Ritualen im Drama konnte aus zweierlei Gründen erfolgen: Die Gründung der Anglikanischen Kirche (Church of England) führte zu einem radikalen Bruch mit der römisch-katholischen Kirche. Das Oberhaupt der Kirche war jetzt nicht mehr der Papst sondern der regierende Monarch Englands. Der Katholizismus glaubte an ein 'religiöses Nachleben' der Seele, was sich u.a. in Fürbitten durch einen Dialog zwischen Lebendigen und Toten äußerte. Die englischen Reformatoren dahingegen lehnten eine solche Einstellung ab. Sie vertraten die Ansicht, dass sich der Tote uneingeschränkt in Gottes Gnaden befand. Es sollte die Aufgabe Gottes (nicht der Lebenden!) sein, sich mit den Toten und ihrer Seele auseinanderzusetzen. Die Neugestaltung des religiösen Lebens ging sogar so weit, dass viele religiöse Rituale - wie z.B. die Fürbitten für den Toten oder Zeremonien, die traditioneller Weise auf dem Weg zum Friedhof abgehalten worden waren - jetzt unter Strafe gestellt wurden.

    Wie aber sollte die von diesen Neuerungen betroffene Gesellschaft mit einer solchen Sinneswandlung umgehen? Eine Lösung konnte vielleicht gewesen sein, Ersatzhandlungen zu finden, ohne dabei die Gesetze zu hintergehen. Hierbei übernahm das Theater eine wesentliche Rolle.

    Das Theater war in diesen Umbruchzeiten kommerzielles Unterhaltungstheater, das rein privatwirtschaftlich betrieben war. Die öffentlichen Theater lagen in den Vororten außerhalb der Stadtgrenzen oder auf extraterritorialem Boden. Bei der Standortwahl spielten nicht nur finanzielle Gründe eine Rolle. Der wesentliche Grund ist rechtlicher Art: Durch die Lage außerhalb des Stadtgebiets waren die Theaterunternehmen dem unmittelbaren Zugriff der Londoner Magistrate entzogen. Diesen Status nutzten die Dramatiker in diesem Fall, um neue Dinge auf der Bühne 'auszuprobieren'. Sie konnten mit ihrem Medium der Gesellschaft eine Stütze sein. So wurde das Theater zur Bühne performativer Trauerrituale. Im fiktiven Raum konnten Zeremonien durch- bzw. aufgeführt werden, wie dies real nicht mehr möglich war, obgleich die Theater selbstverständlich einer Zensur unterstanden. Aber eine Aufführung ist eben nur performativ, das Drama fiktiv.

    Beispiele für die vielfältige und vielsagende Trauer-Arbeit auf der Shakespeare-Bühne ziehen sich durch das gesamte Werk des englischen Dramatikers. So bekannte Stücke wie Hamlet (1600/01) handeln ganz zentral davon. Gleich in der ersten Szene am Hof, wenn sich der neue König präsentiert, setzt Hamlet durch sein schwarzes Trauerkleid ein klares Zeichen des Widerstands: Statt dem neuen Herrscher zuzujubeln, zeigt er sich trauernd als Anhänger des verstorbenen, der ihn sogleich als Geist heimsucht und zur Rache anstellt. Weiterhin zeigt das gesamte Stück etliche andere und oftmals umkämpfte Rituale des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Toten, beispielsweise in der berühmten Totengräberszene, wo die Schädel rollen, oder bei der Beerdigung Ophelias, wo ein Streit darüber ausbricht, wie viel religiöse Weihe einer Selbstmörderin gegeben werden darf. Dies zeigt, dass alle Darbietungen der Trauer bereits stückintern widersprüchlich und umstritten sind. Selbst Hamlets schwarzes Kleid zu Anfang wird in dieser Weise Gegenstand der öffentlichen Debatte: Wie er selber sagt, kann sich jeder, wenn er will, nach außen hin als Trauernder präsentieren und innerlich doch etwas ganz anderes empfinden.

    Trauern, so wird daran deutlich, ist ein öffentliches Zeremoniell, das einen inneren Zustand, ein subjektives Gefühl, sichtbar demonstrieren soll. Dazu werden konventionelle Formen und Zeichen eingesetzt, wie beispielsweise Kleidung, Kränze, Klagen oder Tränen, denen doch nicht immer ohne weiteres zu trauen ist. In einer Gesellschaft wie der englischen um 1600, die sich gerade erst über den kulturellen Umgang mit den Toten wieder neu verständigen muss, sind solche Konventionen daher höchst prekär. Hinzu kommt, dass die Behauptung eines individuellen Innenraums in jener Zeit besonders wichtig wird, da sich die neuzeitliche Subjektivität von mittelalterlichen Vorstellungen löst. Alles öffentliche Spiel mit Gesten, die ein persönliches Gefühl anzeigen, ist daher dringlich und zugleich verdächtig.

    Davon handelt eins von Shakespeares frühesten und populärsten Stücken, König Richard III. (1592/93), aus dem Zyklus seiner englischen Historiendramen. Die Zentralfigur ist hier ein klassischer Bühnenschurke, der sich mit Mord, Betrug, List und Verführungskunst den Weg zum Thron freikämpft. Dass seine gesamte soziale Umgebung - Familie, Freunde, Feinde - zunächst auf ihn hereinfällt und seinen heuchlerischen Reden immer wieder Glauben schenkt, wird ganz klar auf seinen virtuosen Umgang mit den bekannten Trauerzeichen zurückgeführt. Vor allem weil er, wie er dem Publikum erklärt, nach Belieben Weinen kann, kommt sein gemeines Verstellungsspiel gut an, denn wer Tränen in den Augen hat, gilt allgemein als ehrlich. Ein trauernder Schauspieler oder vorgeblich Trauernder kann daher durchaus Einfluss und soziale Macht gewinnen, wenn er die Zeichen der Tradition in dieser Weise manipuliert.

    So lassen sich die Trauer-Spiele auf der Bühne als Auseinandersetzung mit Problemen lesen, die von grundsätzlichem Interesse sind, wenn wir die Umbrüche und Krisen einer Gesellschaft im Übergang beschreiben wollen.

    Ilka Seer

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Tobias Döring, Institut für Englische Philologie der Freien Universität Berlin, Goßlerstr. 2-4, 14195 Berlin-Dahlem, Tel.: 030 / 838-72340, E-Mail: tdoering@zedat.fu-berlin.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).