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09.10.2001 11:35

Berlin - auf dem Weg zur Metropole?

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Dissertation an der Freien Universität Berlin zur Stadtentwicklungspolitik im Bezirk Mitte nach der Wende

    Der 9. November 1989 markierte den Beginn einer neuen Zeitrechnung in Berlin. Sprichwörtlich über Nacht änderten sich die meisten der bis dahin gültigen Grundlagen der Berliner Politik. Dies galt nicht zuletzt auch für die Stadtentwicklungspolitik: War die Stadt aufgrund ihres Sonderstatus' Wettbewerbsbedingungen jahrzehntelang gar nicht oder nur sehr vermittelt ausgesetzt gewesen, so musste sie plötzlich auf internationaler Ebene mit anderen Städten um die Ansiedlung von Unternehmen und Institutionen konkurrieren. Auf der anderen Seite boten die Veränderungen aber auch enorme Chancen: So konnte das Zentrum Berlins in einem Umfang neu geplant werden, der sonst nur bei Neugründungen möglich ist. Wer hat damals mit welchen Interessen auf welchem Wege Entscheidungen getroffen? Und was lässt sich über den demokratischen Gehalt dieser Entscheidungen sagen? Diesen Fragen ist die Politologin Karin Lenhart in ihrer am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin entstandenen Dissertation nachgegangen.

    Nach einem Einführungskapitel, das einen Rückblick auf die Ost- und Westberliner Stadtentwicklungspolitik vor der Wende sowie einen Überblick über die durch Transformation und Strukturwandel geprägte Situation Berlins anfangs der 90er Jahre gibt, widmet sich die Autorin in detaillierten Fallstudien zwei zentralen Orten der Berliner Stadtentwicklungspolitik: Friedrichstraße und Alexanderplatz. Mit beiden Orten ist die Erinnerung an Berlins metropolitane Glanzzeit in den zwanziger Jahren verbunden - ein Mythos, den viele Akteure nach dem Mauerfall zu beleben suchten.

    Die ersten Weichen für die Umstrukturierung der Friedrichstraße wurden bereits 1990 gestellt. Auslöser für das schnelle Handeln der politisch Verantwortlichen noch zu Zeiten der DDR war der Druck von Projektentwicklern und Investoren, die bemüht waren, Grundstücke aus dem begrenzten Angebot für sich zu reservieren, um gehobene Dienstleistungs- und Gewerbeflächen schnellstmöglich anbieten zu können. Binnen kurzer Zeit wurde die Friedrichstraße zum teuersten Flecken Erde in Deutschland mit Quadratmeterpreisen von bis zu 40.000 DM.

    Unter den politisch Verantwortlichen herrschte die Überzeugung, dass nur mittels großer und rascher Investitionen das ökonomische Überleben der Stadt zu sichern war. Daher musste der Umwandlungsprozess vom sozialistischen Boden in kapitalistische Strukturen so schnell wie möglich erfolgen. Um "Entscheidungsvorgänge zu bündeln und hinderliche Hierarchiestufen abzubauen", rief der damalige Bausenator Wolfgang Nagel im Februar 1991 den sogenannten "Koordinierungsausschuss für innerstädtische Investionen" (KOAI) ins Leben. Diesem informellen Gremium, von dem die breite Öffentlichkeit keine Kenntnis hatte, gehörten höchste Vertreter der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Bau- und Wohnungswesen sowie Finanzen, der Oberfinanzdirektion Berlin, der Treuhandanstalt, der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, der Reichsbahndirektion Berlin, des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen sowie des Bundesfinanzministeriums an.

    Der Ausschuss hatte die Aufgabe, die Eigentumsfrage zu klären und durch die Auswahl geeigneter Investoren zugleich über künftige Nutzungsstrukturen zu entscheiden. Erfolgte die Vergabe von Grundstücken zunächst über ein zweistufiges Investorenauswahlverfahren, so wurde dieses aufwändige Prozedere bereits ab März 1991 (und im Vorgriff auf eine entsprechende gesetzliche Regelung) durch die Direktvergabe ersetzt. Während in der Öffentlichkeit noch über den "Städtebaulichen Strukturplan" der Senatsbauverwaltung sowie deren Konzept der "Kritischen Rekonstruktion" diskutiert wurde (das unter anderem die Respektierung bzw. Rekonstruktion des historischen Straßennetzes bzw. der historischen Baufluchten der Straßen und Plätze vorsah), schuf der Koordinierungsausschuss im Geheimen bereits Fakten: Bis September 1993 entschied er über 54 Großprojekte in der Friedrichstraße.

    Anders als die Friedrichstraße blieb der Alexanderplatz zunächst von der Planungs- und Investitionswut der Nachwendejahre verschont. Bis zum Sommer 1992 schien es so, als werde der Platz mit gärtnerischen und freiraumgestalterischen Mitteln aufgewertet oder allenfalls aus dem vorhandenen Bestand heraus weiterentwickelt. Im Juli 1992 kündigte der damalige Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, dann überraschend einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für das kommende Frühjahr an. Auf einem Vorbereitungstreffen der Stadtentwicklungsverwaltung mit den Investoren im September 1992 wurde die Durchführung eines zweistufigen Wettbewerbsverfahrens vereinbart. Die Investoren wurden direkt am städtebaulichen Wettbewerb beteiligt - ein Novum in Berlin. In dem Wettbewerbsverfahren, das sich über mehr als zwölf Monate hinzog, siegte schließlich der Entwurf von Hans Kollhoff und Helga Timmermann, der den Bau von 13 Hochhaustürmen und den Abriss fast des gesamten Bestandes vorsah. Die massive Kritik aus der (Fach-)Öffentlichkeit, die u.a. einen behutsameren Umgang mit der vorhandenen Bebauung, die Erhaltung des vorhandenen Wohnraums und eine Reduzierung der Höhe und Anzahl der Bürotürme forderte, blieb ohne Folgen, die (potentiellen) Investoren konnten sich mit ihren Forderungen nach maximaler Bruttogeschossfläche durchsetzen.

    Während die Entscheidungen im KOAI keiner öffentlichen Legitimation bedurften, hatten sich die Entscheidungen am Alexanderplatz einer öffentlichen Debatte zu stellen. Wie Karin Lenhart in ihrer Studie zeigt, war die formale Beteiligung der Öffentlichkeit jedoch nur darauf angelegt, Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen, nicht aber das Ergebnis zu beeinflussen; der Entscheidungfindungsprozess war völlig abgekoppelt von den öffentlichen Debatten. Bei allen Unterschieden lässt sich nach Ansicht der Autorin somit eine zentrale Gemeinsamkeit zwischen den Projekten Friedrichstraße und Alexanderplatz feststellen: Beide Entscheidungsverfahren waren nicht ergebnisoffen, sondern wurden auf ein gewünschtes Ergebnis (schnellstmögliche und größtmögliche Investitionen) hin ausgewählt und angewendet.

    Betrachtet man die Situation von Friedrichstraße und Alexanderplatz heute, so ist unverkennbar, dass sich die hochfliegenden Pläne bis dato nicht erfüllt haben. Die Friedrichstraße ist eine Einkaufsmeile mit den auch in weitaus kleineren Städten üblichen Franchise-Läden. Hier und da gibt es auch exklusivere Geschäfte, aber das noble Angebot im Quartier 206 der Friedrichstadtpassagen bleibt die große Ausnahme. Überdies stehen viele Büroräume und Wohnungen leer - ein Zeichen dafür, dass ein Großteil der Gebäude am Bedarf vorbei gebaut worden ist. Der Alexanderplatz sieht mehr als zehn Jahre nach dem Fall der Mauer noch annähernd so aus wie damals. Zwar wurden die einzelnen Gebäude umgebaut und renoviert, doch ist die Platzstruktur unangetastet geblieben. Ob der Entwurf des Architektenduos Kohlhoff/Timmermann (und sei es in abgespeckter Variante) jemals realisiert wird, ist aufgrund der veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen und der drastisch gesunkenen Gewinnaussichten auf dem Immobilienmarkt mehr als fraglich. Berlin ist noch immer weit davon entfernt, eine Metropole zu sein.

    Thorsten Lichtblau

    Literatur:
    Lenhart, Karin: Berliner Metropoly. Stadtentwicklungspolitik im Berliner Bezirk Mitte nach der Wende, Opladen: Leske und Budrich, 2001, 326 Seiten.

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Dr. Karin Lenhart, Tel.: 030 / 834 43 81, E-Mail: lenhart@zedat.fu-berlin.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Bauwesen / Architektur, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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