Nach 1945 kamen 60.000 Deutsche nach Großbritannien: Kriegsgefangene, War Brides und angeworbene weibliche Arbeitskräfte. Ihre Geschichte ist so gut wie unbekannt. Ein internationales Forschungsprojekt suchte nach Spuren.
Wie sie die Zeitzeugen, die Interviewpartner fanden? "Es gibt keine Registraturlisten, die wir hätten nutzen können. Aber die deutsche Botschaft half, wir wurden an Altenclubs vermittelt, die beiden Kirchen, die von Deutschland aus geführt werden, haben uns unterstützt, und dann gab es auch die Mund-zu-Mund-Propaganda." Prof. Dr. Johannes-Dieter Steinert blickt auf zwei Jahre Recherche und Gespräche zurück. Gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlerin Inge Weber-Newth (University of North London) führte der Düsseldorfer Historiker das DFG-Projekt "Deutsche in Großbritannien nach 1945" durch, betreut wurde das Vorhaben von Prof. Dr. Kurt Düwell (Neuere Landesgeschichte NRW). Jetzt liegen die Ergebnisse in gedruckter Form vor; programmatischer Titel des Buches: "Labour and Love".
Neben den 15.000 Kriegsgefangenen bildeten die Hauptgruppen der Deutschen staatlich angeworbene Arbeitskräfte - darunter viele Flüchtlinge - "displaced persons", ehemalige Zwangsarbeiter, aber auch viele Frauen, die für die Textilindustrie, für die Hauswirtschaft und das Gesundheitswesen gesucht wurden. Daneben gab es etwa 20.000 deutsche Frauen, die privat oder gewerblich für britische Haushalte angeworben waren. Schließlich noch 10.000 Bräute britischer Soldaten ("war brides"), die ihren Männern in deren Heimat folgten (und oft genug vom Lebensstil ihrer neuen Familie geschockt waren).
Einer dieser Deutschen, der Ex-Kriegsgefangene Bernhard Trautmann, machte im Lande des ehemaligen Gegners eine ungewöhnliche Karriere. Als Torwart von Manchester City
wurde er nach anfänglichen heftigen Protesten ("Kriegsverbrecher im Tor!") zum Fußballidol. Als er trotz gebrochenen Halswirbels im Ligafinale 1956 weiterspielte und der Verein den Pokal gewann, wurde "Traut the Kraut" zum Kicker-Idol der Insel.
Die ehemaligen Kriegsgefangenen arbeiteten meistens in der Landwirtschaft, vielfach in Schottland. Sie kamen offenbar recht gut mit der Situation zurecht, ergab die Studie, die Briten schätzten sie, auf den Dörfern waren sie regelrecht beliebt.
Und die Frauen? Viele dieser 17-, 18-Jährigen, die sich anwerben ließen, stammten aus dem Osten, waren Flüchtlinge, oder wollten weg aus einem Trümmerdeutschland ohne Arbeit und Zukunft. Weber-Newth: "Andere waren ganz einfach frustriert vom langen Krieg und wollten ihre versäumte Jugend nachholen. England erschien da wie das Paradies, mit Cadbury-Schokolade und Nylonstrümpfen."
Die britische Regierung warb massiv mit Anzeigen, Flugblättern und über die deutschen Arbeitsämter, in Münster-Mecklenbeck und Hannover gab es Transitlager. Fazit der Studie: Diejenigen Frauen, die im Gesundheitswesen, etwa als Krankenschwester, unterkamen, trafen es besser als die Fabrikarbeiterinnen. In den Textil-Mills kam es bisweilen zu Übergriffen, Pöbeleien und Belästigungen. Die Ressentiments gegen Deutsche saßen gerade in der Unterschicht tief. Dennoch blieben die meisten und gingen Ehen mit Briten ein, viele Frauen haben sie im nachhinein allerdings als "unglücklich" beschrieben. Immerhin schaffte es die Mehrzahl, in die Mittelschicht aufzusteigen.
Die mentale Identität dieser Frauen? Weber-Newth: "Nach außen hin sind sie sehr angepaßt. Einige versuchten sogar, ihre Herkunft zu leugnen. Was das Innere betrifft, da hat eine Assimilation nicht stattgefunden, da sind sie Deutsche geblieben. Die meisten Kinder wuchsen zuerst mit der deutschen Sprache auf. Aber wenn sie in die Schule
kamen, wurde nur noch englisch gesprochen. Mit fremden- und deutschfeindlichen Situationen mußten sich die Frauen noch bis in die 70er Jahre auseinandersetzen."
Jetzt sind die Zuwanderer längst im Rentenalter. Fast alle haben die Kontakte nach Deutschland nie abgebrochen, sehr oft hörten der Historiker und die Soziologin Sätze wie "Im Alter sind meine Gedanken in Deutschland". Gerade die Frauen versuchten, immer ein bißchen "deutsche Lebensart" beizubehalten. In vielen Wohnungen finden sich Bilder
aus der alten Heimat und Kitsch zwischen Kuckucksuhr und bayerischem Bierseidel. Was haben die deutschen Zuwanderer noch in den Alltag der Sieger eingebracht? Inge Weber-Newth: "Seitdem gibt es auch in britischen Normalhaushalten den Weihnachtsbaum."
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes-Dieter Steinert, e-mail: jdsteinert@t-online.de
Inge Weber-Newth, e-mail:i.webernewth@unl.ac.uk
Johannes-Dieter Steinert und Inge Weber-Newth: "Labour & Love. Deutsche in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg. Secolo Verlag, Osnabrück 2000, 320 Seiten, 78 DM
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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