Mit den Neuwahlen am Wochenende treffen die Italiener eine Entscheidung, die für alle europäischen Partnerländer fatale Folgen haben könnte. Im Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte zeichnet Prof. Dr. Günther Ammon vom Lehrstuhl für International Business and Society Relations mit Schwerpunkt Lateinamerika der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) die Entwicklungslinien nach, die an diesen Punkt geführt haben.
"Am 24./25. Februar wählt Italien ein neues Parlament. Eine spannende Wahl, deren Ergebnissen man entgegenfiebert, nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa. Selbst die Finanzmärkte werden nervös, die Zinssätze, die Italien bei der Aufnahme neuer Schulden bezahlen muss, steigen langsam wieder an. Warum das alles? Berlusconi ist – wie ein Gespenst – wieder aufgetaucht und damit die Angst, dass Italien mit ihm im Chaos versinken könnte.
Vielleicht sollten wir 20 Jahre zurückblicken. Zwischen 1992 und 1994 erlebte Italien seine tiefste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auslöser war eine kleine Korruptionsaffäre, die sich immer weiter auswuchs und schließlich ein das ganze Land überziehendes Korruptionssystem ans Licht brachte. Die Verbindungen zwischen der Mafia und der Politik wurden aufgedeckt, die Geheimloge Propaganda Due (P 2) konnte bestaunt werden, und die Menschen, vielleicht sollten wir sagen die Zivilgesellschaft, machten der Herrschaft der Parteien ein Ende, jener Parteien, die sich schon lange zuvor des italienischen Staates bemächtigt hatten.
Am Ende dieser Krise ist das herkömmliche Parteiensystem zusammengebrochen und neue Kräfte erscheinen: Die Forza Italia Berlusconis und die Lega Nord. Spannende Projekte zur Föderalisierung Italiens werden diskutiert, Hoffnung keimt und Journalisten schreiben von der Geburt der Zweiten Republik.
Aus der Zweiten Republik ist nichts geworden, wie wir wissen. Die Krise wird verdrängt und Berlusconi, der erfolgreiche Unternehmer, bekommt seine Chance. Er bildet vier Regierungen, die für italienische Verhältnisse außerordentlich lange an der Macht bleiben. Die grundsätzliche Erneuerung bleibt aber aus, innere Reformen werden vernachlässigt, die Wirtschaft erholt sich nach 2008 nicht mehr von der Finanzkrise.
Im November 2011 wird Berlusconi von der Macht verdrängt. Seine Politik war nicht erfolgreich, bei der Justiz ist wieder mal ein Verfahren gegen ihn anhängig, und – als sei das nicht genug – füllt er die Schlagzeilen mit der Bunga-Bunga-Affäre: Der 75jährige Regierungschef mit minderjährigen Prostituierten. Der Druck von außen, von Merkel und Sarkozy, von den Finanzmärkten, führt schließlich zum Ende der Regierung. Knapp zwanzig Jahre nach der Krise von 1992 sind wieder mal viele Hoffnungen enttäuscht und man sucht nach einem Neuanfang.
Mario Monti an der Spitze eines Kabinetts von Experten verkörpert diesen Neuanfang, er übernimmt die Regierung und führt Italien langsam, aber beständig heraus aus den Schlagzeilen. Ernstgemeinte Sparbemühungen werden sichtbar, und der Erfolg ist an den sinkenden Zinssätzen für Italiens Neuverschuldung abzulesen. Knapp anderthalb Jahre geht das gut, jetzt stehen wir vor Neuwahlen.
Mario Monti stellt sich für eine erneute Amtszeit zur Wahl, allerdings wird er wohl nicht der große Wahlsieger werden. Wie üblich stehen sich die Blöcke von links und rechts gegenüber. Die Linke mit dem Spitzenkandidaten Pier Luigi Bersani sah sich schon als sicherer Sieger und muss nun wieder zittern. Auf der Rechten tritt Berlusconi erneut an und verspricht, die von Monti eingeführten Steuern wieder abzuschaffen oder gar zurückzuzahlen. Die Meinungsumfragen zeigten ursprünglich einen Abstand von 13 Prozentpunkten zwischen der führenden Linken und der Rechten, dieser Abstand ist bis zum 8. Februar auf nur noch fünf Prozentpunkte geschrumpft. Seither dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden.
Gewinnt Berlusconi, ist wieder mal ein Neuanfang zunichte gemacht, Italien kann sich auf chaotische Verhältnisse einrichten und wir Europäer auf einen neuen Schub der Eurokrise. Das einzige Szenario, das die Meinungsumfragen hergeben und das eine Fortsetzung der Reformpolitik ermöglicht, wäre ein Wahlsieg der Linken, der aber so knapp ausfällt, dass die Linke auf die Zusammenarbeit mit Monti angewiesen ist. Was bleibt als Hoffnung? Ein Viertel bis ein Drittel aller italienischen Wähler sind wenige Tage vor der Wahl noch unentschlossen. Mögen sie sich richtig entscheiden!"
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Prof. Dr. Günther Ammon
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