Welche Rolle spielen Erzählformen bei der Herstellung von Wissen? Wie haben Arztberichte das Wissen über Krankheiten geprägt? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich ein Verbundprojekt an der Ruhr-Universität Bochum, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2008 mit ca. 1,1 Millionen € fördert. Jetzt haben RUB-Philologen weitere neue Ergebnisse aus dem Projekt als Buch veröffentlicht: "Der ärztliche Fallbericht. Epistemische Grundlagen und textuelle Strukturen dargestellter Beobachtung".
Beobachtungen schreiben – Wissen darstellen
Wie anthropologisch-medizinisches Wissen in der Moderne entsteht
RUB-Philologen veröffentlichen Tagungsband zum medizinischen Fallbericht
Welche Rolle spielen Erzählformen bei der Herstellung von Wissen? Wie haben Arztberichte das Wissen über Krankheiten geprägt? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich ein Verbundprojekt an der Ruhr-Universität Bochum, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2008 mit ca. 1,1 Millionen € fördert. Jetzt haben RUB-Philologen weitere neue Ergebnisse aus dem Projekt als Buch veröffentlicht: "Der ärztliche Fallbericht. Epistemische Grundlagen und textuelle Strukturen dargestellter Beobachtung", herausgegeben von Prof. Dr. Rudolf Behrens (Romanisches Seminar) und Prof. Dr. Carsten Zelle (Germanistisches Institut). Die Beiträge im Buch sind auf einer internationalen Tagung an der RUB zur ärztlichen Fallgeschichte vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart aus der Perspektive von Literaturwissenschaft und Medizingeschichte vorgestellt und intensiv diskutiert worden.
Von Onanie und Schwindsucht ...
Anhand sehr unterschiedlicher Beschreibungen von Krankheitsfällen wurde der Zusammenhang von Beobachtung und Niederschrift untersucht. Im Fokus standen typische „Modekrankheitsbilder“ des 18. und 19. Jahrhunderts wie Schwindsucht, Onanismus, Hysterie, rechtsmedizinische und psychiatrische Fälle sowie psychoanalytische und psychologische Traumanalysen. Die Forschungen haben sich dabei nicht allein auf Beschreibungen aus dem mitteleuropäischen Raum, etwa Frankreich und Deutschland, beschränkt, sondern sie wurden mit Texten des außereuropäischen Raums, vor allem des indischen Subkontinents, verglichen.
Der Begriff der medizinischen „observatio“ ist doppeldeutig
Den Philologen geht es um das wechselhafte Verhältnis zwischen der Textform "Fallgeschichte" und den unterschiedlichen Voraussetzungen für das Entstehen von medizinischem und diagnostischem Wissen: Die "Geschicklichkeit zu observieren und zu schreiben" sind untrennbar aufeinander bezogen, wusste schon der berühmte Mediziner Friedrich Hoffmann zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Das gilt noch heute: Wer beobachtet schreibt, und umgekehrt lenkt das Schreiben den Blick des Beobachters. Der Begriff der "observatio" ist daher systematisch doppeldeutig: Er bezeichnet sowohl die wissenschaftliche Tätigkeit als auch die wissenschaftliche Textsorte, die das Beobachtete festhält.
Eine brisante Leerstelle
Solche Darstellungsgebundenheit der Wissenschaft betrifft besonders das Wissen vom Menschen. Die sich im 19. Jahrhundert ausdifferenzierenden "sciences humaines" legten eine brisante Leerstelle frei, die seit dem frühen 20. Jahrhundert auch die philosophische Anthropologie beschäftigt: Was sie erschließen sind keine Universalien, sondern kulturell kodierte Formen, mit denen sich die Menschen spiegeln. So auch in Krankheiten: Sie werden zuerst einmal beschrieben, begründet und in Zusammenhänge eingeordnet, bevor sie therapiert werden können. Dazu aber braucht es seit Hippokrates 'Fallberichte', die das Beobachtete in Sprache kleiden und systematisieren.
Titelaufnahme
Der ärztliche Fallbericht. Epistemische Grundlagen und textuelle Strukturen dargestellter Beobachtung. Hg. Rudolf Behrens, Carsten Zelle. Mitwirkung: Nicole Bischoff, Maria Winter. Wiesbaden: Harassowitz 2012 (= culturae. Intermedialität und historische Anthropologie, 6), XIV, 314 S., 4 Tafeln. ISBN: 9-783447-065665
Weitere Informationen
Prof. Dr. Rudolf Behrens, Romanisches Seminar der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32-22631
Rudolf.Behrens@rub.de
Prof. Dr. Carsten Zelle, Germanistisches Institut der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel.: 0234/32–25108
Carsten.Zelle@rub.de
Angeklickt
DFG-Projekt Probleme der Darstellung anthropologisch-medizinischen Wissens in der Moderne:
http://www.darstellung.rub.de/index.html
Cover und Inhalt des Bandes sowie Leseprobe:
http://staff.germanistik.rub.de/zelle/wp-content/uploads/file/Zelle%20HP/Behrens...
Redaktion: Dr. Josef König
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Medizin, Sprache / Literatur
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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