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08.07.1997 00:00

Genaktivierung: Regeln für Zellen mit Umweltkontakten

Dr.rer.pol. Dipl.-Kfm. Ragnwolf Knorr Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Biomedizin

    DFG foerdert FAU-Sonderforschungsbereich 473 zum Thema Genaktivierung

    Regeln fuer Zellen mit Umweltkontakten: Schaltvorgaenge der Transkription

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat an der Friedrich-Alexander-Universitaet Erlangen-Nuernberg (FAU) einen achten Sonderforschungsbereich bewilligt. Beteiligt sind Wissenschaftler der Fachrichtungen Genetik, Mikrobiologie, Zellbiologie, Virologie, Botanik, Biochemie, Experimentelle Medizin und Physikalische Chemie. Der SFB 473 mit dem Titel "Schaltvorgaenge der Transkription" konnte zum 1. Juli 1997 seine Arbeit aufnehmen. Fuer das laufende Haushaltsjahr stehen etwas mehr als eine Million Mark an Foerdergeldern zur Verfuegung. Insgesamt ist fuer die erste dreijaehrige Foerderperiode ein Betrag von ueber fuenf Millionen Mark vorgesehen. Als Sprecher des SFB 473 amtiert Prof. Dr. Wolfgang Hillen (Lehrstuhl fuer Mikrobiologie). Stellvertreter des Sprechers ist Prof. Dr. Eckhard Schweizer (Lehrstuhl fuer Biochemie). Ein SFB-Sekretariat wird am Lehrstuhl fuer Mikrobiologie eingerichtet.

    Vorarbeiten fuer den Sonderforschungsbereich hatte die DFG-Forschergruppe "Transkriptionssignale und Regulatorproteine" geleistet, die in Erlangen sechs Jahre lang gefoerdert wurde. Nachwuchswissenschaftler werden seit 1992 in dem Graduiertenkolleg "Kontrolle der Transkription" (frueher: "RNA-Synthese und -Prozessierung") mit der Thematik vertraut gemacht. Beruehrungspunkte finden sich weiter zum Graduiertenkolleg "Immunologische Mechanismen bei Infektion, Entzuendung und Autoimmunitaet" und dem vor genau einem Jahr eingerichteten SFB 466 "Lymphoproliferation und Immundeffizienz".

    Von Blaettern, Viren und Knorpelzellen: Ein Raetsel mit zwei Antworten

    Junge Blaetter, die eine Laubpflanze treibt, muessen anfangs vom aelteren Laub miternaehrt werden, weil sie ihren Bedarf an Kohlenstoffprodukten nicht selbst decken koennen. Wenn sie herangewachsen sind, entnehmen sie der Luft genuegend Naehrstoff und koennen schliesslich ebenfalls Zucker abgeben und die nachfolgende "Blattgeneration" mitversorgen. Einzellige Chlorella-Gruenalgen beziehen ihre Energie allein aus der Sonnenstrahlung, wenn keine andere Quelle verfuegbar ist; werden sie aber mit Traubenzucker gefuettert, schalten sie um und nutzen die neue Ressource zusaetzlich. Hefepilze produzieren Enzyme, die sie fuer Wachstum und Zellteilung brauchen, genau im rechten Moment. Verschiedenartige Bakterien regeln aehnliche Stoffwechselvorgaenge auf voellig unterschiedliche Weise. Ein Herpesvirus - dem Menschen vor allem zu Zeiten gefaehrlich, in denen das Immunsystem geschwaecht ist - baut Eiweissstoffe auf, die verschiedenste Aufgaben uebernehmen koennen, wenn der Krankheitserreger eine Wirtszelle fuer die eigene Vermehrung umprogrammiert. Eine Substanz im menschlichen Knorpel, die fuer die gesunde Entwicklung des ungeborenen Kindes unabdingbar ist, bewirkt die Zerstoerung der Gelenke, wenn die Knorpelzellen eines Erwachsenen dasselbe Kollagen produzieren.

    Wo steckt in dieser scheinbar planlosen Aufzaehlung die Gemeinsamkeit, das uebergeordnete Prinzip? Was kann Viren, Bakterien, Algen, Pilze, Pflanzen und Menschen verbinden? Eine Antwort ergibt sich bei kurzer Ueberlegung vielleicht von selbst: es handelt sich um belebte Organismen. Vorgaenge, an denen nur unbelebte Substanzen beteiligt sind - der Zerfall eines Steins, ein Gewitter - unterscheiden sich grundlegend von Lebensprozessen, auch wenn sie noch so dynamisch sind. Der Stein hat dem Wind, der ihn abtraegt, nichts entgegenzusetzen und kann auch nicht von sich aus an eine geschuetzte Stelle rollen. Lebende Organismen - ob nun Einzeller oder sehr komplexe, aus hochspezialisierten, arbeitsteiligen Zellverbaenden zusammengesetzte Strukturen - sind Traeger von Informationen, die in ein zielgerichtetes Geschehen umgesetzt werden koennen.

    Zwei prinzipielle Arten kennen alle Organismen, die Information anzuwenden, die in ihren Genen (als kleinster Untereinheit des Erbguts) gespeichert ist. Die eine Art, die eine identische Kopie der gesamten genetischen "Bibliothek" erzeugt, ist Teil von Wachstum und Teilung jeder Zelle, von Wissenschaftlern Proliferation genannt. Die andere Methode nutzt den eingebauten Informationsspeicher fuer die Auseinandersetzung mit der Umwelt der Zelle. Einzelne Gene, meist inaktiv, werden in Aktion gesetzt; Regelkreise greifen ineinander, eine Vielzahl von Eiweissmolekuelen - Kernsaeuren, Botensubstanzen, Enzyme, als Baustoff verwendbare Proteinpartikel - reichen Signale aneinander weiter, und im Endeffekt kann ein solcher Vorgang ebensogut die Verdauung foerdern wie beispielsweise einem voruebergehend blockierten Gedaechtnis aufhelfen. Dieser Prozess wird als Genexpression, als "Aeusserung" eines Gens bezeichnet und in zwei Phasen aufgeteilt, die Transkription (das "Abschreiben") und die Translation (das "Uebersetzen"). Mit der ersten der beiden genannten Phasen befasst sich der neue Sonderforschungsbereich.

    Vom Umgang mit der Aussenwelt: Anleitungen aus der Gen-Bibliothek

    Die Transkription kann damit verglichen werden, dass aus der genetischen Bibliothek ein Text ausgewaehlt, abgeschrieben und dorthin weitergereicht wird, wo er gebraucht wird. Die Translation bedeutet dann, dass der Text gelesen und die darin enthaltene Anweisung ausgefuehrt wird. Wie viele Vergleiche hinkt auch dieser ein wenig: kein Bewusstsein waehlt hier aus, deutet den Sinn des Gelesenen oder wendet das Wissen praktisch an. Stattdessen wird, gesteuert durch zell- und molekular- biologische, chemische und physikalische Mechanismen, ein bestimmter DNA-Abschnitt im Zellkern auf eine andere Kernsaeure, die RNA, kopiert und diese in eine sogenannte Boten- oder messenger-RNA umgebaut. Im zweiten Schritt lesen Ribosomen, submikroskopisch kleine Koernchen, den Code ab und sorgen dafuer, dass Aminosaeuren nach der Bauanleitung zu einem Protein, einem Eiweisskoerper, zusammengefuegt werden.

    Prozesse der Genexpression laufen in allen lebenden Zellen, die sich nicht gerade teilen, staendig ab, und das in einem ungeheuer hohen Tempo. Da schon die Zahl der Zellen in einem menschlichen Organismus das Vorstellungsvermoegen bei weitem uebersteigt, ist die Zahl der Vorgaenge, die diesen Organismus eine Stunde lang in Gang halten, unmoeglich auch nur annaehernd zu fassen.

    Versuche, in diesem scheinbar ungeordneten und jedenfalls unueberblickbaren Chaos Orientierungen zu finden und begreifbare, wissenschaftlich fundierte Schemata dafuer aufzustellen, sehen zunaechst nach einer Sisyphusarbeit aus. Immerhin wurden die Werkzeuge der molekulargenetischen Forschung in den letzten fuenfzehn Jahren so sehr verbessert und verfeinert, dass es relativ einfach geworden ist, manche genau definierten Prozesse - in einem Grippevirus etwa oder einer menschlichen Blutzelle - herauszugreifen und die beteiligten Gene und Substanzen wie ihre Wechselwirkungen zu identifizieren. Auf diese Weise sammelt sich jedoch eine Flut an Daten ueber Einzelfaelle an, die auf die Dauer unueberschaubar wird. Alle denkbaren Lebensprozesse bei allen existierenden Organismen einzeln zu erforschen, ist nicht nur unmoeglich zu bewaeltigen; es waere vermutlich auch gar nicht sinnvoll.

    Zum Glueck fuer den menschlichen Wissensdurst zeichnet sich ab, dass zwar die Einzelprozesse ungemein vielfaeltig sind, so wie die Natur immer neue Vielfalt hervorbringt; die Zahl der grundlegenden molekularen Mechanismen aber ist sehr wahrscheinlich begrenzt. Variationen gibt es am haeufigsten in der aeusseren, dreidimensionalen Form, die die beteiligten Molekuele annehmen koennen, und in der Reihenfolge, in der sie ineinandergreifen. Dies gilt sowohl fuer den Vergleich zwischen Organismen (also etwa zwischen Taubnessel, Blattlaus und Pinguin) als auch fuer verschiedene Zelltypen eines Organismus, zum Beispiel Sehnerv- und Lungenzellen. So ergibt sich fuer die biomedizinische Forschung ein sinnvoller Ansatzpunkt aus dem Forschungsobjekt selbst: statt der Unterschiede die Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Aus diesem Forschungsfeld wurde fuer den Sonderforschungsbereich 473 ein Teilgebiet als Untersuchungsobjekt gewaehlt.

    Von Eiweiss-Schaltern, Signalen und Kaskaden: Die drei Projektbereiche des SFB

    Die SFB-Initiatoren formulieren ihr Ziel folgendermassen: angestrebt ist die Aufklaerung grundlegender Schaltvorgaenge der Transkription. Gesucht werden demnach Antworten auf die Fragen: wie kommt es dazu, dass die Prozedur, die in der Anwendung vererbter Information muendet, in Gang gesetzt wird? Welche Proteinmolekuele sind beteiligt, welche Struktur haben sie, wie koennen sie ihre Form aendern, welche Aufgaben kommen ihnen zu, und wie wird gesichert, dass sie diese zum rechten Zeitpunkt ausfuehren? Speziell auf die Prozesse, die die Effizienz der Transkription, also die angemessene Umsetzung von Umweltreizen betreffen, sind die Forschungen im SFB konzentriert.

    Dies fuehrt zu einer zweiten, weniger auf der Hand liegenden Loesung der Raetselfrage, was die anfangs aufgezaehlten Beispiele gemeinsam haben koennten: Entwicklungsstadien der Blaetter hoeherer Pflanzen, Energiezufuhr fuer Algen, Zellwachstum der Baeckerhefe, Bakterien-Stoffwechsel, Vermehrungsstrategien von Viren und Ursachen arthrotischer Gelenkerkrankungen sind allesamt Thema der wissenschaftlichen Untersuchung im neuen FAU-Sonderforschungsbereich, herausgegriffen aus dem Projektkatalog, den die beteiligten Forscher erstellt haben. Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Sammelsurium unzusammenhaengender Wissensgebiete wirkt, macht gerade die Staerke des Forschungsansatzes aus. Eben diese Breite ist beabsichtigt, um sich von unterschiedlichen Ausgangspunkten demselben Ziel zu naehern.

    Gegliedert ist das Forschungsprogramm in drei Projektbereiche, die jeweils fuenf bis sechs Einzelprojekte umfassen. Der erste Bereich befasst sich mit Eiweissstoffen, die ein Gen aktivieren oder auch die Aktivierung abbremsen koennen. Welche derartigen Regulatorsubstanzen gibt es? In welchen Formen kommen sie vor, wie veraendern sie sich, und welche Funktionen haben sie jeweils zu erfuellen? Der zweite Bereich bezieht Wechselwirkungen ein, die zwischen den Regulatorproteinen, der DNA als Traegerin der Erbinformation und weiteren Eiweissmolekuelen ablaufen, verfolgt also die Interaktionen in einer Kette aneinandergereihter Signale. Im dritten Projektbereich geht es vor allem um weiterreichende Signalketten (oder Signalkaskaden), die von ausser- oder innerhalb der Zellen zu den Transkriptionsfaktoren hingeleitet und von diesen registriert werden.

    Alle Projekte haben das Ziel, Schaltvorgaenge und ihre Einbindung in den jeweiligen Organismus molekular, strukturell und dynamisch zu verstehen: die chemische Zusammensetzung der beteiligten Substanzen, ihren raeumlichen Aufbau, ihre Funktionen in einem Gesamtsystem und die Prozesse, die sie durchlaufen. Wenn dies so gelingt wie geplant, mag sich einmal mehr erweisen, was sich in Forschungen ueber die Grundlagen des Lebens schon seit laengerer Zeit andeutet: dass Mensch und Obstfliege, Staphylokokken und Ackerschachtelhalme mehr gemeinsam haben, als es der Homo sapiens oftmals wahrhaben moechte.

    Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang Hillen, Sprecher des SFB 473, Lehrstuhl fuer Mikrobiologie, Staudtstrasse 5, 91058 Erlangen, Tel.: 09131/85 -8081, -8588, Fax: 09131/85 -8082


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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