upm-Pressemitteilung der Universitaet Muenster 601/98 - 28. Januar 1998
Unterschiedliche Chancen durch differenziertes Schulsystem
Muensteraner Erziehungswissenschaftler untersuchten Schulen in Senegal
Noch immer ist Franzoesisch die offizielle Nationalsprache in Senegal, noch immer kann nur der im sozialen Rang aufsteigen, der die Sprache der einstigen Kolonialmacht beherrscht. Und so ist auch das oeffentliche Bildungssystem in dem afrikanischen Land ganz am franzoesischen Vorbild orientiert. Von der ersten Klasse an wird in franzoesisch unterrichtet, Religionsunterricht ist tabu. Alternativen zu dem oeffentlichen System sind die privaten - und teuren - katholischen Schulen, arabische Schulen und Koranschulen. Sie alle haben unterschiedliche Lehrinhalte und unterschiedliche Formen der Vermittlung. Eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstuetzte Studie unter der Leitung von Prof. Jens Naumann vom Institut fuer Allgemeine Erziehungswissenschaft der Westfaelischen Wilhelms-Universitaet Muenster hat sie miteinander vergliche, wie in der neuesten Ausgabe der "muz - Muensters Universitaets-Zeitung" berichtet wird.
"Im internationalen Vergleich schneiden senegalesische Schueler schlecht ab", erklaert Ulrike Wiegelmann, Mitarbeiterin an dem Projekt, bei dem 400 Kinder in der vierten und sechsten Klasse befragt wurden. "Uns hat es nun interessiert zu erfahren, wie der Leistungsvergleich zwischen den Schulsystemen aussieht." Die Schulpflicht ist gesetzlich vorgeschrieben, doch die oeffentlichen Schulen koennen nur die Haelfte aller Kinder aufnehmen.
Getestet wurden einfache Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen. "Dabei haben wir uns daran orientiert, was die Kinder im Alltag tatsaechlich brauchen", erklaert Wiegelmann. Schueler arabischer Schulen schnitten im Lesen und Schreiben besser ab als die oeffentlichen Schulen im laendlichen Millieu, waehrend beim Rechnen die Schueler franzoesischer Schulen die Nase vorn hatten. Bei den Koranschuelern war ein standardisierter Gruppen-Test nicht moeglich. Bei individuellen UEbungen stellte sich heraus, dass sie zwar schreiben koennen, aber nicht verstehen, was sie schreiben.
Die unterschiedlichen Faehigkeiten sind fuer Wiegelmann vor allem auf die Sprache zurueckzufuehren, in der unterrichtet wird. An den staatlichen Schulen ist Franzoesisch von der ersten Klasse an Unterrichtssprache, einheimische Sprachen spielen keine Rolle. Die Kinder, die aus rund 20 Sprachstaemmen - die wichtigste Verkehrssprache ist das Wolof - kommen, werden unvorbereitet mit einer fremden Sprache konfrontiert und lernen sie, ohne dass der Stoff in eine senegalesische Sprache uebersetzt wird.
Rigider noch ist das System in den Koranschulen. Sie waren lange Zeit die einzigen Schulen, die die Lehre des Islam vermittelten. Rund 90 Prozent aller Senegalesen sind Anhaenger des sufistischen Islam. "Die Eltern erwarten, dass den Kindern Grundlagen ihrer Religion vermittelt werden", erklaert Wiegelmann. Fast alle Kinder besuchen eine Koranschule, fuer viele ist es die einzige Schule, die sie je besuchen. Hier wird in Gruppen gelernt, in denen Schueler unterschiedlichen Alters sitzen, das Tempo bestimmt jeder selbst. Wichtigste Aufgabe ist das Auswendiglernen des Koran, der in Arabisch abgefasst ist, einer Fremdsprache fuer die Kinder. Dabei ist es - zumindest in der ersten Ausbildungsphase - gleichgueltig, ob die Kleinen verstehen, was sie auswendig gelernt haben.
Modernisierungsbewegungen innerhalb des Islams haben eine weitere Schulform ins Leben gerufen: private arabische Schulen, die haeufig auf Initiative der Bevoelkerung entstanden, lehren gleich von der ersten Klasse an Arabisch als Fremdsprache. So verstehen die Kinder, was sie lernen, doch sie lernen eine Sprache, die in Senegal nur von einem kleinen Teil der Bevoelkerung tatsaechlich gesprochen wird: "Ein Abschluss arabischer Schulen ist nichts wert, denn er ermoeglicht nur in wenigen Faellen den UEbergang in das oeffentliche hoehere Bildungssystem."
Die deutschen Forscher richteten ihr Augenmerk auch auf den sozialen Hintergrund der Kinder. Dabei zeigte sich ein ,immenser" Unterschied zwischen Stadt und Land: "Kinder auf dem Land braeuchten eigentlich ein intensiveres Training, doch sie werden eher noch benachteiligt", meint Wiegelmann. Die fortschreitende Armut auf dem Land zwinge viele Eltern, die Kinder auf Koranschulen zu schicken, wo sie in internatsaehnlichen Gemeinschaften leben. Gerade in den Staedten werden sie dort schlecht versorgt und muessen fuer ihren Lebensunterhalt betteln.
Damit die Kinder auf dem Land in der Naehe ihrer Eltern leben koennen, unterstuetzt UNICEF Koranschulen im laendlichen Raum. "Aber es gibt Vorbehalte in den islamischen Kreisen gegen ein Programm, das aus dem Westen kommt", sagt Wiegelmann. "Immerhin passiert etwas, vor zehn Jahren konnte man noch nicht einmal ueber die katastrophalen Lebensbedingungen und die schlechte Ausbildung in vielen Koranschulen sprechen."
Ein weiteres Problem ist ebenfalls zum Thema geworden: Durch den zunehmenden internationalen Druck und den teilweisen Rueckzug Frankreichs aus der Verantwortung fuer die ehemaligen Kolonien wird seit Beginn der 90er Jahre die Alphabetisierung im non-formellen Bereich staerker gefoerdert. Und auch ueber die Integration der Nationalsprachen in die oeffentliche Grundbildung als Ausweg aus der Bildungskrise wird diskutiert.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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