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15.02.2002 09:49

Ausschluss vom allgemeinen Leben

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Einschränkungen des subjektiven Wohlbefindens von Menschen mit schwerer Behinderung im Heim entstehen durch fehlende Wertschätzung durch verobjektivierende Umgangsweisen, durch das Vorenthalten von Kommunikation, dialogischer Beziehung, Aktivität und Selbstbestimmung, durch mangelnde Assistenz bei der Erschließung der sozialen und dinglichen Welt und durch den Ausschluss von der Teilnahme am allgemeinen Leben. Ökonomisch begründete Novellierungen im sozialpolitischen Bereich haben in den vergangenen Jahren erhebliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von geistig behinderten Menschen mit hohem Hilfebedarf gehabt. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Untersuchung, die am Seminar für Geistigbehindertenpädagogik der Universität zu Köln unter der Leitung von Professor Dr. Barbara Fornefeld erstellt wurde.

    29/2002

    Ausschluss vom allgemeinen Leben
    Studie zu Menschen mit schwerer Behinderung im Heim

    Einschränkungen des subjektiven Wohlbefindens von Menschen mit schwerer Behinderung im Heim entstehen durch fehlende Wertschätzung durch verobjektivierende Umgangsweisen, durch das Vorenthalten von Kommunikation, dialogischer Beziehung, Aktivität und Selbstbestimmung, durch mangelnde Assistenz bei der Erschließung der sozialen und dinglichen Welt und durch den Ausschluss von der Teilnahme am allgemeinen Leben. Ökonomisch begründete Novellierungen im sozialpolitischen Bereich haben in den vergangenen Jahren erhebliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von geistig behinderten Menschen mit hohem Hilfebedarf gehabt. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Untersuchung, die am Seminar für Geistigbehindertenpädagogik der Universität zu Köln unter der Leitung von Professor Dr. Barbara Fornefeld erstellt wurde.

    Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen weiterhin, dass die Alltagswirklichkeit von Menschen, die als schwer geistig behindert gelten und multiple zusätzliche Beeinträchtigungen haben, sehr unterschiedlich ist. Die objektiven Lebensbedingungen können in den Einrichtungen der Behindertenhilfe als insgesamt zufriedenstellend - im Einzelfall gut, teilweise auch unzureichend - bewertet werden. Dem gegenüber sind die strukturellen Bedingungen in den Pflegeheimen stark veränderungsbedürftig. Viele Gruppenmitarbeiter bemühen sich um eine bedürfnisorientierte und entwicklungsanregende Alltagsgestaltung.

    Als zentrales Ergebnis ist festzuhalten, dass die Leitlinien der Behindertenhilfe - Normalisierung, Integration und Selbstbestimmung - für den größten Teil der an der Untersuchung beteiligten schwer behinderten Frauen und Männer nur punktuell realisiert sind. Die Normalisierung der Lebensbedingungen bezieht sich in erster Linie auf institutionelle Strukturen, die soziale Integration in die Gesellschaft ist für die meisten noch in weiter Ferne - auch bei gemeindenaher oder gemeindeintegrierter Wohnlage. Permanente Deprivationserfahrungen und Stress-Erleben begünstigen das Entstehen oder die Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten. Ernst zu nehmende Auswirkungen hat vor allem die mangelnde Integration der Erkenntnisse der Schwerstbehindertenpädagogik und -forschung in die Praxis. Dazu gehört auch die Umsetzung der Möglichkeiten von Erwachsenenbildung für diesen Personenkreis. Die damit korrespondierende Fehleinschätzung der Lebensansprüche und Selbstgestaltungsmöglichkeiten von Menschen mit schwerer Behinderung führt vielfach zu einer einseitigen Fokussierung des professionellen Handelns auf den Pflegebedarf. Pflege allein kann dem lebenslangen Bildungsanspruch dieser Menschen jedoch nicht gerecht werden.

    Zur Sicherung der individuellen Lebensqualität von Erwachsenen, die als schwer geistig behindert bezeichnet werden und multiple zusätzliche Beeinträchtigungen haben, wird eine Verbesserung der strukturellen Bedingungen in unzureichend ausgestatteten Wohngruppen und die Qualifizierung und fachliche Unterstützung des Gruppenpersonals empfohlen. Zentrales Merkmal der Qualität der Angebote sollte eine konsequente Bewohnerorientierung sein. Darüber hinaus werden als Handreichung für die Praxis Checklisten zur Selbstevaluation der professionellen Arbeit vorgelegt.
    Als Konsequenz der beobachteten gravierenden Unterschiede der Betreuung dieses Personenkreises in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in Pflegeheimen wird ein kompromissloser Erhalt der Eingliederungshilfe für geistig behinderte Menschen mit hohem Hilfebedarf und die (Wieder-)Aufnahme der als 'Pflegefälle' deklarierten geistig behinderten Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner in Einrichtungen der Behindertenhilfe für notwendig erachtet. Die Behindertenverbände werden aufgefordert, bei allen verbandsinternen Aktivitäten und bei Forderungen an Politik und Gesellschaft die Interessen geistig behinderter Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf nicht nur selbstverständlich mit einzubeziehen, sondern - stellvertretend - explizit zu formulieren und Maßnahmen zur Berücksichtigung der spezifischen Belange zu initiieren.

    Die Kölner Heilpädagogen regen in allen Bundesländern die Einrichtung und Vernetzung regionaler Anlaufstellung zur Beratung von Einrichtungen, die Dienstleistungen für den genannten Personenkreis bieten, und zur Vermittlung von Experten für die Unterstützung vor Ort an. In wissenschaftlichen Begleitforschungsprojekten zur Erprobung neuer bedarfsgerechter Finanzierungsmodelle, die einen Wandel von institutionsbezogenen Hilfen zu offenen personenbezogenen Hilfen signalisieren, sollten bei den Untersuchungen mögliche Chancen dieser Modelle für Menschen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen berücksichtigt werden.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias
    Für Rückfragen steht Ihnen Professor Dr. Barbara Fornefeld unter der Telefonnummer 0221/470-5598, der Fax-Nummer 0221/470-5580 und der Email-Adresse fornefeld@uni-koeln.de zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.html).

    Für die Übersendung eines Belegexemplares wären wir Ihnen dankbar.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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