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16.05.2001 08:01

Der brandenburgische Adel im Spiegel seiner Herrenhäuser

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Der Berliner Verleger Alexander Duncker veröffentlichte in den Jahren 1857 bis 1883 ein Ansichtenwerk mit dem Titel Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie. Die zahlreichen Beschreibungen brandenburgischer Herrensitze bebildert er eindrucksvoll mit eigens für diesen Zweck angefertigten Lithographien. Dieses Werk ist als kommentierte Neuausgabe mit dem Titel Herrenhäuser in Brandenburg und der Niederlausitz erschienen. Die Bearbeitung des Duncker'schen Ansichtenwerks entstand im Rahmen des mehrjährigen Forschungsprojekts "Adelskultur in der Frühen Neuzeit in der Mark Brandenburg", das von dem Kunsthistoriker Prof. Dr. Hellmut Lorenz (Universität Wien) und dem Historiker Prof. Dr. Peter-Michael Hahn (Universität Potsdam) geleitet wurde. Das Forschungsprojekt hatte sich aus interdisziplinären Lehrveranstaltungen (1990/91) der beiden damals an der Freien Universität Berlin lehrenden Dozenten zu den Themen "Adelskultur" und "Herrenhäuser" entwickelt. Aus diesen Seminaren entstand eine Arbeitsgruppe engagierter Studierender und Absolventen beider Fächer, die sich intensiver mit der kulturellen Lebenswelt des Adels in Brandenburg im Spiegel der Herrenhäuser und ihres Umfelds beschäftigte. Die Neuauflage ist mehr als die Wiederentdeckung eines einzigartigen, monumentalen Werks. Der Corpus entwirft ein breit gefächertes Bild der Lebenswelt und der kulturellen Bedeutung des brandenburgischen Adels im Spiegel seiner Herrenhäuser. Darüber hinaus konnten zahlreiche Quellen neu erschlossen werden. Zusammen mit einer Vielzahl von Bildern ergeben die daraus neu gewonnenen Erkenntnisse das umfassende und differenzierte Panorama einer Adelswelt, die über die Jahrhunderte hinweg Kultur, Landschaft und Geschichte Brandenburgs geprägt hat.

    DUNCKERS ANSICHTENWERK

    Für die umfassende Darstellung der Adelskultur Brandenburgs bot sich das von 1857 bis 1883 erschienene monumentale Ansichtenwerk Alexander Dunckers als geradezu idealer Ausgangs- und Bezugspunkt an. Duncker hatte unter dem etwas komplizierten Titel "Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie nebst den Königlichen Familien-, Haus-Fideikommiss- und Schatullgütern in naturgetreuen, künstlerisch ausgeführten, farbigen Darstellungen nebst begleitendem Text" insgesamt 960 Herrensitze des Königreiches Preußen in Wort und Bild vorgestellt, davon 168 auf dem Boden der damaligen Provinz Brandenburg. Auch wenn damit nur knapp ein Zehntel der historisch überlieferten brandenburgischen Rittersitze erfasst war, stellt Dunckers Werk die mit Abstand umfangreichste historische Veröffentlichung zu diesem Thema dar. Die Auswahl der durch ihn vorgestellten Familien und Herrenhäuser war zwar oftmals von Zufällen verschiedener Art diktiert, doch erwies sich Dunckers Werk auf Grund seines Umfangs und seiner Zielsetzung - "ein culturgeschichtliches Bild des ritterschaftlichen Besitzstandes" zu geben - als überaus tragfähige Grundlage für eine weit ausgreifende Behandlung der brandenburgischen Adelskultur in ihren vielfältigen historisch und künstlerisch bedeutsamen Facetten: Alle für die Geschichte des Landes wichtigen Familien sind bei Duncker behandelt und mit mindestens einem repräsentativen Landsitz vertreten. Historische, oft bis ins Mittelalter zurückreichende Anlagen finden sich hier ebenso wie Renaissance- und Barockbauten sowie Herrensitze in den zu Dunckers Zeit modernen Stilvarianten. Auch die gesamte Bandbreite adliger Architektur, vom einfachen Fachwerkhaus bis hin zum repräsentativen Schloß, dazu noch Bauten der kurfürstlichen bzw. königlichen Sphäre, sind in Dunckers Werk vertreten. Und auch die regionale Vielfalt der Kunstlandschaft Brandenburg ließ sich auf der Basis seiner Publikation veranschaulichen: Denn Duncker behandelt die gesamte "Provinz Brandenburg" in den historischen Grenzen nach 1815, also das Kerngebiet der Mark Brandenburg (ohne die Altmark) inklusive der - heute im westlichen Polen gelegenen - Neumark sowie der ehemals sächsischen Gebiete der Niederlausitz und den Ämtern Belzig, Jüterbog und Dahme. Somit konnten auch die kulturgeschichtlich interessanten Wechselbeziehungen zu den benachbarten Regionen ihrer Bedeutung gemäß in die Darstellung einfließen. Für den Kunsthistoriker bieten Dunckers Ansichten, über ihren dokumentarischen Wert als historische Bildquelle hinaus, zudem noch eine Faszination eigener Art: denn die vom Herausgeber angestrebte "künstlerische Ausführung" der farbigen Lithographien steht noch weitgehend im Banne der von Karl Friedrich Schinkel und Peter Joseph Lenné geprägten malerischen Verbindung von Bau- und Gartenkunst und vermittelt somit eine reizvolle Visualisierung jener Epoche, in der die adlige Architektur in Brandenburg-Preußen einen hochbedeutenden und unverwechselbaren Beitrag zur europäischen Kunstgeschichte geleistet hat.

    ZIELSETZUNG UND AUFBAU

    Mit der bei Duncker angelegten Verbindung von historischer und künstlerischer Betrachtung des Themas war ein Schwerpunkt der Arbeit bereits vorgegeben. Ein nur knapp kommentierter Nachdruck von Dunckers Werk wäre jedoch der Bedeutung des Themas und dem heutigen Kenntnisstand nicht gerecht geworden: Zu spärlich und einseitig waren seine historischen Informationen, zu wenig waren Bild und Text aufeinander bezogen - und zu vielfältig andererseits die durch dieses Projekt und die jüngere Forschung ans Licht gebrachten Dokumente und Bildquellen. So bildet Dunckers Werk in der Publikation nur mehr den Rahmen für eine vertiefte Rekonstruktion der Adelswelt, die über Jahrhunderte hinweg als wesentlicher kulturtragender Faktor die Geschichte Brandenburgs und das Erscheinungsbild seiner Kunstlandschaft bestimmt hat. In der Darstellung der Herrensitze und ihrer sich wandelnden Form und Funktion stand die Bemühung im Vordergrund, gemäß den aktuellen Standards wissenschaftlicher Forschung die beiden Bereiche - Geschichte und Kunstgeschichte - vor allem in ihrer engen wechselseitigen Verflechtung zur Anschauung zu bringen. In vielen Fällen ließ sich dabei auch ein aufschlussreicher "Blick hinter die Kulissen" des adligen Landlebens gewinnen. Die Adelskultur Brandenburgs wird dabei nicht in regionaler Isolierung betrachtet, sondern es wird versucht sie in die Gesamtentwicklung im Norden Mitteleuropas einzubinden. Während das genuin "Märkische" bereits oft - und oft genug in klischeehafter Vereinfachung - beschrieben worden ist, lässt sich so in der regionalen Vielfalt der historischen "Provinz Brandenburg" auch die Wechselwirkung mit der Kultur benachbarter Regionen verdeutlichen; vor allem in der Niederlausitz mit ihrer sächsischen Kulturtradition ist dieses Phänomen auch noch im heutigen Land Brandenburg präsent.

    Der erste Band ("Einführung") ist übergreifenden Themen gewidmet: Zunächst wird Dunckers Ansichtenwerk, der Ausgangs- und Bezugspunkt der Arbeit, in seiner Entstehung, Zielsetzung und Gestalt sowie in seinem Wert als kulturgeschichtliche Quelle gewürdigt. Darauf folgen allgemein gehaltene Überblicksdarstellungen zur historischen Bedeutung der brandenburgischen Adelskultur und zur Architekturgeschichte der adligen Herrenhäuser. Beide Beiträge sind um ein allgemeingültiges Gesamtbild bemüht und greifen daher auch über die bei Duncker behandelten Orte hinaus, um die volle Breite des Themas abzudecken. In Form eines dokumentarischen Anhangs sind schließlich noch die originalen Texte aus Dunckers Ansichtenwerk beigefügt. Ihr Vergleich mit den neu verfaßten Katalogtexten im zweiten Band gibt Aufschluß über die erfreulichen Fortschritte und den aktuellen Stand historischer und kunsthistorischer Forschung.

    Der zweite Band ("Katalog") enthält in alphabetischer Ordnung 168 einzelne Monographien der bei Duncker veröffentlichten brandenburgischen Herrensitze. In der breiten Streuung vom einfachen Landhaus bis hin zu großen Schlossbauten mit durchaus residentiellem Anspruch kann dabei die überraschende Vielfalt der herrschaftlichen Präsenz des Adels auf dem Lande verdeutlicht werden. Jede der Monographien entstand in enger Zusammenarbeit zwischen historischen und kunsthistorischen Mitarbeitern. Je nach der geschichtlichen bzw. künstlerischen Bedeutung des Herrensitzes und seiner Bewohner, seinem Erhaltungszustand und der Fülle (oder auch: dem Mangel) an historischen Informationen oder bildlichen Quellen wechseln die Schwerpunkte der Betrachtung, doch konnte, auch bei nur spärlicher Quellenlage, fast immer eine komplette Darstellung von den Anfängen bis in die heutige Zeit gewonnen werden. Zu zahlreichen Beispielen (wie etwa Boitzenburg, Lieberose, Lübbenau, Pförten, Plattenburg, Stolpe oder Tamsel) wurden umfassende Fallstudien erarbeitet, in denen die wechselvolle historische Entwicklung adliger Herrschaft mit ihren unterschiedlichen kulturellen und künstlerischen Schwerpunkten in verdichteter Form nachgezeichnet werden konnte. Vielfach war dabei wissenschaftliche Pionierarbeit zu leisten, um umfangreiches, bislang unbekanntes Quellenmaterial neu zu sichten und auszuwerten.

    In den beiden vorliegenden Bänden ist es erstmals gelungen, ein dichtes und anschauliches Gesamtbild der neuzeitlichen Adelskultur Brandenburgs in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zu entwerfen, das dem gegenwärtigen Kenntnisstand und den aktuellen Standards der Forschung entspricht.

    FÖRDERUNG

    Eine erste finanzielle Unterstützung erhielt die Arbeitsgruppe durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg in den Jahren 1992/93, so daß eine systematische Materialsammlung angelegt werden konnte. In der Folgezeit wurde das Forschungsprojekt, das sich seit Herbst 1993 auf die kommentierte Neuausgabe des lithographischen Sammelwerks Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der Preußischen Monarchie des Berliner Verlegers Alexander Duncker (1857-1883) konzentrierte, für die Dauer von zwei Jahren (Sommer 1994 bis Sommer 1996) von der Gerda-Henkel-Stiftung, Düsseldorf gefördert, die ebenfalls - dank dem großzügigen Druckkostenzuschuss - die sehr ansprechende Aufmachung und reiche Bebilderung der Publikation im Jahre 2000 ermöglichten. Die im Herbst 2000 erschienene Publikation, die schon nach acht Wochen vergriffen war, ist nun wieder erhältlich.

    Literatur:
    Peter-Michael Hahn / Hellmut Lorenz (Hgg.), Herrenhäuser in Brandenburg und der Niederlausitz, kommentierte Neuausgabe des Ansichtenwerks von Alexander Duncker (1857-1883), 2 Bände in Kassette, 1.100 Abbildungen, davon 275 in Farbe, Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, 2000 (2. Aufl.: 2001), DM 248,00.

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Christiane Salge, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin, Koserstr. 20, 14195 Berlin, Tel.: 030 / 838-53814, E-Mail: csalge@zedat.fu-berlin.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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