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28.11.2001 15:08

Option für die Armen

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Christliche Sozialwissenschaftler der Universität Münster suchen nach Lösungen für internationale Schuldenkrise

    Wer bis zum Hals in Schulden steckt und monatlich am Zahltag sein Einkommen der Pfändung preisgeben muss, wird kaum ein Interesse daran haben, einen Lohn oberhalb der Pfändungsgrenzen zu erzielen. Um den Schuldner künftig dennoch zur Einkommenserzielung zu motivieren, wird ihm entsprechend der neuen Insolvenzordnung nach einer Periode siebenjährigen Wohlverhaltens eine Restschuldbefreiung in Aussicht gestellt. Das geschieht nicht zuletzt auch im Interesse der Gläubiger, die eine höhere Bedienung ihrer Forderungen erwarten können.

    Was bislang nur auf nationaler Ebene möglich ist, müsste eigentlich auch auf verschuldete Länder übertragbar sein. Dem gehen drei Forscher vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster seit knapp zwei Jahren auf den Grund. Mit dem Ziel einer "Wirtschaftsethischen Beurteilung aktueller Lösungsstrategien zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise" suchen der Theologe Andreas Fisch, der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Martin Dabrowski und der Philosoph und Theologe Dr. Christoph Lienkamp nach praktikablen Lösungsansätzen zu einer wirksamen und dauerhaften Entschuldung armer Länder. Schwerpunkt des vom Institutsdirektor Prof. Dr. Karl Gabriel geleiteten Forschungsprojekts ist die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten, das verschuldeten Entwicklungsländern einen Erlass ihrer Auslandsschulden zu bestimmten Bedingungen gewährt. Nur auf diese Weise sei für hochverschuldete Entwicklungsländer eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung möglich. "Die Schaffung einer solchen Insolvenzregelung gehört zu den zentralen Forderungen der Kampagne "Erlassjahr 2000". Das Forschungsprojekt nimmt diesen Lösungsvorschlag auf", berichtet Andreas Fisch. Während des Studiums arbeitete er als Tischler in einem Projekt mit Straßenjungen im Nordosten Brasiliens. Die Erfahrungen, die er dabei gesammelt hat, sind einer der Beweggründe für sein sozialethisches Engagement.

    War zu Beginn eine wirtschaftsethische Beurteilung unterschiedlicher Lösungsvorschläge geplant, so verlagerte sich im Verlauf der Studie das Hauptaugenmerk darauf, inwiefern ein Insolvenzrecht für Staaten praktikabel ist. Dass diese Frage interdisziplinär gelöst wird, zeigt die unterschiedliche Qualifikation der drei Wissenschaftler. Sowohl der sozialethische als auch der wirtschaftswissenschaftliche Blickwinkel sind gefragt, um dem Problem der Entschuldung realistisch und wissenschaftlich fundiert zu Leibe zu rücken. "Bei der Bewertung von Lösungsansätzen werden moralische Normen nicht unabhängig von der ökonomischen Diskussion aufgestellt, sondern ihre Folgewirkungen rational und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eingeschätzt. Da aber nicht alles, was ökonomisch sinnvoll erscheint, auch ethisch zu rechtfertigen ist, muss auch die ökonomische Sachlogik einer ethischen Beurteilung und Abschätzung ihrer sozialen Folgen unterzogen werden", beschreibt Dabrowski die Notwendigkeit einer interdisziplinären Vorgehensweise, die sich auch aus der These der Wissenschaftler ergibt.

    Voraussetzung des Projektes ist die These, dass eine Entschuldung auf internationaler Ebene nicht nur ethisch notwendig, sondern auch wirtschaftlich vernünftig ist. "Aus ökonomischer Sicht ist Entschuldung sinnvoll, da größte ökonomische Gewinne nur dann zu erzielen sind, wenn möglichst viele Teilnehmer den Welthandel beleben. Die Möglichkeit, am Welthandel teilzunehmen, bleibt verschuldeten Ländern weitestgehend versagt" erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Dabrowski und der Theologe Fisch weiß zur ethischen Begründung: "Die Folge so genannter Strukturanpassungsmaßnahmen sind Einsparungen im Bildungs- und Sozialsektor, die auf Kosten der Schwächsten gehen. Das ist ethisch und auch aus Menschenrechtsgründen nicht länger zu rechtfertigen."

    Deshalb ist die biblische "Option für die Armen" der theologisch-ethische Ausgangspunkt des Forschungsprojektes. Das bedeutet, politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden daran gemessen, wie sie mit den schwächsten Gliedern der Gesellschaft umgehen. "Wir übersetzen die biblischen Forderungen in die Sprache der Wirtschaft und begründen sie philosophisch", beschreibt Prof. Gabriel den interdisziplinären Dialog. Der fächerübergreifende Ansatz war letztlich auch ausschlaggebend, dass die VW-Stiftung das Projekt mit 370000 Mark fördert.

    Zwei Kongresse zum Thema flankieren die Arbeit der Forscher. Im Dezember 1999 gab die interdisziplinäre Tagung zu "Lösungsansätzen zur Überwindung der Internationalen Schuldenkrise" den Auftakt für das Projekt. Im Januar 2002 werden die Forschungsergebnisse auf einem weiteren Kongress zum Thema "Die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten" vorgestellt und erörtert. Als Säulen, auf denen das Ganze ruht, bezeichnet Gabriel die beiden interdisziplinären Fachtagungen. Die Beiträge des ersten Kongresses sind bereits in der Reihe "Volkswirtschaftliche Schriften" veröffentlicht. Es folgt der Band mit den Ergebnissen der Tagung vom Januar 2002, der die Insolvenzrechtsfrage abschließend aus theologischer, völkerrechtlicher, moralökonomischer und politikwissenschaftlicher Perspektive untersucht.


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-muenster.de/ChristSozialwiss/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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