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26.05.1998 00:00

Martin Bucer: Ein Vorkämpfer der Ökumene im 16. Jahrhundert

Dr.rer.pol. Dipl.-Kfm. Ragnwolf Knorr Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Eine "europäische und ökumenische Gestalt" soll durch die Edition des Briefwechsels des Reformators Martin Bucer wieder zugänglich werden. Am Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte (Prof. Dr. Berndt Hamm) der Universität Erlangen-Nürnberg werden die Briefe des Straßburger Theologen dokumentiert und so aufbereitet, daß Gedankenanstöße und Hilfestellungen daraus bezogen werden können. Denn Martin Bucer hat im 16. Jahrhundert Problemstellungen aufgegriffen, die heute im Geflecht der politischen, gesellschaftlichen und religiösen Entwicklungen im zusammenwachsenden Europa von hoher Bedeutung sind.

    In einer Zeit der "religiösen Spaltungen" war Bucer ein "Mann der Mitte". Einem Schlagwort unserer Tage - "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" - hat er Vorbilder geliefert. Wie kein anderer war er ein Förderer der Versöhnung, nicht nur im eigenen Lager (Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli), sondern auch bei den Religionsgesprächen mit der römischen Kirche in den Jahren 1540/41; bei den Auseinandersetzungen mit Juden, Täufern und religiösen Randgruppen der damaligen Zeit war er der wichtigste Dialogpartner auf evangelischer Seite.

    Zudem hatte er wie kaum ein anderer Theologe seiner Zeit den "europäischen Weitblick": Über das Elsaß und Deutschland hinaus pflegte er Verbindungen nach Italien, Böhmen, Dänemark, Schweden, Polen bis Palästina und förderte die Reformation in Frankreich und England. Bucer war ein "Grenzgänger der Reformation", Vermittler zwischen den Konfessionen und Nationen, Vorkämpfer dessen, was wir heute unter "Ökumene" verstehen. Durch die wissenschaftliche Edition der Briefe Bucers soll der künftigen Forschung eine breite Quellenbasis über wichtige, aber weithin noch unbekannte Gebiete der Reformationsgeschichte an die Hand gegeben werden.

    In Vergessenheit geraten

    Der Straßburger Theologe Martin Bucer galt lange Zeit als einer der unbekannteren Reformatoren, da er keinen eigenen Konfessionstyp wie Luther, Zwingli oder Calvin begründet hat. Die schwer lesbare Handschrift Bucers war außerdem ein Grund dafür, daß der Straßburger Reformator trotz seiner regen Tätigkeit und großen Bedeutung nahezu in Vergessenheit geraten ist.

    Das Interesse an Bucer erwachte erst wieder im 19. Jahrhundert. Bereits damals wurde deutlich, daß eine ausgewogene Beurteilung Bucers ohne umfangreiches Quellenstudium nicht möglich ist. In dieser Hinsicht war es von entscheidender Bedeutung, daß ein Beschluß der internationalen Bucer-Kommission im Jahr 1952 (unter Leitung der Professoren Wendel und Stupperich) die Edition der "Opera Omnia" Bucers in die Wege leitete. Diese sind in Bucers Deutsche Schriften (BDS), die Opera Latina Bucers (BOL) und den Bucer-Briefwechsel (BCor) untergliedert.

    Des Briefwechsels hatte sich von jeher Dr. Jean Rott in Straßburg angenommen, der in den meisten Archiven Europas die Briefe Bucers aufgespürt und dann klassifiziert hat. Er hat sich auch der Mühe unterzogen, das Lesen und Entziffern der komplizierten Handschrift Bucers zu erlernen. Als ausgezeichneter Historiker und Kenner der Reformationszeit begann er - bereits emeritiert - mit der Edition des ersten Bandes der Briefe Bucers. Im Jahr 1982 stieß Reinhold Friedrich dazu, der von Dr. Rott in der Handschrift Bucers unterrichtet wurde und seitdem ehrenamtlich an der Edition mitarbeitet. Aufgrund der Initiative von Dr. Friedrich (der seit 1992 in Erlangen das DFG-Projekt "Liturgiereform in Bayern im 19. Jahrhundert" leitet) hat die Theologische Fakultät der FAU eine Ansiedlung der Bucer-Briefwechsel-Edition in Erlangen einstimmig befürwortet.

    Unter der Federführung von Prof. Hamm und Dr. Friedrich sowie der Mitarbeit zweier weiterer Wissenschaftler sollen die Briefe Bucers ab 1530 herausgegeben werden. (Die ersten drei Bände des Bucer-Briefwechsels der Jahre 1511-1529 erschienen 1979, 1989 und 1995.) Nach schon bestehenden Editionsgrundsätzen sollen die Briefe in chronologischer Reihenfolge ediert werden. Jedem Brief wird eine kurze Inhaltsangabe vorangestellt, um dem Leser einen Überblick der behandelten Themen zu vermitteln. Die Briefe werden text- wie sachkritisch bearbeitet. Im textkritischen Apparat werden alle Bearbeitungsstufen Bucers aufgenommen und mit vorhandenen Abschriften verglichen. Im Sachkommentar wird auf die wichtigen Bezüge im Blick auf Theologie, Philosophie, Politik u.s.w. eingegangen.
    Durch Einsatz modernster Computertechnik und unter der Voraussetzung, daß studentische Hilfskräfte einbezogen werden können, erscheint eine Bearbeitungszeit pro Band von einem Jahr realistisch. Das Projekt ist als Langfristvorhaben gedacht (ca. 20 Jahre), die Anfangsfinanzierung für drei bzw. sechs Jahre ist von der DFG zugesichert, bzw. in Aussicht gestellt.

    Durch das Editionsvorhaben bleibt die Kontinuität von Editionen an der theologischen Fakultät in Erlangen (Edition der Schriften des Nürnberger Reformators Osiander, Edition der Schriften des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler, Liturgiereform in Bayern im 19. Jahrhundert) erhalten. Die Räumlichkeiten der theologischen Fakultät sowie die technische Ausstattung, welche die bayerische Landeskirche dem Forschungsprojekt "Liturgiereform in Bayern" überlassen hat, stehen auch für die Bucer-Edition zur Verfügung.

    Schriften des Ratsschreibers Spengler

    Der Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte ediert außerdem die Schriften des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler, teilweise mit Unterstützung der DFG. Mitarbeiter sind Wolfgang Huber und Gudrun Litz. Geplant sind insgesamt drei Bände; Bd. I ist 1996 erschienen. An der Gestalt Spenglers zeigt sich der gegen Ende des Mittelalters aufsteigende Typus des akademisch gebildeten Rats und Beamten aus dem Laienstand, dem bei der Durchsetzung der Reformation eine entscheidende Rolle zukam. Die Vorgehensweise deckt sich mit den für die Bucer-Briefwechsel-Edition beschriebenen Methoden.

    * Kontakt:
    Prof. Dr. Berndt Hamm, Dr. Reinhold Friedrich, Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte,
    Kochstraße 6, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -2211, -2023, Fax: 09131/85 -2043


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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