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25.04.2002 11:38

Ist der neue deutsche Film türkisch?

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders oder Werner Herzog - das sind die großen Namen des deutschen Films. Doch wo bleibt der Nachwuchs? Wer spiegelt das Leben und die (Un-)Sitten der Deutschen in seinen Filmen wider? Heutzutage sind es hauptsächlich "ausländische" Filmemacher, die sich mit der deutschen Alltäglichkeit auseinandersetzen. Nicht erst seit "Happy Birthday Türke" oder "Kurz und Schmerzlos" gehören Fatih Akin, Kutlug Ataman oder Ayse Polat zu einer Reihe von Regisseuren und Filmemachern, die als Hoffnungsschimmer der deutschen Filmlandschaft gelten und deren ethnischer Hintergrund zur Klassifizierung ihrer Werke herangezogen wird. Ob hier von einer Filmbewegung gesprochen werden kann und ob Filme von "Ausländern" tatsächlich "anders" sind, ob es einen türkischen oder deutschen Blick auf das jeweils Fremde gibt, darüber forschen Kerem Kayi und Ekkehard Ellinger vom Institut für Turkologie der Freien Universität Berlin.

    Kerem Kayi und Ekkehard Ellinger untersuchen das Phänomen sich wandelnder und doch stereotyper Zuschreibungen. Ausgangspunkt der Forschung war die Feststellung, dass türkische und deutsch-türkische Filme hierzulande kaum rezipiert und das Bild der Türkei sowie der türkisch-stämmigen Bevölkerung im deutschen Film einseitig und verzerrt dargestellt wird. Daraus entwickelte sich die Idee, einen intensiveren Blick auf die Darstellung der Türkei und seiner Bewohner im Film der Bundesrepublik Deutschland zu werfen.

    Sowohl die Darstellung der Türkei und türkischer Migranten in Deutschland bzw. in deutschen Filmen als auch die Selbstwahrnehmung der Filmschaffenden in der Türkei werden untersucht und verglichen. "Trotz wachsender Zahl deutsch-türkischer Koproduktionen ist eine tiefe Unkenntnis über ausländische Filmproduktionen und die tatsächliche Lebenssituation der türkischen Bevölkerung festzustellen", konstatiert der Turkologe Kerem Kayi. Probleme bereiten auch die gern verwendeten Bezeichnungen wie "dritte Generation" oder "ausländischer Film". Ob und inwiefern deutsch-türkische Regisseure überhaupt "ausländische" Themen und Sichtweisen darstellen oder ob sie sich vielleicht längst einer europäischen Filmtradition zuordnen, ist bislang ungeklärt. Ekkehard Ellinger stellt hier ein oft vereinfachendes Deutungsmuster fest: Filme, die von und mit "Ausländern" verwirklicht werden, werden per se als "sozialkritische Werke über in Deutschland lebende Migranten" gedeutet, unabhängig von der filmischen und narrativen Tradition der Macher.

    Einen anderen Blick bieten deutsche Spielfilme, Serien oder Daily Soaps. Die Darstellung der türkischen Bevölkerung unterliegt hier einem kontinuierlichen Wandel. Seit den achtziger Jahren tauchen oft Stellvertreter der größten ausländischen Bevölkerungsgruppe auf und spiegeln die jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen wieder. Anfangs ausschließlich als Putzfrau oder Gemüsehändler zu sehen, entwickelte sich das Bild möglicher Tätigkeitsfelder über die obligatorische Karriere im kriminellen Milieu hin zum Mittelstand: dem türkischen Kommissar, Lehrer oder Geschäftsmann. Trotz einer gewissen Rückständigkeit kann hier durchaus von einer Entwicklung gesprochen werden, ganz im Gegensatz zu dem über die Türkei vermittelten Bild.

    Die frühere Heimat erscheint in den meisten deutschen Produktionen wahlweise als ein von Armut und Unterdrückung gezeichnetes Dorf oder als Touristenparadies. Eine differenzierte Betrachtungsweise der Türkei ist selten - unabhängig steigender Zahlen deutsch-türkischer Koproduktionen. Augenfällig ist hier vielmehr die Tendenz bundesdeutscher Einrichtungen, hauptsächlich kritische Filme zu fördern, die allein durch ihre Anzahl ein bestimmtes Türkeibild propagieren. Dieses, so Ellinger, reproduziere das Bild des "türkischen Henkers", einer Figur die bereits 1903 von George Melies entwickelt wurde und den tyrannischen und tyrannisierten Türken darstellt.

    Völlig gegensätzlich dazu ist die Entwicklung der türkischen Filmindustrie. Migration spielt mittlerweile kaum noch eine Rolle, die vom Staat relativ großzügig unterstützte Branche produziert pro Jahr knapp dreißig abendfüllende Spielfilme und bedient die unterschiedlichsten Genres. Eine Rollenbeschränkung auf Kleinkriminelle, Putzfrauen und Gemüsehändler findet nicht statt. Die international vertriebenen Werke orientieren sich dabei am amerikanischen Mainstreamkino und stellen ein Türkeibild dar, das hierzulande in der medialen Wirklichkeit fehlt.

    Im Rahmen der Studie wird auch eine Anthologie des türkischen Films von 1970 bis 2000 veröffentlicht.

    von Kajetan Tadrowski

    Literatur:
    Ekkehard Ellinger/Kerem Kayi, "'It was done with incredible simplicity...': Die Darstellung der Türkei im englischen und amerikanischen Spielfilm", in: Scripta Ottomanica et Res Altaica. Festschrift für Barbara Kellner-Heinkele zu ihrem 60. Geburtstag (hrsg. von Ingeborg Hauenschild, Claus Schönig und Peter Zieme), Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2002, S. 15-47. (Veröffentlichungen der Societas Uralo-Altaica, hrsg. Von Klaus Röhrborn und Ingrid Schellbach-Kopra, Bd. 56)

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Kerem Kayi und Ekkehard Ellinger, Institut für Turkologie der Freien Universität Berlin, Schwendenerstr. 33, 14195 Berlin, Tel.: 030 / 838-53955, E-Mail: keremkayi@hotmail.com


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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