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29.05.2001 12:15

Vor der Spitzenposition zweigen Seitenwege ab

Heidi Kurth Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Interdisziplinäre Studie "Frauen in der Mathematik" wird von der Volkswagenstiftung gefördert

    Weder unzureichende Leistungen noch mangelndes Interesse an abstrakten Problemstellungen oder an einer erfolgreichen Berufslaufbahn können dafür verantwortlich gemacht werden, dass Frauen in der Mathematik sehr selten in Spitzenpositionen zu finden sind. Auch von offenen Diskriminierungen, die Mathematikerinnen in der Karriere behindern, kann heute nicht mehr die Rede sein. Bei Absolvierenden gibt es jedoch zwischen den Geschlechtern geringfügige Unterschiede, die sich im Lauf der Jahre so addieren könnten, dass Männer und Frauen oftmals verschiedene Wege einschlagen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zieht voraussichtlich die stärkste Trennlinie, wie der Zwischenbericht zu einem Gemeinschaftprojekt an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Kaiserslautern nahe legt.

    Wollen sie nicht, können sie nicht oder dürfen sie nicht? Diese bewußt provokativ formulierten Fragen stellte sich die Projektgruppe angesichts des Anteils von vier Prozent Mathematikprofessorinnen in Deutschland. Obwohl es heute in der Mathematik ebensoviele Studienanfängerinnen gibt wie unter den Erstsemestern anderer Fächer, ist bei Professuren künftig kein entsprechender Anstieg zu erwarten. Zu den mathematischen Führungskräften außerhalb der Universitäten zählen ebenfalls nur wenige Frauen.

    Die interdisziplinäre Studie "Frauen in der Mathematik" wurde als Zusammenschau historischer und aktueller Befunde angelegt, um zeitabhängige und durchgängig wirksame Faktoren voneinander abzugrenzen. Frauen und Männer in der Mathematik, Staatsexamens- und Diplomabsolvierende, die Gegenwart und der Zeitraum von 1902 bis 1940 werden einander gegenübergestellt. Die Volkswagenstiftung fördert das Langzeitprojekt. Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm und Dipl.-Psych. Jan Krüsken vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Universität Erlangen-Nürnberg führen die psychologischen Untersuchungen durch. Den mathemathischen und den historischen Teil haben Prof. Dr. Helmut Neunzert und PD Dr. Renate Tobies vom Fachbereich Mathematik und dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern übernommen.

    Ein Aktenfund im Archiv für bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin ermöglicht es, die Berufsverläufe von Männern und Frauen zu analysieren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an preußischen höheren Schulen Mathematik lehrten. Personalblätter von über 3.000 Lehrkräften können ausgewertet werden; der Frauenanteil beträgt rund 15 Prozent. Absolvierende des Jahrgangs 1998 an 48 deutschen Universitäten beantworteten Fragebögen für die gegenwartsbezogene Untersuchung. Die jungen Mathematikerinnen und Mathematiker werden jeweils drei und fünf Jahre nach ihrem Examen nochmals befragt. Die Studie wird so ihren Werdegang begleiten.

    Damals und heute sind nur begrenzt vergleichbar. Diplomprüfungen existieren erst seit 1942. Die historischen Aktenblätter enthalten keine Informationen über subjektive Einstellungen und Werte, über Interessenslagen oder berufliche und private Pläne. Dafür gewähren sie Einblick in langfristige Berufsverläufe, die beim Absolvierendenjahrgang 1998 noch abzuwarten bleiben.

    Ehefrauen unerwünscht

    Den Akten ist zu entnehmen, dass preußische Mathematiklehrerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen stark im Nachteil waren. Eine Stelle an einer höheren Mädchenschule konnten sie nach Abschluss ihres Studiums zwar erwarten, doch sie wurden schlechter bezahlt, seltener befördert und bekamen später, wenn überhaupt, eine feste Anstellung als Studienrätin. Das Beamtinnenzölibat, das bis 1919 galt, und ähnliche Nachfolgeregelungen versperrten verheirateten Frauen mit wenigen Ausnahmen die Fortsetzung ihrer Berufslaufbahn. Gemessen an den Studienabschlussnoten, entsprachen die Leistungen dagegen denen der Männer, wie auch in der Gegenwart kein Unterschied bei Examens- und Abiturnoten von Studenten und Studentinnen der Mathematik festzustellen ist.

    Gegen Behinderungen und Diskriminierungen, wie sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts üblich waren, brauchen die Mathematikabsolventinnen unserer Tage nicht anzugehen. Im Gegenteil sichert dieses Fach Diplomanden beiderlei Geschlechts einen außerordentlich schnellen und erfolgreichen Berufseinstieg. An pragmatischer Orientierung lassen es die Absolvierenden nicht fehlen. Männer wählen zwar etwas öfter Informatik als Nebenfach, Frauen zeigen eine leicht stärkere Tendenz zu Wirtschaftswissenschaften; doch beide Kombinationen versprechen gleich gute Berufsaussichten. Wer sich für das Lehramt entscheidet, hat unabhängig vom Geschlecht ebenfalls einen glatten Start.

    Berufsengagement gegen Kinderbetreuung

    Diesen Weg schlagen Frauen deutlich häufiger ein, trotz der Alternative, die ihnen anders als in früheren Zeiten offen steht. 1998 betrug der Frauenanteil bei mathematischen Diplomprüfungen rund ein Viertel, beim ersten Staatsexamen fast zwei Drittel. Sehr wahrscheinlich werden künftig mehr Lehrerinnen als Lehrer an Gymnasien Mathematik unterrichten. Hier sind bereits Weichen gestellt, die dafür sorgen, dass Frauen in der Mathematik seltener zu Spitzenpositionen vorrücken.

    Entscheiden sich junge Mathematikerinnen aber für das Diplom, so zeigen sie ebenso viel Selbstvertrauen und berufliche Motivation wie männliche Absolvierende. In mancher Hinsicht lassen sich allerdings Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden, die in ihrem Ausmaß geringfügig sind, aber in dieselbe Richtung weisen. Frauen fühlen sich durch das Studium etwas schlechter auf den Beruf vorbereitet und glauben nicht ganz so sicher wie Männer, dass sie ihre Interessen und Fähigkeiten darin gut entfalten können. Karriereaspekte wie hoher Verdienst und berufliches Ansehen bestimmen ihre Berufswahl in leicht geringerem Maße, und inhaltliche Befriedigung ist ihnen bei der Arbeit etwas wichtiger. Relativ hoch ist ihre Bereitschaft zur "Familienarbeit": 63 Prozent der Diplomabsolventinnen, aber nur 27 Prozent der Diplomabsolventen gaben an, ihr berufliches Engagement reduzieren zu wollen, wenn sie ein Kind bekommen. Staatsexamensabsolventinnen hatten dies von vornherein einkalkuliert. Für Lehrkräfte sind Teilzeitarbeit und "Kinderpausen" leichter einzurichten.

    Frauen fehlt es keineswegs an Interesse für Mathematik. Dafür sprechen die Zahlen der Studienanfängerinnen in diesem Fach, die stetig gestiegen sind und 1998 bei 47 Prozent lagen. Im selben Jahr erreichte der Anteil der Frauen an Promotionen immerhin 22 Prozent, doch nur acht Prozent werden Schätzungen zufolge in absehbarer Zeit zur Spitzengruppe der Mathematiker gehören. Ob sich diese Prognose bewahrheitet, ob Hindernisse und Vorurteile berufstätige Mütter in der Karriere bremsen oder ob die Frauen selbst anderen Aspekten ihres Lebens um so mehr den Vorrang einräumen, je älter sie werden, soll die Studie in den kommenden Jahren erweisen.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm, Lehrstuhl Sozialpsychologie
    Bismarckstraße 6, 91054 Erlangen
    Tel.: 09131/85 -22307, Fax: 09131/85 -22951
    E-Mail: abele@phil.uni-erlangen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Mathematik, Physik / Astronomie, Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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