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22.02.2010 13:17

Gemeinsam Fließen statt einsam Hüpfen - Neutronen untermauern neue Theorie über Bewegung in der Zellmembran

Dr. Ulrich Marsch Zentrale Presse & Kommunikation
Technische Universität München

    Moleküle in einer Zellmembran bewegen sich fließend im Verbund statt als Einzelgänger in frei werdende Leerstellen zu hüpfen. Das haben Sebastian Busch und Dr. Tobias Unruh am Neutronenspektrometer TOFTOF (time-of-flight time-of-flight) an der Neutronenquelle der Technischen Universität München (TUM) mit Daten belegt. Ihre Messungen, die sie jetzt in der renommierten Fachzeitschrift "Journal of the American Chemical Society" veröffentlicht haben, klären ein jahrzehntelanges Rätsel und untermauern erstmals experimentell eine neue Theorie der Molekülbewegung.

    Immer wieder sahen sich Sebastian Busch und der Betreuer seiner Doktorarbeit an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der TUM, Tobias Unruh, eine Simulation der Molekülbewegungen in einem Film auf YouTube an: "Die hüpfen ja gar nicht!" Und genau das behaupten auch die finnischen Biophysiker um Ilpo Vattulainen, die die Zellmembran per Computer simuliert und die Simulation auf YouTube gestellt haben.

    Biophysiker haben jahrelang an ein falsches Modell geglaubt: Statt sich hüpfend einzeln von Leerstelle zu Leerstelle vorwärts zu bewegen, fließen die Phospholipide der Membran im Verbund. Jahrzehntelang gab es einen Streit zwischen den Wissenschaftlern, die Zellmembranbewegungen unter dem Mikroskop im Mikrometermaßstab beobachteten und den Neutronenstreuern, die die Molekülbewegung im Nanometerbereich vermessen können. Unter dem Mikroskop sah es so aus, als ob sich die Phospholipide sehr langsam in der Zellmembran bewegten, mit Neutronen wurden Bewegungen gemessen, die 100 Mal so schnell waren. Diesen scheinbaren Widerspruch erklärte man schließlich mit der Theorie, dass sich die Moleküle in einem Käfig aus den benachbarten Molekülen eingeschlossen so lange schnell hin und her bewegen, bis sich ein freier Platz bietet, in den das Molekül hinein hüpfen kann. Weil derartige Sprünge relativ selten auftreten, sieht man im Mikrometermaßstab eine langsamere Bewegung, so die Theorie.

    "Nie hat jemand diese Theorie des Hüpfens mit Messungen belegen können", sagt der Chemiker Tobias Unruh. Auch Sebastian Busch wusste nicht, wie er seine Messungen an einer Phospholipidmembran am Neutronenspektrometer TOFTOF interpretieren sollte. Die Daten passten einfach nicht zum Modell. Da sah er die Simulation der finnischen Biophysiker, und informierte sich genauer vor Ort an der Universität in Helsinki. Der 27-Jährige, der am Lehrstuhl von Professor Dr. Winfried Petry im Physik-Department der TUM promoviert, reizte daraufhin bei ergänzenden Messungen die Leistungsfähigkeit des Spektrometers in Garching voll aus. "Da ist mir klar geworden, dass ich die Theorie der Finnen mit Daten untermauern kann", sagt Sebastian Busch. Schließlich konnte er die fließende Bewegung der Moleküle mit seinen Experimenten belegen. Die Zellmembranmoleküle bewegen sich dabei ähnlich wie Personen in einer Menschenmasse: Nur wenn mehrere im Verbund in eine Richtung drängen, kommt auch das Individuum vorwärts. Ein einsames Hüpfen der Moleküle gibt es also nicht, nur ein gemeinsames Fließen.

    Als Probe untersuchte der Physiker ein typisches Phospholipid, Dimyristoylphosphatidylcholin (DMPC), hydriert mit schwerem Wasser. Die Bewegung der Zellmembran wurde in Zeitabständen von 35 bis 1000 Billionstel Sekunden bei 30 °C beobachtet. Im Spektrometer TOFTOF werden Neutronen mit einer genauestens bekannten Geschwindigkeit ausgewählt. Sie treffen auf die Probe und interagieren mit den Atomkernen. Wenn diese in Bewegung sind, ändern die Neutronen ihre Geschwindigkeit, was in einem Detektor gemessen wird. "Wir haben hier weltweit das einzige Spektrometer, das mit einer so großen Genauigkeit diese kleinen Bewegungen auf der Nanoskala messen kann", sagt Tobias Unruh.

    Nun werden Tobias Unruh und Sebastian Busch untersuchen, wie sich die Bewegungen der Phospholipide verändern, wenn sie verschiedene Stoffe beimengen. Solche Mischungen werden in Arzneimitteln verwendet. Geeignete Zusätze können die Haltbarkeit der Stoffe drastisch erhöhen. Die TUM-Wissenschaftler interessiert vor allem, welchen Einfluss die Molekülbewegungen auf diesen stabilisierenden Effekt haben. "Wenn wir den Stabilisierungsmechanismus im Detail verstehen", hofft Tobias Unruh, "können zukünftig für die jeweilige Anwendung optimierte Mischungen vorgeschlagen werden."

    Originalpublikation:
    Molecular Mechanism of Long-Range Diffusion in Phospholipid Membranes Studied by Quasielastic Neutron Scattering, S. Busch, C. Smuda, L.C. Pardo Soto, T. Unruh
    Journal of the American Chemical Society, Publication Date (Web): February 17, 2010
    DOI: 10.1021/ja907581s - Link: http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/ja907581s

    Kontakt:
    Dr. Tobias Unruh
    Technische Universität München
    Forschungs-Neutronenquelle
    Heinz Maier-Leibnitz (FRM II)
    Lichtenbergstr. 1, 85748 Garching
    Tel: +49 89 289 14735
    E-Mail: tobias.unruh@frm2.tum.de
    Internet: http://www.frm2.tum.de/wissenschaft/spektrometer/toftof/index.html


    Weitere Informationen:

    Simulation der Bewegung von Molekülen in Zellmembranen


    Bilder

    Sebastian Busch (i) und Dr. Tobias Unruh vor dem Neutronenspektrometer TOFTOF
    Sebastian Busch (i) und Dr. Tobias Unruh vor dem Neutronenspektrometer TOFTOF
    Quelle: Foto: Wenzel Schürmann / TU München


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Medizin, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Sebastian Busch (i) und Dr. Tobias Unruh vor dem Neutronenspektrometer TOFTOF


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