Im Vorfeld der Leipziger Buchmesse wird in der Presse erneut verstärkt über das Dilemma des stationären Buchhandels berichtet: rückläufige Umsätze, schließende Ladengeschäfte und kleiner werdende Verkaufsflächen sind die beklagten Phänomene. Svenja Hagenhoff, Professorin für Buchwissenschaft mit dem Arbeitsgebiet Medienwirtschaft und anwendungsbezogene Technologien an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), kommentiert die Situation.
Vorweg sei festgehalten: Ja, Märkte, die zu erheblichen Teilen auf der Infrastruktur des Internets aufsetzen, weisen eine Tendenz zur Konzentration auf. Amazon ist ein mächtiger Akteur im E-Commerce und gemessen am Umsatz mit Abstand der größte Online-Händler in Deutschland für physische Güter und der drittgrößte für digitale Bücher. Er nimmt nicht nur der Buchwirtschaft sondern dem gesamten stationären Einzelhandel Marktanteile ab. Zweifelsfrei sind monopolartige Strukturen nicht erstrebenswert und ungesund für die Interaktion zwischen Angebot und Nachfrage; dies gilt für alle Märkte und für jede Wirtschaftsstufe.
Gleichwohl lohnt ein differenzierter Blick, der die etablierten Akteure der Buchwirtschaft unter die Lupe nimmt:
Nachhaltig erfolgreich sind Unternehmen, die sich von der Konkurrenz abheben. Das lässt sich in der Buchbranche aufgrund der Preisbindung nur über eine Differenzierung in der Leistung erreichen. Buchhandlungen unterscheiden sich in ihrem Leistungsportfolio untereinander allerdings so gut wie nicht und sind damit für den Kunden austauschbar. Manch eine Buchhandlung versprüht zudem den Charme eines Kaffeeautomaten, wo der genuss- und kultursuchende Heißgetränknachfrager ein Caféhaus mit Atmosphäre und der trendbewusste Großstädter einen angesagten Coffeeshop benötigt (und hier im übrigen Apothekerpreise für Produkte von relativ geringem Materialwert zu zahlen bereit ist). Der Schritt zur Online-Beschaffung anstelle der samstäglichen Einkaufsqual ist kurz. Ob Leistungsdifferenzierung und das Schaffen von „Kauferlebnissen“ dem Buchhandel hilft, kann niemand sagen – keine Leistungsdifferenzierung und Standardangebote helfen aber gesichert nicht. Denken wir für die Buchhandlung der Zukunft das Undenkbare: Gedruckte Bücher sind nur noch Anschauungsobjekte, die in geringer Stückzahl im Ladengeschäft vorhanden sind. Sie dienen dem Entdecken, Stöbern, Reinlesen und darüber Palavern vor Ort bei Kaffee oder Wein. Der Leser kauft das Buch digital an der Zapfsäule im Laden und bleibt mit seinem E-Book-Reader vielleicht weiterlesend und konsumierend sitzen (schöner als in der DB-Lounge ist das allemal). Der Umsatz bleibt da wo er hingehört (am Ort des Erlebnisses), der Kunde hat eine schöne Zeit (ansprechender als auf mein-onlineshop.de) – und das Buch, aber ohne schwere Sackerln. Auch VW & Co. verkaufen heute nicht einfach nur Autos, das Abholen des Wagens im Werk wird zelebriert.
Der oben erwähnte Hang zur Monopolbildung hat unter anderem etwas mit der Bequemlichkeit der Konsumenten zu tun. Um Leistungen über das Internet in Anspruch nehmen zu können, sind Accounts bei den diversen Händlern erforderlich. Praktisch für den Kunden ist es, wenn er viele seiner Wünsche mit nur einem Account bei genau einem vertrauenswürdigen Akteur befriedigen kann. Er verliert nicht den Überblick über die Verteilung seiner persönlichen Daten und muss sich nicht mit verschiedenen Apps und Prozessen auseinandersetzen. Diesbezüglich ist der einzige Weg für die Buchwirtschaft die Kooperation. Nicht mit Amazon, sondern untereinander: eine App zur Bestellung von Büchern, ein Account, ein Prozess, egal bei wem der Kunde sein E-Book kaufen möchte – und in Zusammenarbeit mit der Verlags- sowie Endgerätewirtschaft ein Dateiformat. Die buchhändlerische und printwirtschaftliche Kleinstaaterei ist keine Basis für die digitale Welt. Beispiele aus anderen Branchen zeigen, dass die Kooperation mit Wettbewerbern sinnvoll sein kann und machbar ist, um gegen größere Wettbewerber bestehen zu können oder neue Strukturen zu forcieren, für deren Umsetzung der einzelne zu klein ist. Bei der Star Alliance kauft der Kunde ein Ticket bei der Lufthansa und fliegt in einer Maschine der Scandinavian Airlines; den Erlös teilen sich die Partner. Zahlreiche Kommunen haben sich mit dem Angebot „Handyticket“ zusammengeschlossen, um dem Bürger den Kauf einer Fahrkarte per Handy zu erleichtern. Der Nutzer benötigt, egal in welcher Stadt er sich befindet, hierfür nur eine App und einen Account.
Ist nun Amazon an allem schuld? Nein, ein Teil der Probleme der Buchwirtschaft ist hausgemacht, Amazon macht sie nur sichtbar. Was ist dem Buchhandel im speziellen und der Printwirtschaft allge-mein zu raten? Weiterhin mitspielen in der „Branche im Umbruch“ werden diejenigen, die ihre Energien in die aktive Gestaltung des ureigenen Spielfelds lenken und Lebenseinstellungen der potenziellen Kunden akzeptieren und verstehen, statt diese missionieren zu wollen. Einen Blick in andere Branchen zu werfen kann lohnenswert sein, und tut erst mal nicht weh – auch dann nicht, wenn diese Branchen nichts mit Kultur zu tun haben.
Ansprechpartner für die Presse:
Prof. Dr. Svenja Hagenhoff
Tel.: 09131/85-24754
svenja.hagenhoff@buchwiss.uni-erlangen.de
Prof. Dr. Svenja Hagenhoff
Foto: privat
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
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Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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