Wie konnte es den Nationalsozialisten 1933 gelingen, die fast unumschränkte Macht in Deutschland an sich zu reißen? Die Gegenkräfte waren der schnellen Folge von Maßnahmen nach dem 30. Januar nicht gewachsen, sagt Prof. Dr. Friedrich Kießling vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und analysiert die Entwicklungen:
Der 30. Januar 1933 fordert Erklärungsversuche heraus wie kaum ein anderes Ereignis des 20. Jahrhunderts. Dies betrifft die Frage, warum Reichspräsident Paul von Hindenburg den von ihm wenig geliebten Hitler Anfang 1933 doch noch zum Reichskanzler ernannte, vor allem aber auch die, wie es den Nationalsozialisten gelingen konnte, innerhalb weniger Monate die wichtigsten innenpolitischen Gegner auszuschalten und damit die fast unumschränkte Macht an sich zu reißen.
Eine Erklärung liegt sicher in der Geschwindigkeit der auf den 30. Januar folgenden Aktionen. Der schnellen Folge von legalen bzw. scheinlegalen Maßnahmen waren die vorhandenen Gegenkräfte nicht gewachsen. Schon am 1. Februar erwirkte Hitler bei Hindenburg die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen für den 5. März. Eine Verordnung vom 4. Februar erlaubte weitgehende Eingriffe in die Presse- und Versammlungsfreiheit. Die einen Tag nach dem Brand des Berliner Reichstags am 28. Februar erlassene Verordnung „Zum Schutz von Volk und Reich“ setzte Grundrechte außer Kraft und ließ zeitlich unbegrenzte Verhaftungen zu. Nach dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März konnte die Regierung auch ohne Parlament und Reichspräsidenten Gesetze erlassen.
Hinzu kam schlichte Gewalt. Innerhalb weniger Monate waren Zehntausende von Gegnern inhaftiert, viele andere eingeschüchtert und in den Untergrund getrieben. Was viele zusätzlich lähmte, war die Gleichgültigkeit, die sie in der deutschen Bevölkerung wahrnahmen. Zwar löste der 30. Januar 1933 keineswegs jene nationale Begeisterung aus, die die bis heute tausendfach wiederholten Bilder der NS-Propaganda zu vermitteln suchten. Doch insgesamt überwog eine Mischung aus Zustimmung, verschiedenen Formen der Akzeptanz und passivem Abwarten. Unter diesen Umständen blieb die Mobilisierung der Gegner zu gering.
Schließlich verhält es sich mit dem 30. Januar 1933 wie mit vielen anderen historischen Ereignissen: Was aus heutiger Sicht zu den zentralen Wegmarken des 20. Jahrhunderts gehört, war aus zeitgenössischer Sicht in seiner Bedeutung weniger leicht zu erkennen. Die Regierung, die Reichspräsident von Hindenburg am 30. Januar 1933 ernannte, war zunächst eines jener Präsidialkabinette, wie man sie in Deutschland bereits seit März 1930 gewohnt war. Ohne eigene Mehrheit im Parlament stützte sie sich auf die besonderen Rechte, die die Weimarer Verfassung dem Reichspräsidenten in Krisenzeiten gab. Neben Hitler und zwei weiteren Nationalsozialisten gehörten der Regierung Vertreter der deutschnationalen DNVP, des Stahlhelm sowie fünf parteilose Minister an. Vizekanzler war der 1932 aus der katholischen Zentrumspartei ausgetretene Franz von Papen. Nicht wenige hielten ihn für den wirklich starken Mann im Kabinett.
Und so vollzog sich die eigentliche nationalsozialistische „Machtergreifung“ nicht am 30. Januar 1933, sondern in den Wochen und Monaten danach. Bis zum Sommer 1933 waren alle konkurrierenden Parteien verboten bzw. hatten sich selbst aufgelöst. Auch Länderregierungen, Gewerkschaften oder die Kirchen boten keinen Halt. Das galt ebenso für die Reichswehr oder gar für Hitlers konservative Bündnispartner, die gehofft hatten, die Nationalsozialisten für sich nutzen zu können. Als Hitler Mitte 1934 auch die innerparteilichen Rivalen beseitigt hatte und nach dem Tod Hindenburgs zusätzlich das Amt des Reichspräsidenten auf sich vereinigte, war nicht nur die „Machtergreifung“, sondern auch die Phase der Machtsicherung abgeschlossen.
Das seitdem häufig gehörte Argument, man habe das verbrecherische Ausmaß des Regimes zu Beginn gar nicht erkennen können, überzeugt dennoch nicht. Denn warnende Stimmen fehlten 1933 keineswegs. „Noch schützt vor dem ärgsten Mißbrauch der Gewalt die Verfassung“, schrieb die liberale „Vossische Zeitung“ einen Tag nach Hitlers Ernennung, aber deren Bande seien nun „hauchdünn“ geworden. Der britische Botschafter in Deutschland, Sir Horace Rumbold, schickte dermaßen beunruhigende Analysen über die Absichten der neuen Regierung nach London, dass später die Frage auftauchte, ob man auf der Basis solcher Einschätzungen nicht militärisch einschreiten müsse. Und ein Beobachter wie Sebastian Haffner beschrieb seine Stimmungslage in den ersten Monaten 1933 so: „Ich spürte deutlich: Was bis dahin geschehen war, war ekelhaft und nichts weiter.“
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Friedrich Kießling
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Friedrich.Kiessling@gesch.phil.uni-erlangen.de
Prof. Dr. Friedrich Kießling
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