idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
18.11.2002 16:00

Den Tod zu akzeptieren, fällt immer schwerer

Dr. Bärbel Adams Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha, Direktorin des Karl-Sudhoff-Instituts für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften zum Thema "Umgang mit dem Sterben"

    Ihr Institut bietet Ärzten und Pflegekräften zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten, bei denen es um das Sterben geht, nicht aus physiologischer, sondern aus ethischer Sicht. Woraus resultiert das wachsende Interesse an Ihren Seminaren?

    Vor allem aus der Tatsache, dass die allerletzte Lebensetappe in der Ausbildung der Mediziner nach wie vor eine zu geringe Rolle spielt. Man ist ganz auf das Helfen und Heilen fokussiert - und nicht auf das Ende der Möglichkeiten. Das ist auch logisch, denn in der Vergangenheit lag das Sterben weniger in der Hand der Mediziner als der Geistlichen. Doch in den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich das geändert: Die absolute Mehrheit stirbt nicht mehr in den eigenen vier Wänden, nicht in den Armen der Angehörigen, nicht mit dem Segen des Pfarrers - sondern unter Aufsicht der Ärzte, in der Institution.

    Sind die Menschen zu feig geworden, den Tod in ihr Haus, in ihre Nähe zu lassen?

    Ja, so kann man es sehen und es hat viele Ursachen. Akzeptabel ist sicherlich deren Hoffnung, im Krankenhaus könne noch etwas unternommen werden, um den nahenden zu verhindern oder wenigstens hinauszuschieben. Man will nichts unversucht lassen, um das Leben zu verlängern. Aber das ist unterschwellig auch oft ein Vorwand, denn fest steht: Unsere heutige Kultur hat keine private Routine mehr im Umgang mit dem Tod. So viele Menschen haben selbst in reifen Jahren noch nie einen Leichnam gesehen - eigentlich eine unnatürliche Situation. Den Tod zu akzeptieren fällt der heutigen Industrie-Gesellschaft immer schwerer. 'Krankheiten müssen geheilt werden, dazu gibt es schließlich die Ärzte.' So einfach sehen das viele und erschrecken, wenn bei Neunzigjährigen das Herz unvermittelt aufhört zu schlagen.

    Bei der Geburt gibt es ja bereits den Trend, das biologische Ereignis wieder etwas näher in die Familie hinein zu holen. Beobachten Sie beim Tod ähnliches?

    Eine generelle Umkehr zu einstigen Gepflogenheiten wird es nicht geben und die sehe ich auch nicht als erstrebenswert an. Wohl aber ist heutzutage ein bewussteres Umgehen mit der Problematik zu spüren. Schauen Sie auf die sich entwickelnde Hospizbewegung, die ja von ehrenamtlichen Sterbebegleitern getragen wird.

    Was bewegt die Teilnehmer Ihrer Seminare besonders?

    Viel Informationsbedarf gibt es zum Thema Patientenverfügung. Wie gehe ich mit dem Papier um, das mir ein Angehöriger unter die Nase hält? Und wie gehe ich mit den fordernden Angehörigen um. Wie reagiere ich auf die niedergeschriebene Festlegung, vielleicht gerade jene Maßnahme zu unterlassen, die höchstwahrscheinlich das Leben retten könnte?
    Doch es geht nicht nur um dieses spezielle Problem. Es geht darum, wie man menschenwürdiges Sterben in den Krankenhausalltag einbindet. Ich glaube sagen zu können, dass die Zeiten, in denen ein Mensch für seine letzten Atemzüge das Bad geschoben wurde, vorbei sind. Doch es gibt noch genügend Konfliktstoff. Wenn ich vortrage, ein Patient möge am Ende seines Leben nicht allein in einem Zimmer sein, wird sofort mit Personalmangel argumentiert. Das stimmt zweifellos, aber noch nicht immer werden die Angehörigen rechzeitig informiert und noch nicht immer werden die Möglichkeiten genutzt, die sich durch die Tätigkeit der Krankenhausseelsorger, Hospizhelfer und Mitarbeiter des sozialen Dienstes ergeben.

    Lassen Sie uns noch einmal über die sehr ins Interesse der Öffentlichkeit gerückten Patientenverfügungen sprechen. Wer sollte eine niederschreiben, und was muss drinstehen?

    Ich empfehle so etwas eigentlich nur Menschen, die an einer schweren Krankheit leiden und ahnen, wie diese weiterverlaufen wird. Die können relativ konkret über medizinische Maßnahmen reden, die sie sich wünschen oder ablehnen. Aber ich weiß, dass auch viele Gesunde Vorkehrungen treffen möchten und akzeptiere das natürlich. Allgemeingültige Vordrucke gibt es keine. Sinnvoll wäre es, zu notieren wer die Vertrauensperson ist, die an meiner statt Entscheidungen treffen soll. Ich würde die maximale Schmerztherapie fordern und dass vor dem Einstellen der Behandlung ein zweiter Arzt zu Rate gezogen wird. Entlastend für die Angehörigen ist eine eindeutige Aussage zur Organspende im Todesfall. Völlig sinnlos hingegen ist die Bitte um aktive Sterbehilfe, die nach wie vor einen Rechtsbruch darstellt. Aber was man nicht vergessen sollte sind ein paar Sätze zur eigenen Persönlichkeit: Bin ich eine Kämpfernatur und hänge - wohl wissend um meine eventuelle Krankheit - am Leben? Oder habe ich mit dem Leben abgeschlossen und sehne mich nach einem ruhigen Ende?

    In immer mehr Krankenhäusern werden palliativmedizinische Stationen eingerichtet, also Stationen für die Sterbenden. Sind die der Ausweg?

    Sie sind - ebenso wie das Hospiz - eine mögliche Lösung, vor allem eine Möglichkeit, Leiden zu reduzieren. Aber sie sind beispielsweise völlig ungeeignet für Patienten, die ihre unheilbare Krankheit verdrängen und aus diesem Verdrängen noch ein Quentchen Lebensenergie, ein Quäntchen Glück schöpfen. Auf solch einer Station jedoch hat der Glaube an ein Wunder keine Existenzberechtigung mehr. Man muss sehr cool sein, sich in solch eine Station einweisen zu lassen und genau zu wissen - man verlässt sie nicht als Lebender. Ich weiß nicht, ob ich das könnte.

    weitere Informationen: Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha
    Telefon: 0341 97 25 600
    E-Mail: riha@medizin.uni-leipzig.de


    Bilder

    Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha
    Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha

    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).